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Boris Lurie

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Saâdane Afif This Is Ornamental

19.09 - 18.11. 2018 | Kunsthalle Wien

Der französische Künstler Saâdane Afif hat bereits an mehreren Gruppenausstellungen der Kunsthalle Wien teilgenommen, darunter Blue Times (2015), Individual Stories. Sammeln als Porträt und Methodologie (2015) und Politischer Populismus (2015–2016). Mit This Is Ornamental zeigt die Kunsthalle Wien nun Afifs erste Einzelausstellung in Österreich.

Kennzeichnend für Afifs Praxis ist ihre außerordentliche Vielseitigkeit; im ständigen Wechsel der Formen, Kategorien, Inspirationsquellen und Verfahren scheint sie manchmal kaum greifbar. Seine Arbeiten sind in fortwährendem Wandel und sprengen die Vorstellung vom Kunstwerk als Endergebnis eines schöpferischen Akts. Dazu lädt er Menschen aus verschiedenen Bereichen zur Zusammenarbeit ein. Sie bringen ihre subjektiven Vorstellungen und besonderen Kenntnisse ein, die er sich wiederum zu eigen macht und in endlosen Rückkopplungsschleifen in seinen Arbeiten widerhallen lässt. In seiner Kunst ist Autorschaft nicht tot, sondern ins Unendliche erweitert. Entsprechend vielfältig ist auch die Rezeption und Interpretation seiner Werke. Jede Zusammenarbeit bringt die subjektive Deutung eines existierenden Werks zur Anschauung; jedes neu entstehende Werk ist eine Nachschöpfung, Fortsetzung, Weiterentwicklung älterer Bestandteile.

In der Ausstellung in der Kunsthalle Wien Karlsplatz kommt eine neue Wendung ins Spiel. Afif verfolgt nicht nur sein Verfahren der Zusammenarbeit, Umarbeitung und Abwandlung weiter, wobei er stets mit der Autorschaft am Werk, dessen Verdinglichung zum Objekt und seiner Rezeption spielt. Er setzt sich nun auch mit dem gesamten Prozess der Musealisierung, Institutionalisierung und letztlich Historisierung auseinander. Anfang 2014 präsentierte Saâdane Afif anlässlich der 5. Biennale von Marrakesch die Performance Souvenir: La Leçon de Géométrie. Er lud Professor Dahmad Boutfounast ein, auf dem Djemaa el Fna, dem legendären Hauptplatz der Stadt, Geometrieunterricht zu geben. In der Abenddämmerung versammeln sich dort Akrobaten, Krämer, Geschichtenerzähler, Musiker, Schlangenbeschwörer, Wahrsager und allerlei Gauner, um ihr Können zu zeigen oder ihrem Gewerbe nachzugehen. Professor Boutfounast fand sich jeden Abend mit einem Flipchart ein, um sein Publikum die Grundlagen der euklidischen Geometrie in sieben Kapiteln zu lehren: Punkt, Linie und Ebene; Kreis; Dreieck; Quadrat; Rechteck;Vieleck und schließlich Rauminhalt.

In einem Prozess der Sedimentierung und Verkettung wurde die Performance zum Ausgangspunkt einer linguistischen und formalen Untersuchung, aus der die erste neue Arbeit hervorging, die der Künstler nun in seiner Ausstellung This Is Ornamental in der Kunsthalle Wien zeigt. 2016 beauftragte Saâdane Afif den Schriftsteller Thomas Clerc mit einem Theaterstück auf Grundlage von Souvenir: La Leçon de Géométrie, in dem er ein vom Künstler erdachtes Szenario ausarbeiten sollte: „Einige Zeit später spielte sich Merkwürdiges in Marrakesch ab; einige der Gestalten, die typischerweise auf dem Djemaa el Fna anzutreffen waren, begannen, sich ‚auf Geometrie‘ zu verständigen, das heißt eine ornamentale Sprache zu sprechen. Wir beobachteten – und mehr noch, belauschten – Gespräche von höchstem Abstraktionsgrad in den Gassen der Kasbah oder auf den CaféTerrassen am Rande des Platzes. Eines dieser Gespräche wird ein Zeuge, der selbst dabei war, uns nun einige Jahre später in Wien originalgetreu wiedergeben.“

