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Boris Lurie

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Un-Curating the Archive Teil II: 1990 – 2002

Basierend auf einem Handapparat von Nicole Six und Paul Petritsch

8.12.17 - 18.2.18 | Camera Austria, Graz

Dieter Roelstraete hat sich 2009 kritisch zum archival oder historiographic turn geäußert. »The retrospective, historiographic mode—a methodological complex that includes the historical account, the archive, the document, the act of excavating and unearthing, the memorial, the art of reconstruction and reenactment, the testimony—has become both the mandate (»content«) and the tone (»form«) favored by a growing number of artists (as well as critics and curators) of varying ages and backgrounds.« Die Rückwendung zur Vergangenheit brächte die Zukunft und jede Utopie zum Verschwinden.

Nun mag aber die Beschäftigung mit Geschichte weniger mit Nostalgie oder einer nach-postmodernen Rückkehr der »großen Erzählungen« zu tun haben, auch nicht primär mit dem Verlust der Zukunft in einer permanenten Gegenwart, die ausweglos in die Analyse ihrer – bruchstückhaften – Geschichte vertieft ist, als vielmehr mit einer Neuüberprüfung der Konstruktionen von Gegenwart selbst – in Zeiten einer auf Dauer gestellten Krise der Glaubwürdigkeit und der geltenden – politischen, sozialen, ökonomischen – Übereinkünfte.

Von dieser Krise sind auch – oder insbesondere – die Institutionen der zeitgenössischen Kulturproduktion betroffen: ihre Relevanz wird angezweifelt, der Vorwurf des Elitismus zum wiederholten Mal in den Raum gestellt, eine Politik der Umfrageergebnisse scheut immer mehr davor zurück, dem Widerständigen einen Raum unabhängiger Bedeutungsproduktion zu gewährleisten, die Creative Industries verstricken Kulturproduktion mit ihren Spektakeln für den Tourismus in eine Aufmerksamkeitsökonomie der großen Zahlen.

Wenn die Herstellung von Verbindlichkeiten über die Bedeutung zeitgenössischer Kunst und Kultur für die Vorstellungen über unsere Gegenwart bestenfalls schwierig erscheint, kommt möglicherweise gerade der »Archäologie« (oder Genealogie) der Gegenwart verstärkte Bedeutung zu – wie könnte die Geschichte der Dekulturalisierung der Gegenwart geschrieben werden? Bieten die Archive ein Potenzial der Rekonstruktion jener »diskursiven Formationen«, als die sie Michel Foucault in seinen Analysen der Macht bezeichnet hat, die dazu führten, dass sich heute Technologie und Ökonomie als vorherrschende Signifikanten präsentieren? Lassen sich die Archive also politisieren?

In den letzten Jahren waren sowohl in den Ausstellungen von Camera Austria als auch in der Zeitschrift Camera Austria International eine Reihe von künstlerischen Positionen präsent, die sich um Fragen des Archivs drehen. KünstlerInnen wie Özlem Altin, Sven Augustijnen, Eric Baudelaire, Peggy Buth, Martin Beck, Peter Friedl, Maryam Jafri, Tatiana Lecomte, Uriel Orlow, Ines Schaber, Ala Younis und andere mehr konstruieren in ihren Arbeiten eine Art – temporäres, vorläufiges – Archiv, legen Sammlungen an, nehmen ihren Ausgangspunkt für Recherchen von in Archiven gefundenem Material oder von Funden, die in Archive führen. Einerseits geht es also darum, Archive zu imaginieren, die es nicht gibt, die aber notwendig wären, andererseits darum, Archiven etwas hinzuzufügen, das diesen fehlt, das sie unterdrücken oder ausschließen. Künstlerische Praktiken intervenieren dabei auch in einem allgemeinen Sinn in Wissensproduktion, sie instituieren gewissermaßen Verfahren einer Produktion von Wissen, das fehlt, und übernehmen dabei teilweise Funktionen anderer kultureller Institutionen.

Die Beschäftigung mit dem Archiv von Camera Austria versucht, diese unterschiedlichen Fragestellungen zusammen zu führen. Handelt es sich um ein (bisher nicht publiziertes und nicht öffentliches, daher) fehlendes Archiv, das den etablierten Narrativen über die Relevanz von zeitgenössischer Kunst, bzw. genauer: zeitgenössischer künstlerischer Fotografie, etwas hinzufügen könnte, das bisher fehlt? Wie wären mit Peggy Buth diejenigen »Orte« im Archiv auszumachen, an denen eine Sichtbarmachung ansetzen müsste? Wie ließe es sich mit der sprunghaften Rekonstruktion von Geschichte durch Eric Baudelaire oder der Idee des »Anti-Archivs« von Peter Friedl in Verbindung bringen? Und wie sieht es mit der unangenehmen Frage nach der Macht dieses Archivs aus? Hat auch dieses Archiv so etwas wie ein Anderes produziert? Mit welchen Praktiken wären also die kritischen Punkte aufzufinden, die ein »Unbehagen an der Geschichte« (Georges Didi-Huberman) sichtbar machen könnten? Welche Geschichte wird überhaupt in und durch dieses Archiv erzählt, welche anderen könnte es – auch – erzählen?

