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Boris Lurie

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Authentizitaet. Das Authentisch Unauthentische

3. 06. - 16. 07. 2017 | Halle fuer Kunst Lueneburg

»Authentizitaet. Das Authentisch Unauthentische« ist der dritte Teil einer dreiteiligen Ausstellungsreihe, die im Fruehjahr letzten Jahres begonnen hat und nun in 2017 ihren Abschluss findet. Waehrend sich der erste Teil der Serie dem Begriff Fantasie und der zweite dem des Ausdrucks gewidmet hat, soll der dritte nun den Begriff Authentizitaet ins Blickfeld ruecken. Alle drei Teile verstehen sich dabei als ineinandergreifende Aspekte eines Nachdenkens ueber kuenstlerische Praxis und gruenden in dem Versuch, Begriffe fuer jene Momente zu finden, die an kuenstlerischen Arbeiten interessant sind. Also positiv zu benennen, was denn nun die Aspekte sind, die auf Interesse und Resonanz stoßen, und nicht nur in einer Negation zu formulieren, dass sich manch zeitgenoessische Kunst zu sehr im Durchdeklinieren von Referenzen, im Aufrufen eines kritischen Impetus, in einem Diskurs geschulten Vokabular oder in der glatten Oberflaeche erschoepft. Erstaunlich ist, dass bei diesem Versuch vor allem Begriffe ins Blickfeld ruecken, die vornehmlich als obsolet und reaktionaer gelten (Fantasie, Ausdruck, Authentizitaet). Was jedoch auch interessant ist, und zwar insofern als sich darin ein Begehren zu zeigen scheint, ebenjene Begriffe auch fuer zeitgenoessische Kunst nutzbar zu machen, da mit ihnen offenbar etwas benannt werden kann, das mit dem Wesen und Mehrwert von Kunst zu tun hat; also etwas, das nicht nur Wissen und Erfahrung, sondern auch Intensitaeten zu erzeugen vermag. Anliegen der Ausstellungsreihe ist es daher, sich den genannten Begriffen mit dem Bewusstsein ihrer Aufgeladenheit und Fragwuerdigkeit jenseits eines klischeehaften Verstaendnisses zu naehern, um zu gucken, wie weit und wohin man mit ihnen kommen kann. Allerdings hat sich die Gemengelage in den letzten Jahren verkompliziert. Zwar sieht sich vor dem Hintergrund einer allseitigen Kritik an entleerten kritischen und politisierten Kunstpraktiken das Aufrufen ebenjener Momente nicht mehr gleich dem Generalverdacht ausgesetzt, einem hoffnungslos altbackenen Kunstbegriff zuzuarbeiten, doch gilt es nun Sensibilitaeten dafuer zu entwickeln, dass sich im Zuge der Kritik am »Politischen als Stil« (James Meyer) nicht eine »Neue Empfindsamkeit«, quasi eine »Innerlichkeit als Stil« einschleicht; basierend auf der Reaktivierung einer auf das Formale beschraenkten Vorstellung von der Autonomie der Kunst.

So ist es keineswegs Anliegen der Ausstellung, dass (KuenstlerIn-)Subjekt aufzufordern, authentisch zu sein. Es geht also nicht um defensive Identitaetspolitik. Weder soll dem spaetkapitalistischen Gebot der Selbstdarstellung und Selbsterfuellung das Wort geredet werden, welches mit dem Systemimperativ postfordistischer Arbeit aufs Fieseste zusammenlaeuft, indem es die eigene Lebendigkeit biopolitisch ausbeutet und vermarktet. Noch geht es darum, einer neo-romantischen Sehnsucht nach dem Echten, Wahren und Eigenem Tuer und Tor zu oeffnen, die schnell mal an reaktionaer-identitaeren Ideen schuerft und meist als Symptom von Entfremdungsmomenten postmoderner, heterogener und globalisierter Gesellschaften gedeutet wird.