Die literarische Auftragsarbeit erscheint als Erweiterung eines vergangenen Ereignisses – der Performance – und zugleich als Versprechen auf die Zukunft im Werk des Künstlers: Sie geht aus ihm hervor und ist zugleich Quelle von Anregungen für neue Entwicklungen.
Erst 2017 entdeckte der Künstler in Marrakesch im Maison de la Photographie ein Porträt aus den 1930ern, das eine junge Araberin beim Carambolagespiel zeigte

1. Es handelte sich um Yasmine d’Ouezzan (1913–1997), eine Französin mit marokkanischen Wurzeln, die Siegerin der ersten Carambolagemeisterschaft für Frauen in Frankreich und Muse einiger Künstler ihrer Zeit war. Sie war Teil des für das Stück zu bearbeitenden Materials und verwandelte sich während der Arbeit daran in seine Protagonistin.

Die Erzählung und die Charakterisierung der Figuren oszillieren zwischen Absurdität, Abstraktion, Klischee und Karikatur, was vielfältige Interpretationsmöglichkeiten eröffnet. Trotz der abstrakten Sprache und der manchmal absurden Situationen dreht sich das Stück um eine Suche nach Sinn, Yasmines persönliche Sinnsuche, die als Suche nach einem Heptaeder – einem geometrischen Körper mit sieben Flächen, der einem Haus ähnelt – dargestellt wird. Die Erreichung ihres Ziels scheint vom Austausch mit den sieben anderen Figuren abzuhängen, durch den sie sich schließlich für ein radikal Anderes öffnet. Sprache wird zum Werkzeug wie Ornament in den Beziehungen zwischen den Figuren und begleitet Yasmine auf der Reise in eine andere Daseinsform.

This Is Ornamental in der Kunsthalle Wien Karlsplatz ist Afifs erstes Ausstellungsexperiment auf Grundlage von Thomas Clercs Text L’Heptaèdre und bezieht sich auf dessen zwei Hauptelemente: den Text selbst als sprachliches
Material und seine Hauptfigur Yasmine d’Ouezzan.

Die englische Fassung des Manuskripts erscheint in voller Länge auf einem großen LED-Paneel. An der Decke des Ausstellungsraums angebracht, erinnert es unwillkürlich an Übertitel in Theatern. Auf der anderen Seite des Raumes werden etwa sechzig Dokumente zu Yasmine d’Ouezzans Leben, die der Künstler in den Monaten vor der Ausstellung sammelte, auf einer mehrere Meter langen, gelb gestrichenen Konstruktion aus Holz gezeigt. Die stark von der Raumkonfiguration und Architektur der Kunsthalle Wien Karlsplatz inspirierte Szenografie lässt an Wechselausstellungen in Rathäusern oder Fremdenverkehrsämtern denken. Als französische Billardmeisterin von 1932 bis 1938 genoss Yasmine d’Ouezzan eine gewisse Berühmtheit in Kreisen der europäischen Bourgeoisie der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts und war zudem die Muse von Künstlern wie Vincent Scotto.

In der größeren Öffentlichkeit allerdings geriet sie bald in Vergessenheit. Afifs Geste ist nicht nur eine Hommage an d’Ouezzan, sondern bringt sie auch wieder als Figur innerhalb einer differenzierten Kulturgeschichte zur Geltung, welche die offizielle Geschichtsschreibung mit ihrem Fokus auf männliche Heroen konterkariert. Aus den Stimmen von Journalisten, die über sie berichteten, Bildern von Fotografen und Unterlagen aus Archiven, entwirft die Arbeit eine anonyme Vielstimmigkeit, ohne in die Falle ideologischer Instrumentalisierung zu tappen. Die ganze Schau oszilliert zwischen fiktiven und dokumentarischen Momenten, zwischen (fingierter) Musealisierung und Mythologisierung. In Afifs Werk wird d’Ouezzan zu einem vielseitig facettierten Motiv, das der Künstler erschafft, um seinerseits eine neue künstlerische Gestalt zu erfinden und zum Leben zu erwecken.

