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Boris Lurie

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Street-Art Brazil

Die Schirn zeigt die Vielfalt der brasilianischen Graffitikunst

5.09. – 27.10.2013 | Schirn Kunsthalle, Frankfurt a.M.

Im Rahmen des Ehrengastauftritts von Brasilien bei der Frankfurter Buchmesse 2013 präsentiert die Schirn Kunsthalle Frankfurt erstmals in Deutschland die Vielfalt der brasilianischen Graffitikunst. In Brasiliens Metropolen findet sich eine der weltweit lebendigsten und künstlerisch interessantesten Szenen in diesem Bereich.
Diese bunte, dynamische und einzigarte Bewegung unterscheidet sich sowohl inhaltlich als auch ästhetisch wesentlich von der amerikanischen und europäischen Street-Art-Szene. Nicht nur das spezifische politisch-soziale Klima in einem von tiefgreifenden Umbrüchen gekennzeichneten Land, sondern auch eine ungeheure Vielfalt von Techniken und Stilen lassen die brasilianische Street-Art aus der globalisierten Graffitikultur hervortreten. Elf Künstler und Künstlergruppen aus São Paulo und anderen Metropolen Brasiliens sind eingeladen, ihre Bilder ausgehend vom Gebäude der Schirn im gesamten Frankfurter Stadtraum zu realisieren und damit den alltäglichen Blick auf die Stadt zu verändern. Gezeigt werden figurative und abstrakte, heitere und gesellschaftskritische Bilder – von überdimensionalen Wandgemälden bis zu unscheinbaren ephemeren Zeichen. Bespielt werden unter anderem Frankfurter Bankentürme, Brückenpfeiler am Mainufer, die Bodenfläche der Frankfurter Hauptwache, die Matthäuskirche und das ehemalige Polizeipräsidium der Stadt. Ein zusätzliches Highlight ist ein bemalter U-Bahn-Zug – diese als „Wholetrain“ bekannte Form des Graffitis ist eine Königsdisziplin der Szene. Eine eigens zur Ausstellung entwickelte und mit zahlreichen Hintergrundinformationen und Künstlervideos bestückte App navigiert die Besucher auf ihrem Spaziergang durch die Frankfurter Innenstadt.

Schirn-Direktor Max Hollein: „Im September erwartet die Stadt eine brasilianische Invasion der ganz besonderen Art: Frankfurt wird zur Bühne und Leinwand für viele der derzeit wichtigsten und innovativsten Street-Art-Künstler. An zentralen Knotenpunkten der Stadt platziert, werden großflächige Arbeiten von Alexandre Orion, Fefe Talavera oder Speto weithin sichtbar machen, dass insbesondere die brasilianische Graffiti-Szene sowohl öffentliche Meinungsäußerung und politisch-motivierte Gegenkultur als auch künstlerisch vielseitig, dynamisch und ästhetisch tiefgreifend ist“.

Die Kuratorin der Ausstellung Carolin Köchling ergänzt: „Die brasilianische Graffiti-Szene gehört gegenwärtig zu den blühendsten und dynamischsten weltweit. Die Künstler verwenden im Gegensatz zur europäischen und nordamerikanischen Graffitikultur kaum Schrift. Die dezidiert politischen und historischen Inhalte vermitteln sich über eine Bildsprache, die einen unmittelbaren Dialog mit dem Betrachter ermöglicht. Die Interventionsorte in Frankfurt wurden in enger Absprache mit den Künstlern ausgewählt.“