Eine Sonderausgabe von Camera Austria International, die im Juni 2017 erscheint, unternimmt einen ersten Schritt zur Veröffentlichung des Archivs. Das Material dieser Ausgabe umfasst die Jahre zwischen 1974 und 1983 – die Anfänge der Ausstellungstätigkeit im Schillerhof in Graz, die Übersiedelung 1976 ins Forum Stadtpark, die Durchführung der ersten Symposien über Fotografie ab 1979, die Herausgabe der Zeitschrift Camera Austria – Zeitschrift für Fotografie ab 1980, die Herausgabe der ersten Bücher ab 1982, bis hin zu einer Phase der – prekären – Konsolidierung des Projekts.

Parallel zu dieser Ausgabe der Zeitschrift bereiten wir seit Frühjahr 2015 das vorliegende Ausstellungsprojekt vor, in dem das komplette Archiv der Jahre 1974 bis 1989 präsentiert wird. Die KünstlerInnen Nicole Six und Paul Petritsch haben ein Publikationskonzept entwickelt, in dem das komplette Archivmaterial in einer Reihe von gebundenen Faksimiles, quasi als Handapparat, aufgelegt wird. Dazu werden die Videomitschnitte der Symposien über Fotografie des entsprechenden Zeitraums gezeigt. Im zweiten Teil dieses Ausstellungsprojekts, im Dezember 2017, wird das Material aus den Jahren zwischen 1990 und 2002 gezeigt, bevor Camera Austria 2003 in die heutigen Räume des Eisernen Hauses übersiedelt ist. Im Zusammenhang mit dieser Ausstellung werden auch die Ausstellungsräume von Camera Austria umgebaut: die Bibliothek wird geöffnet, wodurch der gesamte Raum in den von den Architekten – Peter Cook und Colin Fournier – vorgesehenen Originalzustand rückgebaut wird. Diese Öffnung der Bibliothek zielt darauf, dem mit den Bildern untrennbar verbundenen Gegenspieler mehr Präsenz einzuräumen: dem Text.

Mit dieser Ausstellung erobert sich das Archiv insgesamt – eine Sammlung von diversesten Texten und Bildern – den Raum der Ausstellung zurück. Doch wird es dabei gerade nicht zum Ausstellungsgegenstand, sondern behält seine heterogene Form als »diskursive Formation« bei: Resultat eines Netzwerks an AkteurInnen, das beständig in einer Arbeit and den Bildern diesen ihre Räume der Bedeutung eröffnet, diese Räume beständig neu definiert und die Bedeutungen der Bilder beständig umgeschrieben hat. Eine Arbeit an den Bildern als ein Raum des Lesens ….

Der Begriff des Archivs scheint jedenfalls eine Art Kunstgriff zu erlauben, sich nämlich aus der Kontinuität der nachzuerzählenden oder wieder aufzuführenden Geschichte einer Institution hinauszubewegen, sie sich fremd zu machen. Es erscheint notwendig, eine Diskontinuität einzuführen in eine Geschichte, die auch ihrerseits durch Diskontinuitäten gekennzeichnet ist. Sich diesen langen Zeitraum institutioneller wie künstlerischer und theoretischer Produktion als ein Archiv verstreuter Praktiken vorzustellen, zwingt uns dazu, keine Rekonstruktion vorzunehmen, sondern Aktualisierungen und Neuordnungen, anstatt sich bequem einer Kontinuität einzuschreiben und diese fortzuschreiben.

Das Archiv als Kunstgriff der Reflexion ermöglicht uns somit zu verstehen, dass es uns nicht an Geschichte erinnert und uns ermöglicht, diese Geschichte zu rekonstruieren, wie lückenhaft auch immer, sondern darauf hinweist herauszufinden, woran uns die Geschichte zu erinnern imstande ist, die vom Archiv preisgegeben werden kann. Möglicherweise liefert uns diese Erinnerung auch Argumente dafür, der zunehmenden Marginalisierung eines Wissens entgegenzuarbeiten, das diese Geschichte verleugnet, ignoriert und ausblendet.

The production of a concept is a provocation, a refusal to answer to the call of the known and an opportunity to intensify our experiences. The archive is therefore not representational, it is creative, and the naming of something as an archive is not the end, but the beginning of a debate. (Pad.ma)

Reinhard Braun

Camera Austria
Lendkai 1
8020 Graz, Austria
camera-austria.at


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