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Boris Lurie

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Christian Bolt: Es geht um die Berührung.



Der Schweizer Bildhauer Christian Bolt traktiert seine Skulpturen, bis sie schön sind. Zurzeit zeigt er eine Auswahl aktueller Arbeiten in der Impulse Gallery in Luzern. Im Interview mit Frank Lassak schildert Christian Bolt Motive und Methoden seines Schaffensprozesses.

Frank Lassak: Herr Bolt, als wir kürzlich durch Ihre aktuelle Ausstellung „On Human Beauty“ in der Impulse Gallery in Luzern gingen, erzählten Sie, dass Sie aus dem Material, Ihrer Vorstellungskraft und Ihren Händen stets etwas Schönes erschaffen wollen, das zuvor nicht vorhanden war. Sind Sie ein Schöpfer des Erhabenen?

Christian Bolt: In meiner Arbeit interessieren mich die Faktoren und Prinzipien, die Schönheit hervorbringen können. Sie gelangt im Schaffensprozess an die Oberfläche. Ob die Ergebnisse generell als schön oder erhaben wahrgenommen werden, hängt freilich davon ab, ob die Betrachtenden diese Reflexion zulassen.

FL: Das möchten Sie aus ihnen aber schon herauskitzeln, oder?

CB: Sicher, das ist eines meiner Ziele. Allerdings habe ich mich schon zu Studienzeiten an der Akademie der Schönen Künste mit eher philosophischen Fragen zu diesem Thema beschäftigt. Ich wollte zum Beispiel wissen: Weshalb heißt es überhaupt ,Schöne Künste‘? Wer legt das fest? Und: Was können wir als schön empfinden, welche Faktoren machen das Schöne aus?

FL: Und welche Antworten haben Sie darauf gefunden?

CB: Wohl keine endgültigen oder universellen, dafür aber sehr persönliche.

FL: Nämlich?

CB: Als Bildhauer ist es für mich ein schönes Erlebnis, etwa aus einem Block Marmor etwas zu formen oder auch auf einem Zeichenblatt einen Gedanken sichtbar zu machen. Schon dieses Sichtbarmachen empfinde ich als schön. Während des Prozesses arbeite ich dann auf das Potenzial der Entwicklung des menschlichen Körpers hin und kann ihm eine Form geben. Das ist eine wichtige Motivation für mich.


Christian Bolt, Ausstellungsansicht: Impulse Gallery , Foto: Impulse Gallery

FL: Geht es Ihnen auch um das Erfolgserlebnis? Etwa wenn Sie feststellen: Jetzt ist es vollbracht. Spielt das eine Rolle?

CB: Ein schwieriges Thema, da in dem Prozess stets auch das Scheitern und eine Portion Unsicherheit mitschwingen. Kunst gelingt eben nicht immer. Man sagt gern, jeder kann anfangen, ein Kunstwerk zu erschaffen – kein Problem. Aber ich bin nur zu Beginn der Akteur. Irgendwann ändert sich das. Dann beginnt das Objekt, das ich erschaffe, selbst zu agieren, und ich spüre, dass es mich nicht mehr braucht. Ein spannender Moment – nicht vorherzusagen, wann er passiert. Manchmal habe ich das Gefühl, das Werk sei bereits fertig, aber zwei oder drei Wochen später merke ich, es sagt mir nicht wirklich etwas, und ich muss einen Weg finden, daran weiterzuarbeiten. Daher ist die Sache mit dem Erfolgserlebnis gar nicht so trivial. Wenn das Objekt am Ende gelungen ist, freue ich mich selbstverständlich und habe eine besondere Beziehung dazu, ganz klar.

FL: In den Werken, die in der Ausstellung in Luzern zu sehen sind, ist das Schöne niemals perfekt. Und auch kürzlich, als wir uns in Ihrem Atelier in Klosters trafen, wirkten die meisten Skulpturen und Gemälde, die ich dort sah, nicht makellos. Willkürliche Fragmente stören in Ihren Arbeiten oftmals die Perfektion. Ist das ein Tribut an die Unfähigkeit von uns Menschen, sich mit purer Schönheit zufrieden zu geben, weil darin zu wenig Konfliktpotenzial steckt, das wir womöglich sogar brauchen, um existieren zu können?

CB: Ich verstehe das Leben als ein ständiges Einordnen und Ausordnen, einen Parcours voller Veränderungen. Es kann also gar nicht perfekt sein, da die Perfektion nicht aufrechterhalten werden kann. Folglich besteht eine realistische Darstellung des Lebens für mich nicht aus purer Schönheit – es sei denn, man definiert sie so, dass sie auch Veränderungsprozesse und Konflikte umfasst. Das Konfliktpotenzial und der Umgang mit dem, was wir nicht verstehen oder was uns nicht gelingt, ist sehr reizvoll und macht für mich eben auch die Schönheit aus. Mir ist es wichtig, dass die Betrachtenden über den Prozess ihrer Entwicklung zu reflektieren beginnen und aus den Skulpturen Kraft für sich schöpfen.

FL: Die Plastiken haben viele oberflächliche Unebenheiten, die wie Wunden wirken, etwa bei der lebensgroßen Statue „Pomona“. Weshalb weisen sie Spuren von Traumata auf?