STREET-ART IN BRASILIEN

Die Metropole São Paulo gilt neben Rio de Janeiro und Curitiba als herausragendes Zentrum der brasilianischen Street-Art. Seit Mitte der 1980er Jahren hat sich die dortige Szene zu einer der weltweit vitalsten und künstlerisch interessantesten entwickelt. Sie zeichnet sich durch einen individuellen und äußerst vielfältigen Eingriff in den städtischen Raum aus und ist in São Paulo omnipräsent. Nach dem Ende der 20jährigen Militärdiktatur war der Wunsch nach öffentlicher Meinungsäußerung groß, und so entwickelte sich eine politisch motivierte Gegenkultur. Die Graffitis sind im Gegensatz zur weltweiten Szene heute in Brasiliens Städten nicht nur toleriert, sondern teilweise anerkannter Teil der visuellen Kultur. In Brasilien wird unterschieden zwischen Pixação, der brasilianischen Form des Tagging, und Graffitis, großformatigen figürlichen und abstrakten „Murals“ (Wandmalereien), wie sie die von der Schirn eingeladenen elf Künstler malen. Zeitlich setzt „Street-Art Brazil“ mit Vertretern der ersten Generation der „Grafiteiros“ (Vitché, Speto und Tinho) ein. Ende der 1960er, Anfang der 1970er Jahre geboren, begannen sie nach Ende der Militärdiktatur mit ihren Malereien auf die Straße zu drängen und so dem Willen zur öffentlichen Meinungsäußerung nach dem Schweigen während und nach der Zeit der Unterdrückung Ausdruck zu geben. Aus Mangel an künstlerischem Material verwendeten sie wie heute noch neben den teuren Spraydosen auch Fassadenfarbe und Farbrollen. Auch die jüngeren Protagonisten der Szene setzen sich mit den aktuellen sozialen, ökonomischen und ökologischen Problemen ihrer Stadt auseinander und sind gleichzeitig von indigener Kultur inspiriert. Allen gemein ist die individuelle Positionierung durch eine singuläre Bildsprache. Der Künstler definiert sich über die Öffentlichkeit, die Sichtbarmachung und Verbreitung seiner Werke. Die Wiedererkennung seiner künstlerischen Handschrift – sein Branding – ist entscheidend.

DIE KÜNSTLER

Die stets blauen, ornamentalen Arabesken Zezãos erlangen durch ihren Anbringungsort eine stark soziale Komponente. In den verwahrlosesten und ärmsten Gegenden São Paulos verleihen sie diesen eine eigentümliche Schönheit. Die Arabesken erstrecken sich nicht nur über flache Wände, sondern legen sich dreidimensional über Gegenstände ihrer Umgebung, wie beispielsweise die Brandruinen der Favela do Moinho. In Frankfurt finden sich Zezãos Werke in den dunklen Ecken der Untermainbrücke und ziehen zum ersten Mal die Aufmerksamkeit an die Decke des östlichen Fassadengangs des Schirn-Gebäudes.

Dem brasilianischen Ursprung seiner Bilder gibt Nunca in seiner Frankfurter Arbeit konkreten Ausdruck. Auf der Brandwand des Gebäudes in der Niddastraße 64 im Bahnhofsviertel führt er ein bereits im August 2013 in São Paulo gemaltes „Mural“ in gleichem Maßstab fort. Die Reproduktion des in Brasilien begonnenen Bildes ist großformatig in der Schirn-Rotunde zu sehen. Collagenhaft setzen sich seine Figuren aus indigenen und afrikanischen Motiven sowie Elementen aus der zeitgenössischen brasilianischen und europäischen Konsum- und Alltagskultur zusammen und sind gekennzeichnet von der Suche nach der eigenen brasilianischen Identität.

Der Bauzaun der Stadthaus-Baustelle, der sich am Schirn-Gebäude entlang zieht, wird zum Schauplatz der farbenprächtigen Arbeiten von Gais. Das Unsichtbare, das hinter den Dingen liegt, ist Thema seiner geometrischen Bilder. Indem er abstrakte Malerei in den Favelas von Rio de Janeiro platziert, eröffnet er diese in der Bildenden Kunst als Hochkultur definierte Malweise einem erweiterten Publikum. Zudem erschafft er mit seinen zweidimensionalen Bildern betretbare Räume, die den Betrachter einladen, mit allen Sinnen Teil seiner Kunst zu werden. Gais’ Arbeit steht somit der brasilianischen Installationskunst nahe, die ab dem 2. Oktober 2013 Thema einer weiteren Brasilien-Ausstellung der Schirn Kunsthalle Frankfurt ist („Brasiliana. Installationen von 1960 bis heute“, 2. Oktober 2013 bis 5. Januar 2014).

