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Boris Lurie

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AMERICA! AMERICA! HOW REAL IS REAL?

bis 21. Mai 2018 | Museum Frieder Burda

Film und Fernsehen, Konsum und Kapital, Politik und Medien – sie alle leben von der Übertreibung, und sie alle sind damit per se Verbündete und Verbreiter der Lüge, des Fakes. Gleichzeitig sind sie es, die unser Bild von Amerika bis heute bestimmen – allein weil sie die Imaginationen amerikanischen Selbstverständnisses tatsächlich beherrschen. Der „American Dream“, die Klischees und die Kunst: Gerade in Zeiten von „Fake News“ und „Alternative Facts“ wird deutlich, wie sehr der amerikanische Traum mit emotional aufgeladenen Bildern und Symbolen verwoben ist. Wohl kaum eine andere Nation ist sich der Wirkungskraft von Bildern so bewusst und setzt sie so gezielt ein. Die Images des „American Way of Life“, die in den Medien und der Unterhaltungsindustrie produziert werden, können bestehende Machtverhältnisse und Vorstellungen von Wirklichkeit zementieren, aber auch radikal in Frage stellen.

Mit rund 70 Meisterwerken der US-Gegenwartskunst, wie Andy Warhols Race Riot (1964), Jeff Koons’ lebensgroßer Skulptur Bear and Policeman (1988) oder Jenny Holzers Leuchtschriftinstallation Truisms (1994) zeigt die Ausstellung America! America! How real is real? im Museum Frieder Burda, wie Künstler von den 1960er-Jahren bis heute die amerikanische Realität kommentieren – und damit auch, wie sich der amerikanische Umgang mit Wirklichkeit und Wahrheit in den letzten Jahrzehnten dargestellt hat. Denn das ambivalente Verhältnis von Real und Fake, die Strategien von Traum und Täuschung haben sich über Jahrzehnte hinweg auch immer wieder in der Bildkultur Amerikas niedergeschlagen – ob sie nun „nur“ gespiegelt oder aber souverän mit ihnen gespielt wurde. Mit zahlreichen internationalen Leihgaben und Werken aus der Sammlung Frieder Burda, in der die USKunst nach dem Zweiten Weltkrieg einen wesentlichen Schwerpunkt bildet, lädt America! America! How real is real? nun zu einer Exkursion durch diese visuelle Kultur Amerikas ein.

Dabei zeigt die von Helmut Friedel kuratierte Ausstellung, wie Künstler den Wandel der Gesellschaft, ihren Umgang mit Bild und Abbild, Realität und Täuschung mit immer wieder neuen Mitteln, Techniken und Strategien kommentieren. Sie streifen dabei unweigerlich sehr aktuelle Phänomene – wie Helmut Friedel im Katalog ausführt: Wenn „Fake News“ und „Alternative Facts“ inzwischen zu vielgebrauchten Schlagwörtern geworden sind, macht dies nur deutlich, wie in der realen Welt der Politik wie der Medien nicht mehr zwischen nachgewiesener Wirklichkeit und eindeutigen Falschaussagen unterschieden wird. Die amerikanische Kunst seit der Pop-Art hat daraufhin sehr verschiedene Erzählstrukturen entwickelt. Dabei geht es um eine radikale Hinwendung zu Themen des amerikanischen Alltags, seinen Mythen, Desastern und Projektionen - einer Bilderflut, die zusammen mit einer neuen Musik und einer aufregenden Erzählkultur in zahllosen Filmen Hollywoods sehr populär und unmittelbar aufbereitet wurde und in ihrem Sog auch ein breites Publikum in Europa mit sich reißen und begeistern konnte.