Es ist also eine ambivalente Sache, das mit dem Authentischen. Stellt sich doch wiederum die Frage, ob kuenstlerische Aeußerungen, die beim Anderen sowie beim Kuenstler selbst auf etwas treffen, mit denen also das Angebot einhergeht, verwickelt zu werden, ueberhaupt denkbar sind ohne eine Rueckbindung an den, der sie taetigt? Also an dessen Affekte, Emotionen und Intellekt? Wie sollte mithin kuenstlerische Produktion von Interesse und Relevanz ohne Involviertheit (nicht zu verwechseln mit Selbstbespiegelung oder Selbstpraesentation) moeglich sein? Gemeint ist hier das ‚Sich’-Ausdruecken und nicht eine auf den Austausch von Zeichen basierende Kommunikation, denn kommuniziert werden kann natuerlich auch etwas, das von dem, der kommuniziert, gar nicht gemeint, gedacht oder gefuehlt wird. Dieses Involviert-Sein setzt jedoch voraus, ‚sich’ in dem, was man ausdrueckt, auch anwesend zu wissen und markiert damit eine Naehe zum Authentischen. Wenn sich der Authentizitaetsbegriff in theoretischen Diskursen mit der Postmoderne jedoch erledigt zu haben scheint, dann deshalb, da sich mit ihr die Vorstellung eines stabilen, autonomen, a-historischen ‚Selbst’ als Fiktion der Moderne entlarvt hat und damit genau das, worauf Authentizitaet referieren wuerde, abhanden gekommen ist. Denn wer oder was sollte dieses ‚Selbst’ denn sein, das sich da authentisch zu aeußern und mit-sich-‚selbst’-eins-zu-sein haette? So wird heute gerade mal von Authentizitaetseffekten gesprochen. Denn man kann eben auch nicht in den Fragmenten seines Nicht-Mit-Sich-‚Selbst’-Eins-Seins zu Hause sein. Eine solche Vorstellung wuerde immer noch auf eine Substanz referieren, verbunden mit der Idee des Entwicklungsromans und damit mit der eines Werdens, Lernens und sich Entfaltens, also eines sich von Fragment zu Fragment Bewegens: Heute bin ich ein anderer als morgen und im besten Falle komme ich, meine Potentiale ausschoepfend, am Ende irgendwo an.

Obgleich sich das Moment des Authentischen in theoretischen Diskursen also massiver Anfeindungen und Infragestellungen ausgesetzt sieht, erfreut es sich in anderen Bereichen jedoch einer neuerlichen Konjunktur, so dass angesichts von Facebook, Twitter und unzaehligen Reality- und Castingshows von einem regelrechten »Authentizitaetsterror« (so der Titel eines Symposiums im Deutschen Theater anlaesslich der Autorentheatertage 2012) gesprochen werden kann. Authentizitaet ist also, ob nun in negativer oder positiver Bezugnahme, ueberaus praesent und scheint sich trotz ihrer andauernden, bis zum Strukturalismus der 1960er Jahre zurueckreichenden Kritik nicht einfach zu erledigen. Offenbar gibt es kein Auskommen ohne sie: Etwa, wenn es gilt einen bestimmten fotografischen Ausdruck, der nicht strategisch auf Wirkung abzielt, zu beschreiben und der aufgrund genau dieser Differenz mit dem Attribut »authentisch« belegt wird. So stellt sich die Frage, ob und was der Begriff womoeglich zu leisten im Stande ist, wo also genau der Mehrwert der Differenz begruendet liegt, den Authentizitaetsbeschreibungen behaupten.

In der Ausstellung und der mit ihr einhergehenden Beschaeftigung mit dem Authentischen soll das postmoderne Narrativ der Konstruktion und des Nicht-Substantiellen jedoch keineswegs zur Debatte gestellt werden. Es geht nicht darum, ein vorpostmodernes Mit-Sich-‚Selbst’-Eins-Sein zu proklamieren. Die Frage ist vielmehr: Auf welche Weise und in welche Richtung von dort aus weitergedacht werden kann? Denn wie produktiv ist dieser diskursive Status quo einer fortwaehrenden, nicht zu entkommenden Selbstentfremdung? Wie gewinnbringend ist es, auf Dauer im Authentischen lediglich ein Phantasma, eine »heroische buergerliche Befreiungserzaehlung« (Diedrich Diederichsen) zu sehen? Verbirgt sich dahinter nicht lediglich das naechste Phantasma? Und sei es jenes, den Feind ausgemacht zu haben und damit im Bilde zu sein? Zudem, was bedeutet dieses theoretische Konstrukt fuer die Praxis? Bleibt nicht dennoch die Frage, was oder wer sich da eigentlich ausdrueckt, wenn sich etwas ausdrueckt, wenn also so etwas wie Kunst entsteht? Woraus wird da geschoepft? Worauf wird sich da zurueckge- und -bezogen? Wird nicht vielmehr immer auf etwas Bezug genommen, selbst in der Negation? Und will man nicht, trotz des Wissens um das Konstrukt, dennoch involviert sein? Ist Kunst-Machen somit nicht ohnehin ein zutiefst ambivalenter Prozess? Wie sinnvoll ist es also, wenn, wie Rainald Goetz angemerkt hat, das Diskursive fast vollkommen an die Stelle des Realen tritt? Denn, auch wenn das ‚Selbst’ eine Konstruktion ist, ist es ja dennoch da.

