Hier erarbeiten wir mit maschineller Unterstützung komplexere Themen.
Die Grenzen des Sagbaren
Eingabedatum: 27.06.2025
Kunstfreiheit unter Druck in Deutschland und den USA
Die Freiheit der Kunst, einst ein scheinbar unumstößliches Fundament liberaler Demokratien, sieht sich zunehmend komplexen Herausforderungen gegenüber. Weltweit werfen Entwicklungen grundlegende Fragen auf: Wie robust ist die Kunstfreiheit heute? Wo liegen ihre Grenzen, und wer definiert diese? Dieser Artikel unternimmt eine Spurensuche, die verschiedene Facetten des wachsenden Drucks auf die Kunst- und Meinungsfreiheit beleuchtet. Er analysiert Debatten über Sprachregelungen in den USA, den kulturpolitischen Druck durch die AfD in Ostdeutschland, die Kontroversen um die kulturpolitische Agenda der Bundesregierung sowie den Antisemitismus-Eklat auf der documenta fifteen, um die vielschichtigen Dynamiken im Spannungsfeld von künstlerischer Freiheit und gesellschaftlicher Verantwortung auszuloten.
Die Politik der Sprache: "Verbotene Wörter" und Redefreiheitsdebatten in den USA
Jenseits des Atlantiks manifestieren sich Spannungen um Ausdrucksfreiheit und gesellschaftliche Normen unter anderem in Debatten um sogenannte "Wortlisten".
Ein vielbeachteter Fall war die "Elimination of Harmful Language Initiative" (EHLI) der Stanford University. Gestartet vom CIO Council der Universität und der Interessengruppe "People of Color in Technology", zielte die Initiative darauf ab, rassistische, gewalttätige und voreingenommene Sprache von den Websites und aus dem Code der Universität zu entfernen. Die Liste umfasste über 150 Wörter und Phrasen. Als "schädlich" eingestuft wurden beispielsweise "American" (empfohlen wurde "U.S. citizen"), "immigrant", "grandfather", "brave" (wegen der Perpetuierung des Stereotyps des "edlen Wilden") und "seminal" (wegen männlich dominierter Sprache). Auch technische Begriffe wie "master/slave" wurden adressiert. Die Initiative stieß auf schnelle und heftige Kritik wegen Überregulierung und wahrgenommener Absurdität, was dazu führte, dass die Liste schließlich vollständig zurückgezogen wurde. Universitätsvertreter stellten klar, dass es sich nie um eine offizielle Richtlinie der Universität gehandelt habe.
Parallel dazu berichtete die Organisation PEN America über eine wachsende Liste von Wörtern und Phrasen, die unter der Trump-Administration Berichten zufolge von Regierungswebsites und aus offiziellen Dokumenten entfernt oder deren Gebrauch eingeschränkt wurde. Betroffen waren Begriffe aus den Bereichen Diversität, Gleichstellung und Inklusion (z.B. "abortion", "women", "disability", "Native American"), Klimawandel und Impfstoffe (z.B. "gender ideology", "climate change", "vaccines"). Die mutmaßliche Motivation war, Verweise auf unliebsame Themen zu eliminieren und die offizielle Sprache an spezifische Erlasse anzupassen. Das Weiße Haus bestritt, eine "Liste verbotener Wörter" erstellt zu haben. PEN America und Kritiker bezeichneten diese Praxis als "erschreckenden Zensurakt", der Forschung und öffentliches Wissen behindere.
Es ist wichtig, verschiedene Arten von "Wortlisten" zu unterscheiden, darunter auch ältere Sensitivitätsrichtlinien im Bildungswesen und spielerische Traditionen wie die "Banished Words List" der Lake Superior State University (LSSU), die keinen Zensuranspruch haben.
Die AfD und die Kultur: Theater und Ausstellungsbetrieb unter Druck
In Deutschland zeigt sich der Druck auf die Kulturlandschaft besonders prominent durch die kulturpolitischen Bestrebungen der AfD, vor allem in den ostdeutschen Bundesländern. Die Partei betrachtet Kulturpolitik als zentrales Feld eines von ihr ausgerufenen "Kulturkampfes", mit dem Ziel, eine "Renationalisierung" der Kultur und eine "deutsche Leitkultur" durchzusetzen, die sie der "Ideologie des Multikulturalismus" entgegenstellt.
Die Strategien der Partei sind darauf ausgerichtet, auf kritische und progressive Kultureinrichtungen Druck auszuüben. Ein wiederkehrendes Instrument ist der Versuch, über Haushaltsdebatten in Parlamenten Einfluss zu nehmen, indem mit der Kürzung von Subventionen gedroht wird. Ein weiteres Mittel sind parlamentarische Anfragen, die beispielsweise auf die Nationalität von Künstlern abzielen, was von Betroffenen als Versuch der Einschüchterung und als Missbrauch eines demokratischen Kontrollinstruments gewertet wird. In ihrem Programm formuliert die AfD den Anspruch, dass Kunst und Kultur eine "positive deutsche Identität" fördern sollen, was im Widerspruch zur verfassungsrechtlich garantierten Kunstfreiheit steht.