Der Titel der Ausstellung, This Is Ornamental, klingt wie eine Entgegnung auf die Lektion, die Adolf Loos seinen Zuhörern erteilen wollte, als er 1908 in Ornament und Verbrechen das Ornament als überflüssiges und veraltetes Anhängsel brandmarkte, das in Architektur und Handwerk zuhause sei. In der westlichen Tradition hat man Ornamentierung bis in die jüngste Vergangenheit als gefälliges Beiwerk zu einem Hauptgegenstand verstanden, der allein sinnhaft sei. Im Orient hat das Ornament einen ganz anderen Stellenwert; wegen des religiösen Bilderverbots hat es sich dort zu einem komplexen System entfaltet, das, ganz anders als in der im Westen lange vorherrschenden formalistischen oder universal-essentialistischen Lesart, auf kognitive und emotional-ästhetische Erfahrungen abzielt. In der Ausstellung ist keine Dekoration zu erkennen, keine Spielart dessen, was wir typischerweise als
ornamental wahrnehmen würden. In einer kühnen Umkehrung präsentiert vielmehr die ganze Schau sich als ornamental – und damit auch die Themen, die sie umfasst: Sprache, Geometrie, die Gestalt Yasmine, Kunst. So formuliert der Künstler seinen Eingriff nicht nur als Widerspruch gegen die üblichen Hierarchien des Sichtbaren, er eröffnet auch einen transkulturellen Dialog zwischen Ost und West, der mit den gegenseitigen Projektionen und Rezeptionen spielt, die für ein konfliktreiches, von Klischees und oft auch von Gewalt geprägtes Verhältnis bestimmend waren.

Afifs Kunst erwächst letztlich aus einer politischen Geste, die Widerstand gegen die Vorstellung eines linearen und abschließbaren Prozesses und den ungebrochenen Konsum von Kunst leistet. Er öffnet seine Werke und macht sie über zahlreiche Perspektiven erfahrbar. Diese konstanten Rückkopplungen feiern weder den Tod des Autors noch die Relativität des Kunstwerkes, sondern dienen einer – oft melancholischen – Hinterfragung der Vanitas und der Vergänglichkeit. Solange die Kunstwerke übersetzt und dekliniert werden, solange sie Kommentare provozieren, richtige oder falsche, fachliche oder laienhafte, bleiben sie weiterhin lebendig und fallen nicht der von der Kunstwelt fetischisierten Verdinglichung anheim.

In Zusammenarbeit mit Wiels, Brüssel; La Panacée, Montpellier; und dem Kunstmuseum Liechtenstein wird Saâdane Afifs erste umfangreiche Monografie erscheinen.

Kuratorin: Anne Faucheret
Saâdane Afif (*1970, Vendôme, Frankreich) ist Konzept- und Installationskünstler und lebt und arbeitet in Berlin.

Seine Arbeit konzentriert sich auf Interpretation, Austausch und Zirkulation und erkundet die Möglichkeiten verschiedener Medien (Performance, Objekte, Texte und Druckschriften), ohne dass seine Methoden bestimmten Disziplinen zuzuordnen wären. Alle seine Projekte unterliegen einem kontinuierlichen Veränderungsprozess. Zu seinen jüngsten internationalen Ausstellungen zählen Paroles, Wiels, Brüssel (2018); Ici., Leopold-Hoesch-Museum & Papiermuseum, Düren (2017) und Là Bas., La Panacée, Montpellier, Frankreich (2017); The Fountain Archives, Nouveau Musée National de Monaco (2017) und Centre Pompidou, Paris (2017); Quoi? – L’Éternité, Atelier Hermès, Seoul (2016); Vice de Forme: Das Kabarett, Hamburger Bahnhof, Berlin (2016); Das Ende der Welt, Museum für Naturkunde, Berlin (2015) und Politischer Populismus, Kunsthalle Wien (2015). Seine Arbeiten waren bei der Documenta 12 (2007) und in der internationalen Ausstellung auf der 56. Biennale in Venedig (2015) zu sehen. Der Künstler wurde 2009 mit dem Prix Marcel Duchamp ausgezeichnet und konnte so 2010 eine Ausstellung im Centre Georges Pompidou
in Paris zeigen; 2015 gewann er den Prix Meurice pour l’art contemporain.

Kunsthalle Wien
Treitlstraße 2,
1040 Wien, Austria
kunsthallewien.at


Presse





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