Die deutsche Künstlerin Johanna Diehl (1977 in Hamburg geboren) beschäftigt sich mit Räumen von historischer Relevanz. Sie dokumentiert in fotografischen Serien Orte, Gebäude und Innenräume, an denen sich die Geschichte des 20. Jahrhunderts manifestiert. In ihren Aufnahmen von Oberflächen und Architekturen vergangener Kulturen und Mächte lenkt die
Künstlerin den Blick auf die Spuren der Geschichte, auf Verfall, Erhaltung und Überformung.
In der 2013 entstandenen »Ukraine Series« dokumentiert Johanna Diehl das heutige Erscheinungsbild einstiger Synagogen in der Ukraine. Im Zuge der antireligiösen Politik der Sowjetunion waren sie bereits in der Zeit zwischen den Weltkriegen enteignet und teilweise in kommunale Zentren wie Kinos, Sporthallen und Klubs umgewandelt worden, deren Funktion sie häufig bis heute erfüllen. Das religiöse Leben verlagerte sich daraufhin von der Synagoge in den Privatraum. 1941 leitete die deutsche Besatzungsmacht den Genozid an den ukrainischen Juden ein, was zur fast völligen Vernichtung der jüdischen Gemeinden in der Ukraine führte.
Johanna Diehl spürt den historischen Schichten der entweihten und verfremdeten Sakralräume nach. Ihre präzisen, analog mit der Großformatkamera aufgenommenen Fotografien präsentieren große Blickwinkel und lenken so die Aufmerksamkeit auf die Raumgestalt, an der sich die ursprünglich religiöse Bestimmung oft noch in frappanter Weise
offenbart. Johanna Diehls stille, menschenleere Fotografien fragen nach den Spuren der brutalen Verfolgungen und Umbrüche des 20. Jahrhunderts, die diese Gebäude geprägt haben. Architektur wird in diesen Fotografien zum stummen Zeitzeugen, dessen Erfahrungen sich in einzelnen erhaltenen Ausstattungsdetails, Rissen und Brüchen genauso offenbaren wie in neuen Oberflächen und modernem Mobiliar.
Johanna Diehl studierte in Leipzig bei Timm Rautert und als Meisterschülerin bei Tina Bara. Studienaufenthalte brachten sie zu Jean-Marc Bustamante und Christian Boltanski in Paris und mit Boris Mikhailov in die Ukraine. Sie erhielt bereits mehrere Förderungen und Auszeichnungen, zuletzt ein Stipendium der Deutschen Akademie Casa Baldi in Rom für das Jahr 2016.
Ihr 2014 bei Hatje Cantz erschienenes Fotobuch »Borgo Romanità Alleanza«, das sich mit dem architektonischen Erbe des faschistischen Italien auseinandersetzt, wurde 2015 mit dem Deutschen Fotobuchpreis (Silber) ausgezeichnet. Die Künstlerin lebt und arbeitet in Berlin.
In der Studioausstellung wird eine Auswahl der »Ukraine Series« gezeigt, die zum ersten Mal der Öffentlichkeit präsentiert wird. Zeitgleich mit der Ausstellung erscheint im Sieveking Verlag ein Künstlerbuch zur »Ukraine Series« mit Texten von Juri Andruchowytsch und einem Essay von Bernhard Maaz.
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