Giulia Piscitelli (*1965) und Clemens von Wedemeyer (*1974) verstehen ihre Kunst im gesellschaftlichen Kontext. Die beiden Kunstschaffenden nehmen eine engagierte Haltung ein und beschäftigen sich in ihrer Arbeit mit den globalen Bewegungen von Menschen, Ideen und Waren. Piscitellis Objekte und Bilder, von Wedemeyers Videos und künstlerische Recherchen untersuchen die Mechanismen, mit denen eine Gesellschaft Zugang gewährt oder ausschliesst.
Nella società, in Gesellschaft ist als loser Dialog der beiden Positionen gedacht. Giulia Piscitelli reflektiert das konfliktreiche Aufeinandertreffen von politischer und individueller Dimension anhand von Erinnerung, Zeit, Körperlichkeit und Arbeit. Die italienische Künstlerin lässt sich vom neapolitanischen Alltag, von Materialien und Eindrücken am Strassenrand oder auf dem Markt inspirieren. Oft greift sie alltägliche Dinge auf und verwandelt diese.
Dabei kombiniert sie Objekte mit grosser Symbolkraft, beispielsweise überzieht sie katholische Beichtstühle mit islamischen Gebetsteppichen. Una nuvola come tappeto (2019), so der Titel der Arbeit, die in Luzern zum ersten Mal zu sehen ist, verweist auf die Verbindung und den Widerspruch von Seelenheil und Angstmacherei, aber auch auf Parallelen zwischen Religionen.
Spica (2011) dagegen verknüpft Zahlungsmittel mit Getreide. Die Ähren, die Giulia Piscitelli mit Bleichmittel auf Seide malt, stammen nämlich alle von Scheinen und Münzen verschiedener Währungen. Indem sie Bleiche als Zeichnungsmittel verwendet, verschränkt die Künstlerin Schaffensprozess und Zerstörung und erzählt gleichzeitig von Furchtbarkeit, Sesshaftigkeit, alten Mythen, Handel und der oft zwiespältigen Verbindung von Kapital und Nahrung.
Clemens von Wedemeyer nimmt historische Perspektiven auf, um unsere Gegenwart zu reflektieren. Für die Ausstellung im Kunstmuseum Luzern dient dem deutschen Künstler Elias Canettis Klassiker Masse und Macht von 1960 als Folie, um die Lenkung von Massen in unserer Gesellschaft zu untersuchen. Er hat in Luzern einen neuen Film realisiert – wir haben dafür anfangs Jahr Statistinnen und Statisten gesucht. Faux Terrain (2019) zeigt eine junge Erwachsene, deren Identität ungeklärt bleibt. Lange Isolation hat sie sprachlos gemacht und der Welt entfremdet. In Luzern besucht sie Orte, die Geschichte und Gegenwart der Schweiz verbinden: Das Bourbaki Panorama, das Kunstmuseum Luzern und die grösste Zivilschutzanlage der Welt im Sonnberg in Luzern. Psychisch isoliert, versucht sie den Blicken der Menge zu entfliehen, bis sie schliesslich in die Bildwelt auf dem Bildschirm in ihrer Hand eingesogen wird. Eine weitere
Arbeit von 2019 thematisiert die Gruppendynamik: Für 70.001 transformiert von Wedemeyer die Montagsdemonstrationen in Leipzig 1989 in den virtuellen Raum. So verknüpft er Vergangenheit und Gegenwart, Realität und Fiktion und fragt, ob die Welt besser wär, wenn sie durch Computeralgorithmen statt durch politische Entscheidungen gesteuert würde oder ob das eher eine Art von Techno-Faschismus wäre.
Kunstmuseum Luzern
Europaplatz 1, 6002 Luzern
Tel. +41 41 226 78 00
www.kunstmuseumluzern.ch
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GalerieETAGE im Museum Reinickendorf
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