So eine Busfahrt ist ja mitunter alles andere als lustig. Auch nicht unbedingt schön. Und von Luxus weit entfernt. Dennoch geht´s voller Vorfreude am frühen Morgen im Kreise einer überschaubaren Gruppe auf den Weg nach Bratislava. Dort steht – im Rahmen des Europäischen Monats der Fotografie – zum zwanzigsten Mal der Monat ganz im Zeichen der Fotografie. Umso spannender verspricht die Reise zu werden, da sich nach den ersten Eindrücken in Österreichs Hauptstadt nun ein direkter Vergleich ziehen lässt.
Zunächst einmal ist festzustellen, dass sich sowohl die Anzahl der Ausstellungsorte als auch jene der beteiligten Künstler weitaus bescheidener gibt als in Wien. Als Zweites fällt auf, dass sich ein gutes Drittel der vorgestellten Ausstellungen im weitesten Sinne historischer Themen annimmt. Sei es Photographic History 1840-1950, In the Shawdow of Third Reich oder die zahlreichen Retrospektiven verstorbener Künstler – offensichtlich schwelgt man hier gerne in Nostalgie. Kein Wunder, fühlt man sich doch nach einem Rundgang durch die verschlafene Altstadt selbst in die Vergangenheit versetzt.
Die Entdeckungstour beginnt dann auch mit einem Rückschritt, wenn auch ortsbezogen: Plötzlich ist man wieder in Wien. Tatsächlich hat der deutsche Fotograf Frank Robert sich mit den Stimmungen des Praters auseinandergesetzt und zwar Jenen, fernab der üblichen Besuchermassen. Seine Werkgruppe Endstation Sehnsucht wagt einen melancholisch gefärbten Blick auf verrammelte Buden, abgesperrte Fahrgeschäfte und unter Folie begrabene Tierplastiken. Wenn doch einmal ein Mensch zu sehen ist, dann fast ausschließlich einzeln – einsam seine Runden drehend, ganz allein im Karussell, verloren zwischen all den Vergnügungsangeboten. Die besten Fotos, die trüben, matten, überzeugen durch eine ganz eigene faszinierende Traurigkeit, eine fast kindliche Sehnsucht. Leider ist nur ein Bruchteil der Arbeiten als Drucke im Ausstellungsraum vorhanden; den Rest muss der interessierte Besucher als viel zu schnell ablaufende Diashow auf einem dafür vorgesehen Computer über sich ergehen lassen.
Weiter führt einen der Weg in den Dom umenia, eine Kunst-und Kulturinstitution, die aktuell fünf Ausstellungen unter ihrem Dach vereint. Neben der Gesamtschau World Press Photo 2010, sind das Einzelausstellungen von Robo Kocan, Marcos López, Martin Parr und Nepokojné médium/ Yeasty Medium, die einen Überblick über zwanzig Jahre Fotografie in der Slowakei zu geben sucht.
Große Freude bereitet Luxury. Martin Parr, britischer Fotograf, unter anderem tätig für Magnum, überlegt, was Luxus heute, im Zeitalter von kapitalistischen Exzessen und Wirtschaftskrise, bedeuten kann. Neben den wenig überraschenden Statussymbolen wie Designerhandtaschen, Champagner und Ferraris impliziert nicht zuletzt der Ort selbst eine Vorstellung von Reichtum, so etwa das jährliche Pferderennen in Ascot oder die Art Fair in Dubai. Überhaupt scheint Kunst, ganz im marx’schen Sinne, ein möglicherweise verzichtbarer Überbau zu sein, wenn man Parrs zahlreiche Aufnahmen von Vernissagen und Kunstevents berücksichtigt.
Weniger erwähnenswert sind hingegen die Einzelausstellungen der anderen Künstler: Robo Kocan, Gallionsfigur der slowenischen Fotografieszene, mutet dem Betrachter mit seinen kryptischen, esoterisch angehauchten Aufnahmen von Geistern und übernatürlichen Erscheinungen Einiges zu.
Ähnlich überfordert verlässt man den Raum, in dem Marcos López seine Vorstellung des zeitgenössischen Argentiniens wiedergibt. Die grelle Ästhetik erinnert an eine wenig überzeugende Version von David LaChapelle, den mit roter Tinte bespritzten Zwitterwesen fehlt jede Subtilität.
Mit der Vorstellung von Dekadenz, die noch nachklingt, geht es zur Galéria F7. Hier wird die Arbeit der koreanischen Künstlerin Ji Hyun Kwon gezeigt, Gewinnerin der Portfolio Review des Monats der Fotografie aus dem vergangenen Jahr in Bratislava.
Mitten durch den Raum spannt sich eine Schnur, auf der Wäschestücke zum Trocken aufgehängt wurden, die einen schönen Bezug zu den fotografischen Arbeiten und dem Video herstellt, in denen Ji Hyun Kwon die Lebensumstände ausgewählter Studenten ihres Heimatlandes porträtiert. Streng nach Geschlechtern getrennt fristen diese, eingeschlossen in winzigen dormitories ein Dasein, scheinbar ohne jede Privatsphäre. Besonders verwunderlich ist daran, dass auf fast jedem Foto mindestens einer von Beiden mit seinem Laptop beschäftigt ist. Die virtuelle Kommunikation hat die reale ersetzt; das soziale Netzwerk hat Vorrang vor einem Gespräch mit dem Zimmernachbarn.
Abgesehen von dieser implizierten Medienkritik hat man es hier mit einem radikalen Kontrast zu Martin Parrs Entwurf von zeitgenössischer Dekadenz zu tun. Oft sehen die Menschen auf seinen Fotos kaum zufriedener aus als Ji Hyun Kwons Studenten.
Luxus ist ganz offensichtlich ein subjektiver Zustand und nicht unbedingt mit einem Gefühl von Zufriedenheit gleichzusetzen.
Eine Busfahrt als Luxus zu bezeichnen scheint trotzdem eher abwegig. Schön sein kann sie trotzdem. Lohnenswert auf jeden Fall – wenn sie, wie in diesem Fall, so viel Kunst auf einmal bietet.
Monat der Fotografie Bratislava
2.-30. November 2010
Verschiedene Ausstellungsorte
www.sedf.sk
Frank Robert
Endstation Sehnsucht
Rakúske kultúrne fórum
Zelena 7
Mo-Do 10.00-18.00 Uhr, Mi 9.00-18.00 Uhr. Fr 9.00-16.00 Uhr
Dom umenia
Námestie SNP 12
Täglich 11.00-19.00 Uhr
Ji Hyun Kwon
The Winner Of Portfolio Review, Month Of Photography 2009
Galéria F7
Frantiskánske nám.7
Di-So 14.00-18.00 Uhr
Eva Biringer
Kataloge/Medien zum Thema:
Monat der Fotografie
neurotitan
Galerie Alte Schule im Kulturzentrum Adlershof
Haus am Lützowplatz / Studiogalerie
Stiftung Kunstforum Berliner Volksbank
Kommunale Galerie Berlin