Die kolumbianische Künstlerin Doris Salcedo erhält in Lübeck den ersten Possehl-Preis für Internationale Kunst und wird mit einer Werkschau in der Kunsthalle St. Annen geehrt.
Die international renommierte Künstlerin Doris Salcedo (*1958) beschäftigt sich in Objekten, Skulpturen und großen ortsspezifischen Installationen mit den Auswirkungen von Gewalt und Ausgrenzung in ihrer Heimat Kolumbien und anderen Regionen der Welt. Nach Ausstellungen in der Tate Modern (London 2007) und im Guggenheim Museum (New York 2015) richtet die Kunsthalle St. Annen in Lübeck vom 7. September bis 3. November ihre erste Einzelausstellung in Deutschland aus.
Die international besetzte Jury (Stephan Berg, Intendant Kunstmuseum Bonn; Hannah Firth, Direktorin Chapter, Cardiff; Anette Hüsch, Direktorin Kunsthalle Kiel; Oliver Zybok, Direktor Overbeck-Gesellschaft, Lübeck) des erstmals vergebenen Possehl-Preises für Internationale Kunst betont, dass Doris Salcedo poetische Bilder für politische Herrschaftssysteme, Rassismus und systematische Ungleichbehandlungen finde und ihr Werk „von höchster Relevanz für unsere Gegenwart“ sei. Die Preisverleihung findet mit der Eröffnung am 7. September statt, der Preis ist mit 25.000 Euro dotiert.
Kunst gegen das Vergessen
Wo Andere sich abwenden, beginnt Salcedos Arbeit, sie recherchiert vorher genau, bevor sie in die künstlerische Umsetzung geht: Mit großer Sensibilität thematisiert sie in ihren Skulpturen und Installationen die tragischen Folgen von Gewalt als Konsequenz politischer und ökonomischer Herrschaftsansprüche und führt dabei den Betrachter auf die emotionale Ebene der Opfer und ihrer Angehörigen. Der seit fünf Jahrzehnten währende, bürgerkriegsähnliche Konflikt in ihrer Heimat Kolumbien ist Ausgangspunkt zahlreicher Projekte Salcedos. Ihre Kunstwerke sind Anti-Monumente, Zeugnisse von Folter, Verlust und Traumata. Dabei schafft die Künstlerin poetische Installationen und raumgreifende Arbeiten, die in ihrer Fragilität und Verletzlichkeit eben jenen Menschen eine spürbare Präsenz verleihen, die Brutalität und Ungerechtigkeit erfahren mussten oder nicht überlebten. Auf der 8. Biennale in Istanbul (2003) stapelte sie beispielsweise 1.500 Stühle in einem engen Spalt zwischen zwei Häusern in einem einst von Angehörigen der griechischen und jüdischen Minderheit bewohnten Stadtviertel. Den Umgang Europas mit Migrant*innen nahm sie 2007 in „Shibboleth“ in der Tate Modern in den Blick und hinterfragte mit einem langen und tiefen Riss im Betonboden der Turbinenhalle die Abschottungs- und Ausgrenzungsmechanismen der sogenannten ‚ersten Welt‘. Die Künstlerin lebt in Bogotá, wo sie 2018 ein beeindruckendes „Anti-Monument“ mit dem Titel „Fragmentos“ aus einem Teil der rund 13.000 von den FARC-Rebellen abgegebenen Waffen erschaffen hat. Eingeschmolzen und in Zusammenarbeit mit weiblichen Gewaltopfern bearbeitet, dienen diese als Bodenplatten für ein neues Museum im Zentrum der Stadt, als Ort der Reflexion über die langen Jahre gewalttätiger Konflikte in Kolumbien. Das einfache Einschmelzen reichte Salcedo bei weitem nicht aus. Um die Tragweite des Projekts noch deutlicher zu machen, lud sie Frauen ein, die während des Konflikts systematisch missbraucht wurden, die Platten durch Hämmern mit »Kriegsverletzungen« zu versehen. 37 Tonnen geschmolzener, schwerer Geschütze wurden in 1.300 Metallplatten verwandelt und bedecken nun 800 Quadratmeter Fußboden.
Die Ausstellung „Tabula Rasa“
In ihrer aktuellen, in der Ausstellung vertretenen, Werkreihe „Tabula Rasa I-IV“ setzt sich Salcedo künstlerisch mit Vergewaltigungen auseinander, die viele Frauen während des kolumbianischen Bürgerkriegs und der bis heute anhaltenden Gewaltherrschaft erlitten haben. …
Weitere Informationen, siehe: www.kunsthalle-st-annen.de
Kunsthalle St. Annen
St. Annen-Straße 15
23552 Lübeck
Öffnungszeiten: Di-So | 10-17 Uhr
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