Neun Monate im Jahr ist Steve McCurry auf Reisen und das nun seit mehr als dreißig Jahren. Er ist einer der gefragtesten Dokumentarfotografen, wobei sein Fokus besonders dem asiatischen Kontinent gilt. Er fotografiert Landschaften, dokumentiert Straßenszenen sowie sakrale Stätten und Bräuche, porträtiert Menschen und berichtet aus Krisengebieten.
Unter dem Titel „Im Fluss der Zeit“ zeigt das Kunstmuseum Wolfsburg aktuell etwa 100 dieser Fotografien aus Asien von 1980 bis 2011. Übrigens ist es das erste Mal, dass das Museum in seiner Reihe von Klassikern wie Man Ray, Edward Steichen und Henri Cartier-Bresson eine Einzelausstellung eines lebenden Fotografen präsentiert.
Als Magnum-Fotograf steht McCurry mit dem Anspruch, die Welt so zu zeigen wie sie ist, in der Tradition ethisch ambitionierter Fotografen wie Henri Cartier-Bresson oder Robert Capa.
Bekannt wurde McCurry durch sein Porträt eines afghanischen Mädchens im Flüchtlingslager, das dem Betrachter im zerschlissenen roten Gewand mit ihren durchdringenden grünen Augen entgegenblickt. Ein Bild, das zur Ikone wurde und 1985 um die ganze Welt ging. 2002, 17 Jahre später, hat McCurry Sharbat Gula wieder aufgesucht und fotografiert. Das erhabene und zugleich verstörte Gesicht von damals ist einem früh gealterten gewichen und spiegelt Spuren erlebten Schreckens wider.
Es sind diese intensiven und emotionalen Bilder, die den Kern der Ausstellung ausmachen. Bilder, die einen Moment fixieren, indem die Seele eines Menschen sichtbar wird, wie McCurry seinen eigenen Anspruch definiert. Es sind keine flüchtigen Aufnahmen im Vorübergehen, vielmehr hält er jedes Detail der Gesichtszüge, jedes Staub- oder Puderkorn fest und begegnet den Menschen mit Würde und Respekt.
Steve McCurrys ungebrochene Nähe zu Asien liegt in der Faszination des kulturellen Lebens, das sich auf der Straße abspielt. Ihn interessieren das kulturell Fremde im Umgang mit der Tradition und der Gegensatz zwischen asiatischen und westlichen Ländern. Während im säkularen Westen, wo nichts heilig sei, alles im Verborgenen stattfinde, verschmelze hier Profanes mit Spirituellem in der Öffentlichkeit, erklärt die Kuratorin Uta Ruhkamp.
Viele der Aufnahmen wirken inszeniert, doch Steve McCurry arrangiert nicht, er findet. Er wartet auf den richtigen Moment, um ein perfekt komponiertes Bild aus dem Fluss der Zeit herauszuschneiden. Mit diesem Wissen wird die eigentliche Könnerschaft des Fotografen erkennbar. Seine Sprache ist die des Lichts und der Farbe, seine Rhetorik die des Kontrastes, führt Ruhkamp aus. Auf der Suche nach Harmonie und Balance verleiht er seinen Bildern mit Farbe eine Intensität, die den asiatischen Ländern mit ihren vielfältigen, vibrierenden Farben nachspürt.
Sein Interesse gilt dabei nicht dem lauten Geschehen, sondern den leisen Momenten. So dokumentiert er die Auswirkungen des Krieges und die Stille nach dem Kampf. Er radikalisiert die Ästhetik, um genauer hinzusehen. Es finden sich traurige Gesichter von Opfern von Landminen, ein sterbender Vogel in einem Ölteppich zur Zeit des ersten Golfkrieges in Kuwait oder ein junger Straßenverkäufer, der ein ausgebranntes Auto mit Schusslöchern als Verkaufsstand für seine Orangen nutzt.
Ein anderes Thema, das Steve McCurry beschäftigt, ist der Kontrast von Tradition und Innovation. Er beobachtet den kulturellen Wandel und die Veränderungen durch die Globalisierung: Eine Geisha steigt die Treppen einer U-Bahn herauf, ein Mönch trinkt eine Cola, Frauen kaufen in ihren traditionellen bunten Burkas Turnschuhe. Beeindruckend ist auch das Bild einer Dampflok vor dem Hintergrund des Taj Mahal.
Es sind eindrucksvolle Aufnahmen, die das Kunstmuseum Wolfsburg in seiner Schau versammelt hat. Bilder, deren Reiz in der Spannung zwischen Ethik und Ästhetik liegt, und die immer wieder die Frage nach der Grenze zwischen Dokumentar- und Kunstfotografie aufwerfen. Bilder, die von so großer Farbenpracht und Intensität leben und Geschichten von kulturellen Begegnungen erzählen, die in Erinnerung bleiben.
Steve McCurry – Im Fluss der Zeit. Fotografien aus Asien 1989-2011
Kunstmuseum Wolfsburg
Hollerplatz 1, 38440 Wolfsburg
Ausstellungsdauer: 19.01.2013 – 16.06.2013
Öffnungszeiten: Di 11-20 Uhr, Mi-So 11-18 Uhr
kunstmuseum-wolfsburg.de
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