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Spezial: Zeitgenössische Kunst in Istanbul, Teil 1


Eingabedatum: 28.03.2012

Teresa Reichert für art-in.de aus Istanbul:

Istanbul steht seit den letzten Jahren immer stärker im Fokus des zeitgenössischen Kunstsgeschehens. Die Stadt wird zunehmend internationaler, es kommen viele - vor allem - junge Menschen aus dem Ausland. Istanbul gilt als fortschrittlich, vielfältig und lebendig. Traditionelle Basare finden sich neben schicken Einkaufsstraßen, Diskos neben Moscheen. Fast die Hälfte der Einwohner ist unter 35, die Stadt ist spürbar jung. Zudem ist die Mischung zwischen Ost und West allgegenwärtig, durch Brücke oder Boot zwischen Europa und Asien unmittelbar zu erleben.

Auch bildet die Metropole, die fast 14 Millionen Einwohner zählt, das Zentrum der zeitgenössischen Kunst innerhalb der Türkei. Nicht zuletzt die Istanbul Biennale trägt mit ihrem internationalen Renommee und ihrer politischen Orientierung - von machen wird sie gar als die politischste der Biennalen angesehen - dazu bei, dass die Kunstszene schnell wächst.

Foto: Teresa Reichert
Im Stadtteil Tophane, direkt am Ufer des Bosporus, befindet sich das 2004 eröffnete Istanbul Modern, das größte Museum moderner und zeitgenössischer Kunst der Stadt. Die obere Etage des ehemaligen Lagerhauses am Hafen widmet sich Werken der modernen, vorwiegend türkischen Kunst. Das Untergeschoss wird wechselnde Ausstellungen internationaler zeitgenössischer Kunst verwendet.

La La La Human Steps

„La La La Human Steps“ ist der klangvolle Titel der ersten von zwei Sonderausstellungen, die zurzeit im Istanbul Modern zu sehen sind. Der Titel ist eine Anlehnung an die gleichnamige kanadische Tanzkompanie, deren leidenschaftliche Choreografie „Amelia“ auf kleinen, über den Ausstellungsraum verteilten Bildschirmen gezeigt wird. Die Werke der Ausstellung sind eine Auswahl aus der Sammlung des Boijmans Van Beuningen Museums in Rotterdam. Ausgangspunkt dieser Zusammenarbeit sind Feierlichkeiten zum 400jährigen Bestehen der diplomatischen Beziehungen zwischen der Türkei und den Niederlanden. Ausgesucht wurden die 53 Arbeiten von Sjarel Ex, Direktor des niederländischen Museums. Neben bekannten Namen wie Vito Acconci, Bruce Nauman und Cindy Sherman, sind auch jüngere Künstler wie Cyprien Gaillard vertreten. Neben Videoarbeiten, die den Schwerpunkt bilden, werden ebenfalls Fotografien, Installationen und Malerei gezeigt.

Menschliche Beziehungen werden in der Ausstellung thematisiert, wobei der Aufbau lose in die Kapitel historische, persönliche und öffentliche Begegnungen eingeteilt ist. Dazu erklärte Sjarel Ex: “La La La Human Steps ist eine Ausstellung über menschliche Sehnsüchte, Beziehungen, Fehler; über Verzweiflung, Verrat, Schwäche und Konfrontationen im Leben. Diese Themen sind so alt wie wir und so alt wie die Kunst.“ So stellen die Künstler Fragen zur aktuellen Lage sowie der Zukunft der Menschen.

Dieses Thema behandelt auch der fast 13 Stunden lange Film „White House“ (2006) von David Claerbout aus Belgien. Der Film, der einen schnell in seinen Bann zieht, wird auf einer großen Leinwand ausgestrahlt. Über Kopfhörer werden die Dialoge übertragen, über Lautsprecher die Hintergrundgeräusche: Blätterrascheln, Wind, Vogelgezwitscher. Der Film spielt in einer Wüste Afrikas, vor einem teuren, im Kolonialstil erbauten Haus. Theatralisch und poetisch sind die Dialoge, glasklar die hoch definierten Bilder und brutal die Handlung. Der Film zeigt 73 Mal die fast identische, einzeln gefilmte 10minütige Szene eines dramatischen Streits zwischen zwei Männern. Ganz langsam wird die Szene erst heller, dann dunkler: die Tageszeit im Film ist an die Echtzeit im Museum angepasst.

Cyprien Gaillard, der letztes Jahr den Preis der Nationalgalerie für junge Kunst gewann, ist mit einem kurzen, überraschenden Video vertreten. In „The Lake Arches“ springen zwei junge Männer per Kopfsprung in einen See. Der eine stößt hart mit dem Kopf am Grund auf, beide tauchen hervor, der Verletzte sichtbar unter starken Schmerzen. Komplett ungespielt erscheint das Video wie eine missglückte Filmaufnahme. Immer wieder wird der fatale Moment des Sprungs, des Aufstoßens und des Schmerzes in der vierminütigen Schleife wiederholt.