Kurator Helmut Friedel über die Genese der von ihm konzipierten Ausstellung: „Im Frühjahr 2017, als die Arbeiten an diesem Ausstellungsprojekt ihren Anfang nahmen, galt es, für das Museum Frieder Burda eine Bilderschau zu entwickeln, die von der reichen Sammlung amerikanischer Kunst aus eigenem Besitz ihren Ausgang nehmen sollte. Bald erschien es klar, dass unter den gegebenen Umständen einer veränderten, auch irritierenden politischen Haltung und Ausdrucksweise des damals noch neuen US-Präsidenten eine Frage nach dem, was wir bis dahin mit Nordamerika verbunden hatten, über den Abstrakten Expressionismus der eigenen Sammlung hinausgehen musste.“ Und
Henning Schaper, seit Mai 2017 Direktor des Museum Frieder Burda in Baden-Baden, ergänzt: „Es ist uns ein großes Anliegen, mit dieser Ausstellung einen Gedankenaustausch zu den aktuellen Themen „Umgang mit der Wahrheit“ und „Respekt vor der Wahrheit“ im individuellen, aber auch im globalen Kontext anzuregen.“

Die einzelnen künstlerischen Positionen und Kunstwerke
„Think“ ist in großen Lettern auf William N. Copleys Imaginary Flag for U.S.A. zu lesen – genau dort, wo sich auf der amerikanischen Flagge sonst die 50 Sterne der Bundesstaaten befinden. 1972, gegen Ende des Vietnamkriegs und zu Beginn des Watergate Skandals entstanden, ist diese subversive Flagge ein Gegenentwurf zu ideologisch verbrämtem Patriotismus. Heute erscheint sie aktueller denn je. Das Werk des Surrealisten und Prä-Popkünstlers Copley bildet das Leitmotiv zu dieser Ausstellung, die nicht nur in das visuelle Gedächtnis der USA eintaucht. In Zeiten von „Fake News“ und „Alternative Facts“ fordert America! America! How real is real? zugleich zum Nachdenken über die Produktion und Zirkulation von Bildern auf. Die Darstellungen des „American Way of Life“, die in den Medien und der Unterhaltungsindustrie produziert werden, können bestehende Machtverhältnisse und Vorstellungen von Wirklichkeit zementieren, aber auch radikal in Frage stellen – wie es viele Arbeiten in der Schau dokumentieren.

Dabei veranschaulicht America! America! How real is real?, wie sehr es vor allem die Traumata und Katastrophen der amerikanischen Gesellschaft sind, die Künstler zu neuen Erzählweisen anregen. Es ist programmatisch, dass Andy Warhols mit Gewalt und Tod assoziierte Siebdruckbilder der frühen 1960er Jahre diese Ausstellung eröffnen: Fahndungsfotos von Schwerverbrechern, der elektrische Stuhl, Autounfälle. Übernahmen Warhol und Pop-Art Künstler wie Roy Lichtenstein, James Rosenquist, oder Tom Wesselmann Methoden der kommerziellen Bildproduktion, um eine Malerei zu erschaffen, die kühl und distanziert die Realität der Konsumgesellschaft reflektierte, zeichnet Robert
Longo über drei Jahrzehnte später Medienbilder per Hand nach. Die Explosion einer Atombombe, das Attentat auf das World Trade Center, ein aus dem Dunklen auf den Betrachter gerichteter Revolver – im globalen Zeitalter der digitalen Revolution werden Medienbilder von Longo als subjektive Ereignisse inszeniert. Wie ein Film Noir-Regisseur verändert er in seinen fotorealistischen SchwarzWeiß-Bildern die Kontraste, Tiefenschärfen, Zeitebenen, um seine eigene, innere Wahrnehmung zu verdeutlichen.

Seit den 1960er-Jahren erscheint die Wirklichkeit zunehmend als mediales Konstrukt, in dem Bilder, Meinungen, Informationen immer virtuoser manipuliert werden können und subjektive Ansichten bedeutsamer erscheinen als Fakten. America! America! How real is real? verfolgt, wie die großen Strömungen seit der Pop-Art diese Entwicklung reflektieren. Das Spektrum reicht dabei von Alex Katz’ plakativem Realismus über Eric Fischls psychologisch aufgeladene Studien einer verstörten Mittelschicht bis zu einer Generation von Foto-, Video- und Konzeptkünstlern, die seit den 1980ern an den Grenzen zwischen Realität und Inszenierung arbeiten. So tritt Cindy Sherman
gleichermaßen als Marilyn, Madonna und pornografisches Monster auf, um weibliche Rollenbilder zu demontieren. Und auch Vanessa Beecroft hinterfragt in ihren Gruppen-Performances die extremen Körperideale, denen Frauen ausgesetzt sind. Auf seiner Fotoarbeit Untangling (1994) lässt Jeff Wall einen Arbeiter einen „gordischen Knoten“ entwirren, der auch unlösbare gesellschaftliche Missstände symbolisieren könnte. Nan Goldin hingegen konfrontiert uns ganz direkt, fast schonungslos, mit solch einem Missstand. In ihrer Serie Gilles and Gotscho begleitet die Fotografin das Sterben ihrer Freunde Anfang der 1990er-Jahre, inmitten der AIDS-Krise. In ihrer Dringlichkeit thematisieren Goldins Aufnahmen ein Anliegen, das sie mit vielen Positionen der Ausstellung verbindet: den Wunsch, die Realität nicht nur auf neue Weise zu zeigen, sondern durch die Kunst auch zu verändern.


