Wie beeinflussen globale Kräfte unsere Städte?
Leben wir irgendwann alle in denselben Strukturen, weil lokale Eigenheiten
von der Weltwirtschaft und ihre Auswirkungen hinweggefegt werden?
Im Mai 2002 ist im Reimer Verlag ein Buch über Stadtentwicklung erschienen. Übergeordnete Themenstellung aller im Buch gesammelten Beiträge ist der Einfluss der Globalisierung auf Städte und ihre Entwicklung.
Anhand von ausgewählten Beispielen werden die Wechselwirkungen von globalen und lokalen Kräften bei der Neustrukturierung von Großstädten in der ganzen
Welt detailliert untersucht. Die Herausgeberin Rita Schneider-Sliwa geht in
ihrer Einführung davon aus, dass Globalisierung kein aufgezwungener Prozess
von unvermeidlichen Entwicklungsvorgängen ist, sondern sich in einen Dialog
mit allen lokalen Gegebenheiten begeben muss.
Untersucht werden 11 Beispielstädte, ausgewählt aufgrund ihrer veränderten
politischen und wirtschaftlichen Verhältnisse in den letzten Jahren. In
keinem der Beiträge wird eine Wertung der Situation vorgenommen. Es kann aber auch keine Thematisierung der Begriffe "richtige" oder "falsche"
Globalisierung geben, alle untersuchten Komponenten beziehen sich auf den aktuellen Stand der Stadtentwicklung und seine Historie.
Sowohl Berlin als auch Jerusalem dienen als Beispiel für den Prozess der Wiederherstellung von Hegemonie, einer zweimaligen politischen Umorientierung in überschaubaren Zeiträumen.
Berlins aktuelle Situation wird bestimmt durch zwei politische Wenden mit ihren darauffolgenden Umstrukturierungen. Trotz der Aufhebung der Trennung der Stadt vollzieht sich keine durchgreifende Veränderung hin zur globalen Großstadt. Die Stadtentwicklung ist im Gegenteil sehr stark geprägt von der gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Diskrepanz beider Teile.
Detailliert untersucht Prof. K. Lenz die Auswirkungen der Vergangenheitsbewältigung und der Neuorientierung anhand von Bevölkerungsdaten, Strukturwandel, Verkehrsentwicklung, Wohnungspolitik und der Suburbanisierung im Umland.
Jerusalem bietet ein Beispiel für die enge Verbindung von regionalen, räumlichen Faktoren und der Stadtentwicklung. Am Rande seiner Abhandlung beschäftigt sich Prof. D. Newman auch mit einem möglichen Lösungsansatz, in weiten Teilen besteht sie jedoch aus der profunden Herleitung des Konfliktes und seinen Auswirkungen.
Hongkong und Sarajewo repräsentieren sehr unterschiedliche Beispiele der Auswirkungen von veränderten Machtverhältnissen.
In Hongkong ist der politische Wandel über einen langen Zeitraum planbar gewesen und relativ geordnet vollzogen worden. In nachvollziehbaren Schritten wird die Entwicklung der Stadt von einer westlich orientierten zur chinesischen Weltstadt dargestellt.
Sarajewo dagegen befindet sich inmitten eines Machtwechsels, der sich plötzlich vollzogen hat und von inneren Konflikten und äußeren Eingriffen geprägt ist. Dr. D. Simko beschreibt ausführlich und ohne Schuldzuweisungen die schwierige Lage der Stadt und ihre Entstehung.
Den Zusammenbruch der Ideologien und damit den Wandel aller politischen und gesellschaftlichen Systeme haben die Städte Moskau, St. Petersburg und Johannesburg erfahren.
Moskaus Situation nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion stellt sich heute eher positiv in einem fast ausgewogenen Verhältnis von lokalen Prioritäten und globalen Interessen dar. Dennoch sind verschiedene Faktoren, wie die Kriminalität oder investitionsgefährdende Regulation, Gründe für die nur langsam verlaufende Entwicklung zur "Globalstadt". Leider finden sich diese Aspekte nur in einem erstaunlich unstrukturierten und bisweilen sogar unzusammenhängenden Text wieder.
St. Petersburg hat einen ähnlichen historischen Prozess durchlebt wie
Moskau, besitzt aber als Hafenstadt eine günstigere geographische Lage für Handelsverbindungen mit ausländischen Märkten. Seit der Liberalisierung vor ungefähr 5 Jahren sind Tausende von flexiblen Verkaufsflächen entstanden.