Der Aufbau der Ausstellung orientiert sich am Thema, ältere und jüngere Werke werden gemischt. Man braucht natürlich etwas Zeit um sich wenigstens einige der Videos ganz anzusehen (wenn auch sicher nicht Claerbouts 13stündigen Film), doch es lohnt sich: Die Ausstellung zeigt eine gelungene und interessante Auswahl an Werken; viele von ihnen wirken nach und lassen einen so schnell nicht los.

Die Ausstellung ist noch bis zum 6. Mai im Untergeschoss des Museums zu sehen. Fortgesetzt wird die türkisch-niederländische Zusammenarbeit mit der Ausstellung „Istanbul Modern – Rotterdam“ seit 10. März in der niederländischen Hafenstadt.

After Yesterday
Die zweite Sonderausstellung im Istanbul Modern trägt den Titel „After Yesterday“ und stellt ausgewählte Fotografien aus der eigenen Kollektion des Museums sowie eine Reise durch die Zeit und die Entwicklung der Fotografie in der Türkei vor. Kurator der Ausstellung ist Engin Özendes, Direktor der Fotogalerie des Museums. Istanbul Modern ist das einzige Museum der Türkei mit einer eigenen Fotografiesammlung und Fotogalerie. Die Sammlung begann vor sieben Jahren mit einem Bestand von 312 fotografischen Arbeiten, heute besitzt sie mehr als 7000.
Fotografie kam vor allem durch französische Künstler und Fotografen ins Osmanische Reich. Sie hielten die ihnen so fremd erscheinenden Landschaften und Menschen der Straßen in Izmir und Istanbul Mitte des 19. Jahrhunderts fotografisch fest. Ein besonders interessanter Bestandteil der Ausstellung aus den Anfangstagen der Fotografie ist das zwei Meter lange Panorama der Abdullah Frères von 1890, das die Sicht auf die Stadt vom Galataturm zeigt.

Mehrere Bilder in der Ausstellung stammen von dem österreichischen Fotografen Othmar Pferschy, der in den Anfangsjahren der Republik durch die Türkei reiste und seine Erfahrungen auf mehreren tausend Bildern dokumentierte. Ara Güler, berühmter Fotograf und Fotojournalist, der den Spitznamen „das Auge Istanbuls“ trägt, dokumentierte seinerseits besonders das Stadtleben und gab den chaotischen Straßen Istanbuls ein menschliches Gesicht: Er fotografierte vor allem die Hafenarbeiter und Marktverkäufer, spielende Kinder oder trinkende Alte.

Wie in Frankreich oder Deutschland ist auch hier in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts eine klare Veränderung von der Dokumentarfotografie zu eher konzeptionellen Arbeiten zu spüren. Spielereien und Experimente wie Mehrfachbelichtung oder Verfremdungseffekte werden viel verwendet, so zum Beispiel durch den Einsatz von Spiegeln in öden Landschaften bei Mustafa Kapkin. Vermehrt wiederholt werden ähnliche Techniken auch hier in den 1980er Jahren, wie bei Sahin Kaygun, der Farbe und Kollagen auf seinen Fotografien anwendete oder in den surrealistischen Arbeiten von Ahmet Öner Gezgin.

Bei den zeitgenössischen Werken fällt besonders die 1983 geborene Sevim Sancaktar auf. In ihrer Serie „Transformers“ fotografiert sie bunte und teils kitschige orientalische Landschaftsmalereien auf grauen Straßenwänden. Die zweidimensionale Flächigkeit der Bilder erscheint als Illusion einer idealen Welt als Flucht vor der Realität.

Als Einstieg in die türkische Fotografie seit ihren Anfangstagen ist die Ausstellung interessant. Allerdings stechen wenige Werke heraus, vieles ist sehr vorhersehbar und weniges überrascht. Als kurze Reise durch die Zeit macht die Ausstellung als Abstecher nach dem Besuch von „La La La Human Steps“ aber durchaus Spaß.

Bibliothek
Einen Besuch wert ist auch die kleine aber durchaus gut bestückte Kunstbibliothek im Untergeschoss des Museums. Unter den etwa 8000 Titeln sind auch viele englischsprachige, vor allem Ausstellungskataloge und Kunstmagazine. Eingeleitet wird dieser Teil des Museums durch Richard Wentworths Installation „False Ceilings“ (1995-2005). Verschiedenste Bücher (viele von ihnen hat der Künstler auf Berliner Flohmärkten gefunden – darunter Romane, Sachbücher und Gebrauchsanweisungen für Geräte, die längst nicht mehr auf dem Markt erhältlich sind) hängen an dünnen Fäden über den Köpfen der Besucher von der Decke. Leider ist die Bibliothek nur mit dem Eintrittsticket des Museums zugänglich und so nicht gerade ein Ort der öffentlich zugänglichen Bildung. Wentworths Installation, bei der die Bücher nur von außen betrachtet werden können, passt ironischerweise also perfekt.

Fotos: Stadtansichten von Istanbul, Teresa Reichert

„After Yesterday“ bis 3. Juni 2012
„La la la Human Steps“ bis 6. Mai 2012

Istanbul Modern
Meclis-i Mebusan Cad.
Liman Isletmeleri
Sahasi Antrepo No: 4
Karaköy
34433 Istanbul
+90 212 334 73 00
istanbulmodern.org

Teresa Reichert





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