Zu den theoretischen Hintergründen der Ausstellung (aus dem parallel erscheinenden Katalog) Realitätstreue und Wahrhaftigkeit – in einer Kultur, die einem verheißungs- wie verhängnisvollen „American Dream“ huldigt, zu deren künstlerischen Höchstleistungen die Produktionen einer kalifornischen „Traumfabrik“ gehören und die den Versprechungen und Verlockungen von Konsum und Kapital nur allzu gerne folgt, sind diese Werte offenbar „verhandelbar“.

Die Verquickung von medialer und politischer Macht tut das Ihrige dazu: Medien leben von der Übertreibung, Politik von der Inszenierung. Im beiderseitigen Wechselspiel multipliziert sich ihr Fake-Potential. Erst recht, wenn
Digitalisierung einen unkontrollierten, wenn nicht entfesselten Mediengebrauch erlauben – allein per Tweet kann jeder, und eben auch ein Präsident, zu seinem eigenen Newsproduzenten werden und tägliches Political Entertainment betreiben. Der Journalist und Politik-Experte Heribert Prantl denkt dies in seinem Katalogbeitrag radikal weiter: „Lügen heißen neuerdings Fake News. Im Gebirge der politischen Lügen und Fake News der Weltgeschichte sind selbst die bisherigen Lügen des USPräsidenten Donald Trump nur Maulwurfshügel. Die allerdings sind zahlreich; sie markieren die globalpolitische Landschaft. Mit Lug sind Kriege begonnen, mit Trug Reiche zusammengestohlen worden. Die Lüge war und ist Mittel für Machterwerb, Machterhalt, Machtsteigerung.“ Von der Logik des Lügens zu den Strategien der Medien: In seinem umfangreichen Katalogbeitrag zur Ausstellung analysiert auch der Kommunikationswissenschaftler Christoph Neuberger die Bedeutung der (Massen-)Medien im Kontext amerikanischer sozialer wie politischer Alltags- und Bildkultur. Ihre auf die Gesellschaft ausgreifende Eigenlogik besteht darin, dass sie ihre eigene Medienwirklichkeit definieren. Neuberger beschreibt sie als das, was man hierzulande häufig als „Amerikanisierung“ bezeichnet: „Betrachtet man Kunst in ihrem Verhältnis zur Gegenwartskultur, so ist an den Massenmedien nicht vorbeizukommen. Dass dabei der „American Way of Life“ im Mittelpunkt steht, ist ebenso wenig überraschend: Der Kulturimport reicht weit über Netflix-Serien und HollywoodFilme hinaus. Die USA sind Pionierland für Massenmedien und Computer, Journalismus und Unterhaltung, für politische Inszenierung und TV-Formate.“ Und weiter: „Es sind die Computer- und Internetgiganten aus dem Silicon Valley und Seattle, wie Google, Facebook, Twitter, Amazon, Apple und Microsoft, die unsere digitale Gegenwart bestimmen.“ Zur Ausstellung erscheint ein Katalog mit 180 Seiten, der neben den Abbildungen der
Kunstwerke Essays von Kunsthistorikern, Journalisten und Kommunikationswissenschaftlern enthält. Der Katalog ist für Euro 38,00 im Museum Frieder Burda erhältlich. Ein Begleitprogramm u.a. zur Musik und Filmgeschichte im Zeichen der Pop-Art flankiert die Ausstellung.

Museum Frieder Burda
Lichtentaler Allee 8b
76530 Baden-Baden
museum-frieder-burda.de

Presse





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