Courbet. Ein Traum von der Moderne - Schirn Kunsthalle Frankfurt (15.10.10–30.1.11)
15.10.2010

Der französische
Maler Gustave Courbet (1819–1877) ist einer der faszinierendsten Künstler des 19. Jahrhunderts. Er gilt als bedeutendster Vorkämpfer einer politisch-realistischen Malerei und als Revolutionär der Pariser Commune. Courbet hat aber auch eine ganz andere Seite: Er war einer der großen Träumer der Geschichte. In seinen Porträts, aber auch in seinen Landschaftsbildern, Zeichnungen und Stillleben schildert er eine Welt der Nachdenklichkeit und der Wendung nach innen – ganz im Gegensatz zur hektischen Industrialisierung seiner Zeit. Anhand von rund 100 Werken aus 11 Ländern – darunter Leihgaben aus Stockholm, Paris, Montpellier, Los Angeles, New York und Oslo – wird vom 15. Oktober 2010 bis 30. Januar 2011 in der Schirn Kunsthalle Frankfurt erstmals dieser „andere“ Courbet vorgestellt. Mit der von Professor Klaus Herding kuratierten Ausstellung wird gezeigt, wie Courbet ausgehend von der deutschen Romantik die Vision einer poetischen Kunst der Moderne realisiert hat, wie sie in der Folge bei Cézanne und Picasso, aber auch im Symbolismus, im Surrealismus und im magischen Realismus weiterentwickelt wurde. Die traumwandlerische Sinnlichkeit, die viele von Courbets Werken ausstrahlen, aber auch die Versenkung in entlegene, der Außenwelt verborgene Gegenden, sind ein Grund dafür, dass sich heute viele Künstler der Gegenwart auf ihn berufen.
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Gustave Courbet, 1819 in Ornans bei Besancon in der Region Franche-Comté als Sohn einer gutbürgerlichen Familie geboren, gilt seit jeher als Verfechter einer sozial engagierten Kunst. Berühmt ist in diesem Zusammenhang vor allem sein Gemälde „Die Steinklopfer“ (1849, 1945 vermutlich zerstört), in dem er den harten Alltag der Tagelöhner unbeschönigt vor Augen führt. Courbets Schaffen wird außerdem mit seinem Engagement in der Pariser Commune in Verbindung gebracht. Für den Sturz der die napoleonischen Kriege ehrenden Vendome-Säule durch die Pariser Commune im Mai 1871 wird Courbet 1873 allein verantwortlich gemacht. Er flüchtet noch vor dem Urteilsspruch in die Schweiz, wo er 1877 in La Tour-de-Peilz am Genfer See stirbt.
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Bewusst rückt die
Ausstellung in der Schirn das Phänomen des Realismus in den Hintergrund und kehrt den „anderen“, träumerischen Courbet hervor. Aus gutem Grund: Denn selbst wo es bei Courbet einen unmittelbaren Zugriff auf die Realität gibt, erweist sich dieser als ein Mittel der Innenwendung und Verfremdung. Courbets Porträts zeigen oft einen träumerischen Hang zur Introspektion, Landschaftsbilder stellen abgelegene Fels- und Waldgebiete vor, Meeresbilder zeugen von Einsamkeit, Jagdbilder sprechen von Identifikation mit dem Opfer, Stillleben führen uns in eine verwunschene Welt, in der die Maßstäbe der Außenwelt nicht mehr gelten. Nicht wenige Figuren sind traumverloren, werden schlafend oder im Halbschlaf vorgestellt, oft mit Anzeichen jener Sehnsucht, die auf einen Wunschtraum schließen lässt. Selten sind Courbets Figuren handelnd dargestellt, mitunter ist die Erzählung innerhalb eines Bildes unterbrochen, manchmal bricht ein heftiges Gefühl hervor, meist aber herrschen leise Zwischentöne vor.
Die
Technik des Künstlers entspricht diesem Hang zu Zwischentönen. Grelle, ungemischte Farben sind selten. Courbet meidet Eindeutigkeit. Vielfach bezeichnet die Farbe nicht mehr einen bestimmten Gegenstand, sondern reicht über diesen hinaus oder „unterwandert“ ihn sogar, verteilt sich über das Bild und gibt dem Zufall Raum. Durch die Methode, Farbe mit dem Spachtel auf- und wieder abzutragen, hat Courbet eine „ordentliche“, sprich akademische, Feinmalerei buchstäblich unmöglich gemacht. Auch kommt es zu erstaunlichen Umkehrungen. Das Feste (wie Felsgestein) wird transparent, das Unfeste (wie Wasser) wird undurchdringlich wiedergegeben. Dabei wechselt der Maler oft sprunghaft zwischen beiden Arten des Farbauftrags. Solche Verfahren haben die Sehgewohnheiten des 19. Jahrhunderts erschüttert und wirken bis zur Kunst der Gegenwart weiter, sodass wir Courbets Bedeutung heute in dieser Umwälzung und weniger in revolutionären Gesten erkennen.
Schließlich offenbart
Courbet in seinen Gemälden und Zeichnungen ein ungewöhnlich breites emotionales Spektrum, das von Erschrecken und Selbstzweifeln spricht, aber auch kranke und misstrauische Züge von Zeitgenossen einfängt oder aber Überlegenheit und selbstbewusstes Auftreten zeigt – dies alles, ohne sich je dem zu seiner Zeit vorherrschenden Bedürfnis nach idealisierender Repräsentation zu beugen. Die in den Porträts betriebene Erforschung der Innenwelt und die in den Landschaftsbildern erreichte Auflösung der Materie sind neben den politischen Inhalten seiner Malerei die beiden großen künstlerischen Neuerungen. Diese drei großen Verdienste Courbets – Gesellschaftskritik, Abstraktion, Introspektion – lassen sich jedoch nicht immer trennen, greifen vielfach ineinander. Wenn Courbet einmal sagte: „Ich bringe selbst die Steine zum Denken“, dann zeigt das, wie sehr er in die Innenwelt der Dinge eindrang, um die Wirklichkeit poetisch reflektierend umzuformen.
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Einen Höhepunkt der
Ausstellung bilden neben den Landschaftsbildern die Meeresbilder, sowohl im Hinblick auf die Eigenständigkeit der Materie wie auch aufgrund der antizivilisatorischen Eigenständigkeit dieser Gemälde, die zwischen 1865 und 1873 entstehen. Zur gleichen Zeit, vor allem nach dem Scheitern der Pariser Commune, malt Courbet selbstreflexive Stillleben, in denen er über Leben und Tod, auch über sein eigenes Ende, reflektiert. (Presse / KH)
Abbildung: GUSTAVE COURBET, Jo, la belle Irlandaise, 1866
Öl auf Leinwand, 54 x 65 cm
Nationalmuseum, Stockholm
Fotografie: © Nationalmuseum, Stockholm
ÖFFNUNGSZEITEN: Di, Fr–So 10–19 Uhr, Mi und Do 10–22 Uhr
Ausstellungsdauer: 15. Oktober 2010–30. Januar 2011
SCHIRN KUNSTHALLE FRANKFURT
Römerberg
D-60311 Frankfurt
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