Seit einigen Jahren betreten die belgischen Künstler Jos de Gruyter und Harald Thys als Meister eines einzigartigen episch-absurden Theaters mit ihren Videoarbeiten, Foto-Serien und skulpturalen Installationen die großen Bühnen der internationalen Kunstszene. Mit Das Wunder des Lebens zeigen sie ihre erste große Einzelpräsentation in Österreich. Den Hauptteil derselben bildet eine weiträumige Installation, zu deren Konzeption sie im Vorfeld schrieben: „Wir haben den großen Ausstellungsraum als einen Ort der Stille vor Augen, in dem es nur das leise Geräusch eines Brunnens zu hören und 500 (schweigende) Zeichnungen zu sehen gibt. In der gesamten Ausstellung wird es keine Farbe geben. Nur Schwarz und Weiß“.
Nichtsdestotrotz wird es dort sehr viel zu sehen geben, denn wie in einer Bild-Enzyklopädie zeigen diese Zeichnungen so ziemlich alles, was die moderne Welt zu bieten hat, von Wetterkarten und Stadtansichten über Autos, Flugzeuge, Menschengruppen, Wäschebeutel, Herrenschuhe bis zu Malereimern, Restaurantszenen, Schokocreme-Rezepten, Hundeschulen, Unterwasserwelten und Käseplatten … Anders als in herkömmlichen Bildwörterbüchern wird hier aber auf Systematisierung oder Hierarchisierung der Zeichen verzichtet: vom Nahen zum Fernen oder vom Einfachen zum Komplizierten – das gibt es bei De Gruyter & Thys nicht. Alles wird allen gezeigt, daher ist alles gleich wichtig. So entbehrt auch der Duktus dieser Zeichnungen jedes emotionalen, gestaltenden oder differenzierenden Ausdrucks.
Streng organisiert hingegen ist das System, das die Bleistiftzeichnungen trägt: In Reih und Glied geordnete Raum-Barrikaden formieren sich als Bilder-Wände zu einem Geviert, an dessen Ecken je ein überlebensgroßes White Element gleichsam Wache steht. Aus der Mitte der Formation ragen Die drei Naseweisen empor – ein dreiköpfiger Brunnen, dessen maskenartige Gesichter – Abgüsse von Styroporköpfen aus einer deutschen Geschäftsauslage – das weitgehend laut- und farblose Szenario in alle Richtungen überblicken.
Seit Ende der 1980er Jahre arbeiten Jos de Gruyter und Harald Thys als Künstlerduo zusammen. Ihre von schwarzem Humor, kritischer (Selbst-)Reflexion, durch Überlappungen von Realität, Fiktion und verdrängter Geschichte sowie durch eine vordergründig gnadenlos banal wirkende Machart geprägten Fotografien, Zeichnungen, Objekte und Videos vermögen die Erwartungen des Kunstpublikums immer aufs Neue zu irritieren.
Das immer auch subversive Potenzial ihrer Kunst kommt hier nicht zuletzt im Ausstellungstitel zum Vorschein, wenn gewusst wird, dass jener verheißungsvoll klingende Wortlaut einst auch eine nationalsozialistische Propaganda-Schau zum Thema „deutsche Rassenhygiene“ übertitelte. Der ehemalige Bauhaus-Lehrer Herbert Bayer entwarf hierfür Plakat und Katalog in einer durchaus modernen Bildsprache, welche den Machthabern damals (noch) willkommen war, soweit sie sich für die eigenen Ziele einsetzen ließ.
Die Installation in der Kunsthalle Wien wird durch ein Filmprogramm ergänzt, welches das umfangreiche videografische Werk der Künstler Filme zeigt.
In Kooperation mit dem Museum van Hedendaagse Kunst / M HKA, Antwerpen
Kuratoren Kunsthalle Wien: Lucas Gehrmann, Nicolaus Schafhausen
Jos de Gruyter (*1965 in Geel) und Harald Thys (*1966 in Wilrijk) leben in Brüssel,
Belgien, und arbeiten seit Ende der 1980er Jahre zusammen.
Ausstellungen u. a.: M HKA, Antwerpen; 55. Biennale di Venezia; Mu.ZEE, Oostende; Kestnergesellschaft, Hannover; Neuer Aachener Kunstverein; Culturgest Lissabon und Porto; Kunsthalle Basel; 5. Berlin Biennale; Manifesta 7, Trento.
PM
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