Dieses Vorgehen, das auch öffentliche Diffamierungen und Boykottaufrufe umfassen kann, erzeugt bei Kulturschaffenden ein Klima der Bedrohung. Es wird befürchtet, dass dieser Druck zu einer Form der Selbstzensur führen könnte, bei der künstlerische Leitungen aus Furcht vor politischen Konsequenzen kontroverse Inhalte meiden.
Neuer Wind, neue Richtung? Die Kulturagenda von Wolfram Weimer
In Deutschland hat die Debatte um die Grenzen des Sagbaren neue Dringlichkeit erhalten, unter anderem durch die Ernennung eines als rechtskonservativ geltenden Kulturstaatssekretärs. Mit Wolfram Weimer hat Deutschland seit Mai 2025 einen neuen Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien (BKM). Seine Ernennung unter CDU-Führung durch Friedrich Merz hat in der Kulturlandschaft für erhebliche Diskussionen gesorgt. Weimer, zuvor als Journalist und Verleger tätig, gilt als "Quereinsteiger". Sein politisches Profil wird weithin als konservativ bis rechtskonservativ beschrieben, unter anderem aufgrund seines Buches "Das konservative Manifest" und früheren Artikel wie "Die Multikulti-Lüge". Er selbst beschreibt sich als "Mann der bürgerlichen Mitte".
Aus dem Kultursektor wurde vielfältige Kritik laut. Bemängelt wird seine fehlende Erfahrung in der Kulturpolitik.
Weimer selbst hat erklärt, er wolle kein "Sparkommissar" sein und die Kulturlandschaft in ihrer Vielfalt unterstützen. Er bekannte sich zur liberalen Demokratie und betonte, keinen "Kulturkampf" führen zu wollen. Sein Gastbeitrag in der "Süddeutschen Zeitung", in dem er Kulturkämpfe von links wie rechts monierte, wurde von Kritikern jedoch als polemisch oder wenig überzeugend empfunden. Die intensive Beobachtung Weimers unterstreicht die gestiegene Politisierung des Amtes des Kulturstaatsministers.
Die Beispiele aus Deutschland und den USA werfen ein Schlaglicht auf die zunehmende Fragilität der Kunst- und Meinungsfreiheit in westlichen Demokratien.
Schlussfolgerungen für die Kunst- und Gesellschaftspolitik:
Die Kunstfreiheit, wie sie etwa im deutschen Grundgesetz verankert ist, ist kein Luxus, sondern ein vitales Element einer offenen Gesellschaft. Ihr Schutzbereich ist bewusst weit gefasst und findet seine Grenzen erst im Schutz der Menschenwürde. Die aktuellen Herausforderungen zeigen, dass rechtliche Garantien allein nicht ausreichen. Es bedarf einer gesellschaftlichen Kultur, die Ambiguität aushält und kontroverse Debatten führt.
Aufgaben für die Zukunft: Stärkung des Dialogs und der Differenzierung: Es ist unerlässlich, Räume für einen differenzierten Dialog zu schaffen. Kulturinstitutionen, Medien und Bildungseinrichtungen tragen hier eine besondere Verantwortung. Förderung von Medien- und Kunstkompetenz: Eine Gesellschaft benötigt Bürger, die fähig sind, künstlerische Äußerungen im Kontext zu verstehen und zwischen Kritik und Zensur zu unterscheiden. Verantwortungsvolle Kulturförderung: Staatliche Förderung muss die künstlerische Freiheit wahren und darf nicht zur Durchsetzung politischer Interessen missbraucht werden. Die Politik sollte Rahmenbedingungen schaffen, nicht Inhalte vorgeben. Schutz vor unzulässigem Druck: Künstler und Kulturschaffende müssen vor Einschüchterungsversuchen, sei es durch staatliche Stellen oder Shitstorms, geschützt werden. Internationale Zusammenarbeit: Gerade in einer globalisierten Welt ist der interkulturelle Dialog unerlässlich, um Missverständnisse abzubauen und gemeinsame Werte zu finden. Widerstand gegen die Verengung des Sagbaren: Dem Trend, den Korridor des Akzeptablen zu verengen, muss aktiv entgegengetreten werden. Kunst muss auch weiterhin irritieren dürfen.
Die Zukunft der Kunstfreiheit hängt entscheidend davon ab, ob es gelingt, eine Kultur der Offenheit zu bewahren. Es geht darum, die Balance zwischen Freiheit und Verantwortung immer wieder neu auszuhandeln, ohne die Freiheit leichtfertig preiszugeben. Denn eine Gesellschaft, die ihre Künstler und Denker zum Schweigen bringt, beraubt sich einer ihrer wichtigsten Quellen für Erneuerung und Selbsterkenntnis.