So existiert in der postkolonialen Theorie beispielsweise die Idee des »Strategischen Essentialismus« (Gayatri Chakravorty Spivak). Dies meint, um in der praktischen Sphaere, also auf der Straße, und damit dort, wo die Theorie aufhoert, handlungsfaehig zu werden, aus strategischen Gruenden, d.h. fuer bestimmte Zwecke, dennoch Subjekte und Kategorien festzuschreiben. Aehnliches koennte auch fuer die kuenstlerische Praxis interessant sein, selbst wenn hier nicht unbedingt eine politische Notwendigkeit ins Feld gefuehrt werden kann: Und zwar, um die eigene Bedingt- und Konstruiertheit zu wissen, sich aber dennoch, um sprechen zu koennen, um handlungsfaehig zu werden bzw. zu bleiben, autonom zu setzen. Im Zuge einer solchen strategischen Essentialisierung waere dann nicht mehr von Authentizitaet, sondern von »Strategischer Authentizitaet« zu sprechen.

Wenn die Ausstellung ihre Vorraussetzung also in einem Interesse an Aspekten des Authentischen, des Involviert- und Anwesend-Seins findet, so soll es jedoch nicht um kuenstlerische Praktiken gehen, die sich in einem reinen Ausagieren von Unmittelbarkeit erschoepfen. Authentizitaet ist hier nicht mit Gefuehligkeit, Urspruenglichkeit oder Innerlichkeit und damit mit einer »Tyrannei der Intimitaet« (Richard Sennett) gleichzusetzen bzw. misszuverstehen. Im Gegenteil koennen die in ihr aufgerufenen Arbeiten auch von einer extremen Kuenstlichkeit und Inszenierung sowie von einer Zurueckweisung jedweder unvermittelter kuenstlerischer Aeußerung bzw. jeglicher ZU kuenstlerischen Geste gekennzeichnet sein. Dies jedoch mit solcher Vehemenz und Involviertheit vorgetragen, dass schon wieder von einem authentischen Impuls gesprochen werden kann. Folglich sind hier selbst solche auf Stilisierung abzielende Narrative wie der Dandy, die Geste oder die Pose mitgemeint. Kann sich doch auch mit einer Rolle identifiziert und diese authentisch verkoerpert werden. So liegt denn ein besonderes Augenmerk der Ausstellung auf einer Kunst, die ein symbiotisches Verhaeltnis von authentischen wie anti-authentischen Momenten aufweist und zugleich die damit verbundenen Grenzkonflikte sichtbar haelt bzw. ueberhaupt erst ins Spiel bringt. Auch wenn die KuenstlerInnen hier zwar damit spielen, authentisch zu sein, sie ‚selbst’ zu sein, sind sie es doch nie ganz. Und diese Haltung des »Authentischen Anti-Authentischen« entspricht exakt dem, was zuvor als »Strategische Authentizitaet« zu fassen versucht worden ist.

All diese Ueberlegungen gehen jedoch ueber die Beschreibung einer bestimmten Ausrichtung kuenstlerischer Praxis hinaus und adressieren zudem eine virulente Problematik des nicht-kuenstlerischen Feldes. Denn der Knackpunkt unserer Gegenwart ist naemlich der, dass nicht nur das »Sei du selbst!« des Rock’n’Roll und der Hippiebewegung normativ geworden ist, sondern auch die Punkattitude des »Erfinde dich neu!« oder »Get rid of yourself!«. Beides sind, so Diederichsen, eben »nicht mehr kuenstlerisch vermittelte Strategien, die eroeffnen, wie man leben kann, wie man sein Recht bekommt, wie man den Systemimperativen antworten kann. Sie sind Imperative geworden«. Auch wenn es kein richtiges Leben im Falschen gibt, wenn den Verwertungen also nicht zu entkommen ist, so waere doch vielleicht das Spielen mit bzw. das Switchen und Changieren zwischen beiden Positionen die momentan interessanteste Vorgehensweise.

Mit Arbeiten von Daphne Ahlers, Kai Althoff, Heidi Bucher, Anna Haifisch, Nico Ihlein, Mike Kelley, Nora Schultz und Kathrin Wojtowicz


Halle fuer Kunst Lueneburg,
Reichenbachstrasse 2,
21335 Lueneburg

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- Halle für Kunst Lüneburg 2017


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