Anhand des "Kiosk-Phänomens" beschreiben Dr. A. G. Papadopoulos und Prof. A. Axenov überzeugend Auswirkungen dieser geographischen Lage in Zusammenhang
mit unternehmerischer Initiative der Bevölkerung auf die marktgesteuerten Stadtentwicklung.
In Johannesburg wirken trotz der geänderten Rahmenbedingungen viele Strukturen der Apartheid weiter fort. Die Gettoisierung der schwarzen
Bevölkerung ist auch heute noch vorhanden, wird nun aber durch
markwirtschaftliche Bedingungen evoziert. In zum Teil etwas langatmigen Textpassagen sind Untersuchungsergebnisse von enormer Tragweite versteckt.
Die Städte Wien und Brüssel stehen für die durch politische Entscheidungen bewusst herbeigeführt Erweiterung der wirtschaftlichen und politischen
Horizonte.
Wien wird sich im erweiterten Europa neu positionieren müssen. Die bisher erfolgten Veränderungen werden von Dr. A. Kampschulte eingehend untersucht, bevor sie zu dem Fazit kommt: " Die fortschreitende Internationalisierung
der Wirtschaft hat eine verstärkte Regionalisierung zur Folge. Letztlich
entscheiden die lokalen/regionalen Potentiale und Strategien über die
Position im Wettbewerb der Großstadtregionen und die Einbindung in die globalen Prozesse."
So hat auch die privatwirtschaftliche Ausrichtung von Brüssel eine europäische Entwicklung seit dem Pariser Vertrag von 1952 erst möglich gemacht, damit aber auch zur Entdemokratisierung der Planungsprozesse beigetragen. In diesem Beispiel erscheint die Schlussfolgerung der Herausgeberin, dass lokale Kräfte stärker als globale seien, besonders
schwer nachzuvollziehen.
Im letzten Kapitel werden zwei Städte gemeinsam untersucht, die durch ihrer historischen Benachteiligung mit gravierenden Entwicklungsrückständen zu
kämpfen haben. Hanoi und Ho Chi Minh City müssten aufgrund ihrer
Billiglohnstruktur zu den positiv beeinflussten Städten der Globalisierung gehören. Trotz ihrer vergleichbaren Situation nach den
Stellvertreterkriegen, Bürgerkriegen und dem Untergang des Kommunismus verlaufen die Entwicklungen der beiden Städte aber nicht parallel. Prof. R.
Marr stellt asiatische Entwicklungsmechanismen vor und benennt auch die Unterschiede der Städte.
Beiden vietnamesischen Großstädten gleich ist jedoch der zentrale Faktor der Armut. Sie ist während der langen Zeit der Fremdbestimmung nicht bekämpft
worden und bildet heute das größte Problem Vietnams und damit auch seiner Stadtentwicklung.
Die wissenschaftlichen Beiträge sind von sehr unterschiedlicher Qualität.
Eine übergeordnete Textkonzeption hätte erheblich zur Orientierung
beigetragen. Warum die Strukturierung der St. Petersburger Untersuchung, Stadtentwicklung an einem Phänomen zu verdeutlichen, nicht häufiger aufgegriffen wurde, bleibt unverständlich.
Dennoch leistet diese thematisch eingebundene Zusammenstellung einen hervorragenden und überfälligen Beitrag zur aktuellen Diskussion um die
Globalisierung. Es entemotionalisiert die konträren Positionen und führt viele Vorurteile auf ihren realistischen Kern zurück.
"Städte selbst sind Handlungsakteure und Entscheidungsträger ... . Sie
können sehr wohl definieren, ob sich Wirkungen globaler Prozesse zeigen und wie stark sich diese lokal manifestieren... ." (R. Schneider-Sliwa )
Städte im Umbruch
Rita Schneider-Sliwa (Hg.)
Die Neustrukturierung von Berlin, Brüssel, Hanoi, Ho Chi Minh Stadt,
Hongkong, Jerusalem, Johannesburg, Moskau, St. Peterburg, Sarajewo und Wien
2002 Dietrich Reimer Verlag GmbH
dietrichreimerverlag.de <dietrichreimerverlag.de/>
ISBN 3-496-01245-5
shf
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