CB: Im Grunde sind das keine Wunden oder Traumata. Es geht mir um die Berührung. Ich will herausfinden, was geschieht, wenn ich das Material berühre. Holz etwa reagiert darauf anders als Ton oder Marmor. Letztlich versuche ich aber auch, Bereiche zu berühren, die unter der Haut liegen, also unter die Oberfläche zu gelangen, ins Innere.


Christian Bolt, Ausstellungsansicht: Impulse Gallery , Foto: Impulse Gallery

FL: Ihren Holzskulpturen fügen Sie sogar Schnittwunden zu. Warum?

CB: Auch dabei geht es um Berührung. Wie weit kann ich reingehen, um herauszufinden, welche Kräfte durch das Eindringen freigesetzt werden? Gerade bei den Holzskulpturen bringt das Hineinsägen das Objekt in einen Dialog mit der Umwelt. Ich finde es faszinierend, der menschlichen Existenz in Form dieser Eingriffe brutal auf den Zahn zu fühlen. Mitunter spüre ich bei der Arbeit an den Holzkörpern auch selbst, wie es schmerzt, wenn ich sie mit der Säge traktiere.

FL: Aus Ihrem Arbeitsprozess klammern Sie die Betrachterinnen und Betrachter aus. Haben Sie mal darüber nachgedacht, sie in Form einer Performance daran teilhaben zu lassen?

CB: Darüber habe ich gelegentlich nachgedacht, aber ich möchte die Distanz aufrechterhalten. Ich glaube, dass sie eine Funktion hat, dass es respektvoll ist, den Menschen zu sagen, das ist eure Welt und eure Wahrnehmung, und das ist wunderbar so. Ich zeige ihnen aber in meinen Werken eine ästhetische Welt, die nicht der Wirklichkeit entspricht. Von daher ergäbe eine Performance keinen Sinn. Zudem habe ich ja bereits mein Publikum – die Skulptur selbst. Sie bildet ein Gegenüber, eine Reflexionsebene. Das hat mich immer an der Bildhauerei fasziniert.

FL: Sie haben einmal gesagt, Ihre Skulpturen seien wie Darsteller und Darstellerinnen in einem Film, dessen vierte Wand nicht durchbrochen werden darf.

CB: Ja, ein Stück weit geht es in diese Richtung, auch weil ich etwas Außerzeitliches erschaffen möchte. Etwas, das nicht der Beurteilung durch den Zeitgeist unterliegt. Meine Arbeiten haben einen starken Bezug zur Antike, zur Klassik und zur Renaissance. Ich glaube, dass die Griechen, die Ägypter, die Etrusker – all diese alten Kulturen – etwas sehr Wichtiges zum Prinzip erhoben haben: dass sich Abstraktion und Figuration im Gleichgewicht befinden müssen und koexistieren müssen. In der Postmoderne und danach haben wir dieses Prinzip in der Kunst weitgehend aufgegeben. Abstrakte und gegenständliche Darstellungen werden seither voneinander getrennt – eine willkürliche Trennung, die ich sinnlos finde.

FL: Tragen Sie manchmal eine rosarote Brille und abstrahieren – oder schauen Sie immer gnadenlos realistisch hin?

CB: Die rosarote Brille setze ich schon hin und wieder auf. Zu viel Realität ist ja nicht gut fürs Gemüt. Dennoch ist es so, dass sich zu Beginn des Arbeitsprozesses stets ein Gedanke in mir formt, den ich dann konkret verfolge, also ins Werk setze. Da ist dann, zugegeben, selten Platz fürs Rosarote.

FL: Apropos Gemüt: Einsamkeit und das Bewusstsein der eigenen Vergänglichkeit sind zwei Ihrer Leitmotive. Was daran ist schön?

CB: Ich glaube, es ist schön, dass unser Leben vergänglich ist. Die Einsamkeit – auch im Angesicht des Todes – führt die Menschen komplett zu sich. Ich bin mir bewusst, dass meine Arbeiten in diese Richtung steuern – figurative Bildhauerei kann Menschen durchaus auf sich zurückwerfen. Das führt gelegentlich dazu, dass sich die Betrachtenden einsam fühlen. Aber sie können im Zuge der Reflexion meiner Werke dadurch eventuell einen Weg zu sich selbst finden. In der heutigen Zeit halte ich das für sehr bedeutsam, zumal fast alle Stimuli, die wir aktuell bekommen, darauf abzielen, dass wir das Äußere entdecken, nicht das Innere. Kontemplation ist ja fast schon zum Schimpfwort geworden. Innehalten ist out. Eine fatale Entwicklung. Es wäre schön, wenn meine Skulpturen es schaffen, diesem Trend Einhalt zu gebieten – oder wenigstens die Betrachtenden mit der Frage zu konfrontieren, ob das Lebenswerte nur aus äußeren Stimuli, aus Materiellem besteht. Insofern durchbrechen die Skulpturen vielleicht wirklich die vierte Wand – hinter der sich jedoch das Innere verbirgt und nicht das Publikum.

Frank Lassak





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