Technologie gehört in jeder Gesellschaft zu den grundlegenden Feldern, in denen Geschlecht artikuliert wird: Technische Fertigkeiten und Kenntnisse werden spezifischen Geschlechtern zugeordnet und tragen so zur Ausformulierung von Maskulinität und Femininität bei. Hysterical Mining vereint künstlerische Positionen, die feministische Methodologien anwenden, adaptieren und mit ihnen spielen, um den (sexistischen) Nährboden von Technologie zu hinterfragen und zu testen. Sie entschlüsseln die ideologische Grundlage eines vermeintlich objektiven, universellen Wissens und loten die Beziehung zwischen Technowissenschaft und Geschlecht neu aus.
Hysterical Mining nimmt sich dabei emphatisch der geschlechtsspezifizierenden, ethnisierenden und rassifizierenden Vorurteile an, die in vordergründig „neutrale“ Technologien eingeschrieben sind. Die Ausstellung verhandelt Genderpolitik mit dem Ziel, tradierte Dichotomien (männlich/weiblich, Geist/Körper, Objektivität/Subjektivität, Mensch/Maschine, Ratio/Fiktion), die aus vergangenen wie gegenwärtigen Wissenskonstruktionen resultieren, zu revidieren. So verwendet die Künstlerin Tabita Rezaire Kunst und neue Technologien als Heilwissenschaften, um ein Bewusstsein für de-koloniales, de-zentristisches, geschlechtergerechtes und ökologisches Denken zu schaffen. Besonders interessieren sie Bereiche, in denen technologische Raumzeit und Spiritualität aufeinander treffen: In Ultra Wet – Recapitulation erzählt sie auf den vier Flächen einer Pyramide Geschichten von weiblich-männlichen Annäherungen, die das spirituelle und technologische Verständnis des vorkolonialen Afrikas und indigener Lebensweisen aufgreifen.
Kunsthalle Wien
Der zweiteilige Ausstellungstitel zielt auf die Umkehrung und (Neu-)Interpretation der Termini und ihrer komplexen Beziehung. „Hysterical“ (hysterisch) verweist (ironisch) auf die (von Freud diagnostizierten) „Pathologien“ der Hysterie, die Frauen vermeintlich in Zustände der Überreiztheit versetzen. Die Ausstellung stellt diese Auffassung auf den Kopf und re-interpretiert Hysterie als gesunde Reaktion, die das weite Spektrum der Frustration im Umgang mit Technologien in sich vereint, insbesondere das instinktive oder emotionale Erspüren von Problemen. „Mining“ (Förderung) wiederum erinnert an Datensammlung oder an die Gewinnung seltener Mineralien für die Produktion technischer Geräte – eine Anspielung auf die Vorstellung, dass sich Wissen und Wert aus der Anhäufung von Informationen und
Rohmaterialen speisen. Im Kontext der Ausstellung verweist der Begriff vor allem auf die Ausgrabung verborgener Bedeutungen und die Systeme, mit denen sie heraufbefördert werden können.
Die Künstlerin und Forscherin Louise Drulhe untersucht in ihren Werken die Form und räumliche Ausdehnung des Internets. In einer Serie von fünfzehn Hypothesen entwickelt sie in ihrem Critical Atlas of Internet konzeptuelle Übungen, die wissenschaftliche Raumanalysen sowie Datenvisualisierungen als Schlüssel zum Verständnis sozialer, politischer und wirtschaftlicher Fragestellungen im Internet betrachten. Das Künstler-Duo Fabien Giraud & Raphaël Sibonis wiederum zeigt in seiner Filmserie The Unmanned, dass die Menschheit genauso sehr ein Produzent von Technologie ist wie ihr Produkt. Ausgehend von zwei historischen Positionen (der ökofeministischen von Shulamith Firestone und der positivistischen von Lewis Fry Richardson), erzählt die Episode The Uncomputable, angesiedelt im Jahr 1922, von weiblicher Unterwerfung und Objektifizierung durch Technologie und dem Traum von der Emanzipation. Diese feministische Position zielt allerdings nicht nur auf die Emanzipation von Frauen, sondern aller Marginalisierten, indem sie vorherrschende Machtgefüge (technokratisch oder männlich) aufspürt, destabilisiert und alternative gesellschaftspolitische Kräfte aufzeigt.
Auf der Suche nach Wegen, Technologie zu umgehen, zu untergraben oder zu „verque(e)ren“, imaginieren die Künstler/innen in Hysterical Mining kreative feministische Technologien, um Diskriminierungen aufzuzeigen und neue Rituale für eine Koexistenz zu entwickeln. Neben fundierten Erkenntnissen, die sich aus technologischen Errungenschaften und Diskursen speisen, feiern sie unbekannte, laienhafte Ansätze. Indem sie situatives und nomadisches Wissen, aber auch den Einsatz von Affekten und Emotionen in Opposition zur vorherrschenden, vermeintlich universellen Abstraktion betonen, kultivieren die künstlerischen Beiträge die Wahrnehmung feministisch-technikaffiner Perspektiven.
Marlies Pöschl stellt in ihrem SciFi-Film Aurore die gleichnamige virtuelle Betreuungsassistentin – eine künstliche Intelligenz (KI) – vor, die in einem Altenheim der Zukunft mit alten Menschen nteragiert. Als Porträt aus der Sicht eines körperlosen Wesens berührt der Film Themen wie Liebe, Einsamkeit und die Frage physischen Kontakts. Insgesamt geht es den Künstler/innen jedoch nicht allein um die gesellschaftspolitische Dimension der vorgestellten Themen: Ihre Werke appellieren auch an Form, Gestalt und Beschaffenheit um einem aktiven politischen Engagement eine Gestalt zu geben. Barbara Kapusta bestätigt diese Perspektive, indem sie die Frage stellt, inwiefern wir uns die Bedürfnisse und Sehnsüchte eines anderen Körpers vorstellen können. Der partielle Körper ihrer skulpturalen Installation The Giant besteht aus Gliedmaßen, Augen und hybrid erweiterten Körperteilen, die sich, über den Boden verstreut, neu gruppieren und vereinen.
Große, überdimensionale Sprechblasen zeigen Sätze aus einem Text der Künstlerin: „Sie hält inne und lacht. Ihr Lachen besteht aus multiplen Stimmen und Geräuschen.“
Eine solche Auflösung von Grenzen durch Fiktion und Imagination schafft einen performativen, spekulativen Raum zwischen Disziplin, Körper, Geschlecht, Spezies und Ökologie. Über verschiedene
Ausgrabungstechniken“ fördern die Werke der Ausstellung lange Zeit verborgene oder unbeachtete Aspekte zu Tage, um kritisch zu erörtern, warum diese Fragen verdrängt werden. Hysterical Mining veranschaulicht in diesem Sinne die transformative Rolle neuer Bildund Vorstellungswelten. Übersetzt in technofeministische Alltagspraktiken manifestiert sich darin auch der Kampf für eine gerechtere Welt in Bezug auf unsere technowissenschaftliche Kultur.
Künstler/innen: Trisha Baga, Louise Drulhe, Veronika Eberhart, Sylvia Eckermann & Gerald Nestler, Judith Fegerl, Fabien Giraud & Raphaël Siboni, Katrin Hornek, Barbara Kapusta, Marlene Maier, Pratchaya Phinthong, Marlies Pöschl, Delphine Reist, Tabita Rézaire, Miao Ying Kuratorinnen: Anne Faucheret, Vanessa Joan Müller
Kunsthalle Wien
Museumsplatz 1, 1070 /
Treitlstraße 2, 1040 Wien, Austria
www.kunsthallewien.at
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