Traumwelten voller Fantasiewesen bestimmen die Bilder des Künstlerduos Jana Joana & Vitché, das bereits seit 15 Jahren zusammenarbeitet. Ihre Clowns, Harlekins oder Vögel prägen das gesamte Erscheinungsbild des Stadtviertels Cambuci in São Paulo, in dem Vitché geboren wurde und beide heute leben. Vitché gehört zu den Pionieren der brasilianischen Szene und sticht durch seine an Volkskunst erinnernden Werke aus der internationalen Szene hervor. Dennoch führten ihn Hip-Hop und Breakdance zum Graffiti. Die poetischen Gemälde finden Frankfurter Passanten an den Wänden zu beiden Seiten des äußeren Treppenaufgangs der Schirn.

Herbert Baglione vollzog den Übergang seines Selbstverständnisses vom Graffiti-Writer zum Street-Art-Künstler, indem er 1997 in einem in São Paulo verbreiteten Schriftzug verkündete, dass sein Pseudonym „Cobal“ tot sei. Seitdem agiert er unter seinem bürgerlichen Namen, malt vornehmlich auf Bodenflächen geisterhaft anmutende Gestalten, die in Relation zu den Gebäuden und Merkmalen ihrer Umgebung stehen. Der weite, offene Platz der Hauptwache ist der Untergrund seiner Frankfurter Arbeit. Mit 900 Quadratmetern ist dies die größte Fläche, die ein Künstler in der Ausstellung bemalt.

In Onestos Werken bilden sich spontane, situative Begegnungen mit Passanten ab. Die sich im Mikrokosmos der Stadt abspielenden Geschehen schreibt Onesto an eben diesem Ort ein und macht so seine Betrachter kritisch auf politische oder soziale Themen aufmerksam. In Frankfurt bringt er seine Arbeit an zwei Gebäuden in der Neuen Mainzer Straße 57 und 59 an.

In seinem Projekt „Ossario“ (Grabstätte) dienen Alexandre Orion die von Abgasen geschwärzten Wände eines Tunnels in São Paulo nicht einfach als Untergrund seiner Intervention: die sich über 300 Meter erstreckenden Totenköpfe entstehen durch das Abwischen des Rußes. Die von Luftverschmutzung gezeichnete Wand wird so zum alleinigen Material des Bildes. Orion fügt der Stadt nichts hinzu, er schöpft aus ihr. Obwohl er damit den Strafbestand von Graffiti – die Beschädigung einer Oberfläche – nicht erfüllt, wurde das Bild von der Stadtverwaltung entfernt und fiel damit einer ästhetischen und thematischen Zensur zum Opfer. Den mit Farbe gemischten Ruß aus São Paulo verwendet Orion als Material seiner 400 Quadratmeter großen Arbeit am Gebäude der Sparkasse in der Junghofstraße.

Vor dem offiziellen Werbeverbot in São Paulo im Jahr 2007 nutzte Fefe Talavera Poster und Plakate als Interventionsflächen. Heute druckt die Künstlerin ihre Buchstaben selbst und fügt diese zu großformatigen „Monster Paintings“ zusammen. Talaveras Figuren erinnern an die farbenprächtigen „Alebrijes“ – Pappmaché-Figuren, die Pedro Linares, von fabelhaften Träumen inspiriert, 1936 entwarf und die Teil der mexikanischen Volkskunst sind. Die farbintensive Drachengestalt auf dem Glasportal der Zwillingstürme der Deutschen Bank nimmt in ihrer Ausrichtung die Vertikale des Gebäudes auf.

Für den 1988 in Curitiba geborenen Rimon Guimarães ist das Malen auf der Straße eine Performance an sich. Für ihn ist die Stadt eine Bühne, die Passanten die Zuschauer. So ergänzt er das Sprühen durch Tanz, Gesang und Musik, die er mithilfe von Alltagsgegenständen wie Eimern oder Fahrradklingeln und mit seiner Stimme selbst produziert. Diese Musik ist ebenso wie die Graffitis des Künstlers von traditioneller afrikanischer Kunst und Kultur inspiriert. Sein großes, farbenprächtiges „Mural“ ist auf dem Bauzaun an der Baustelle des KfW-Gebäudes in der Bockenheimer Landstraße 102-104 zu sehen. Dort fand bereits vor dem Abriss des Hauses im April 2013 die Graffiti-Akademie der Schirn statt.

Speto erzählt in seinen Wandmalereien Geschichten, die sich inhaltlich und formal an die nordbrasilianische Tradition der „Literatura de Cordel“ anlehnen. Diese mit Holzschnitten illustrierten mystischen Geschichten entstanden im 17. Jahrhundert in einem Klima der kulturellen Durchmischung. Sie vereinen collagenhaft indigene Legenden, christliche Motive und afrikanische Kultur. Die „Literatura de Cordel“ wurde durch das Aufgreifen zeitgeschichtlicher Geschehnisse auch als Kommunikationsmedium genutzt und ist in dieser Funktion dem heutigen brasilianischen Graffiti sehr ähnlich. Ausgangspunkt von Spetos Bild an der Fassade der Frankfurter Matthäuskirche ist eine selbstgeschriebene Cordel-Dichtung über den skurrilen Tag eines „motoboys“. Die „paulista“ (Einwohner São Paulos) bezeichnen mit diesem Begriff die etwa 220.000 Motorradkuriere der Stadt, von denen viele bei ihren täglichen Fahrten durch den dichten Verkehr ums Leben kommen.

Die ungezählten Entführungen von Kindern in den 1990er Jahren sind das Thema von Tinhos Arbeiten. Er stellt gefesselte, weinende oder kauernde Kinder anhand von Fotovorlagen aus Vermisstenanzeigen in Kirchenblättern und Suchanzeigen auf Tomaten- oder Milchverpackungen dar. Die gemalten Kinder blicken den Betrachter meist direkt an, bleiben aber dennoch isoliert und einsam. Einige seiner Bildfiguren finden sich einzeln unter S-Bahngleisen, vor Garagentoren oder hinter Büschen, als würden sie sich an ebendiesem Ort in der Stadt aufhalten. Oft fügt er sie in eigens gestaltete Hintergründe mit den für São Paulo typischen Hochhäusern und Straßenverkehr ein. Das ehemalige Frankfurter Polizeipräsidium dient ihm als Fläche für seine emotional berührenden Werke.
Mit Onesto zusammen bemalt er zudem eine Frankfurter U-Bahn und eröffnet mit dieser Gemeinschaftsarbeit einen weiteren Aspekt der Graffiti-Szene, in der kollektives Arbeiten eine entscheidende Rolle spielt.

KÜNSTLERLISTE: Herbert Baglione, Gais, Rimon Guimarães, Jana Joana & Vitché, Nunca, Onesto, Alexandre Orion, Speto, Fefe Talavera, Tinho, Zezão

ORTE: Schirn: Rotunde, Decke des östlichen Arkadengangs, Außentreppenhaus (beidseitig); Bauzaun auf dem Römerberg; Fußgängerunterführung Untermainbrücke (Innenstadtseite); Wand am Gebäude Niddastraße 64; Bodenfläche der Frankfurter Hauptwache; Glasportal der Deutsche Bank AG-Türme an der Taunusanlage 12; Fassade der Matthäuskirche in der Friedrich-Ebert-Anlage 33; Teil der Fassade des Alten Polizeipräsidiums in der Friedrich-Ebert-Anlage 5-11; Gebäude der Sparkasse in der Junghofstraße 27 und der Neuen Mainzer Straße 59; Fassade in der Neuen Mainzer Straße 57; Bauzaun am KfW-Gebäude in der Bockenheimer Landstraße 102-104; U-Bahn-Zug der Linie U5.

ORT: Außenraum der SCHIRN KUNSTHALLE FRANKFURT, Römerberg, D-60311 Frankfurt, und das Frankfurter Innenstadtgebiet

SCHIRN KUNSTHALLE FRANKFURT
RÖMERBERG
D-60311 FRANKFURT

SCHIRN.DE

PM





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