Im zweiten Halbjahr 2017 präsentiert das ZKM ein stringentes Programm zum rasanten technologischen und sozialen Wandel zu Beginn des digitalen 21. Jahrhunderts: Es zeigt neueste künstlerische und wissenschaftliche Entwicklungen, die das ZKM seit seiner Gründung 1989 in seiner Ausstellungs- und Produktionstätigkeit erforscht. Das ZKM ist ein Museum aller Medien und Gattungen, ein Ort des Handelns und des Gestaltens sowie ein Ort des Forschens und Lernens – für seine BesucherInnen, KünstlerInnen und WissenschaftlerInnen.
ZKM als performatives Museum
Seit Januar 1999 und der ersten grundlegenden Museumsausstellung zu net_condition {Kunst /Politik im Online-Universum;} – die erstmals mit künstlerischem Blick das Bedingungsverhältnis von Gesellschaft und Technik untersuchte – und den daran anschließenden wegweisenden Ausstellungen CTRL [Space]. Rhetorik der Überwachung (2001–2002), Die Algorithmische Revolution (2004–2008) sowie YOU_ser. Das Jahrhundert des Konsumenten (2007–2009) verweist das ZKM beständig auf den tiefgreifenden Wandel von Kunst und Gesellschaft durch digitale Technologien. Mit dem Projekt Türkenbeute (2003), entwickelt für das Badische Landesmuseum Karlsruhe, hat es auch sehr früh eine wegweisende Strategie der digitalen Vermittlung für Museen umgesetzt. Alle Kunstwerke der Sammlung Türkenbeute wurden dreidimensional digital erfasst und
konnten von BesucherInnen sowohl online wie auch lokal bewegt, gedreht, von allen Seiten betrachtet und mit Zoom-Funktion von allen Seiten visuell erlebbar gemacht werden. In einer Serie von eigenen technologischen Entwicklungen unter Nutzung von QR-Codes sowie anderen Muster- und Sensortechniken hat das ZKM dem Ausstellungspublikum wie auch den BesucherInnen der Stadt eine neue Form des Erlebens angeboten – sei es in Form von neuen Klangerfahrungen im Rahmen der Ausstellung Sound Art (2012–2013) oder in Form von inszenierten Geschichten und Ereignissen, die die Realität überlagern (Augmented Reality), im Stadtraum mittels der App Maptory (2015–2016). Bereits 2009 hat das ZKM in seiner Ausstellung Imagining Media@ZKM (2009–2011) alle Inhalte lückenlos und darüberhinaus weiterführende Informationen (Text, Bild, Video, Sound) zu den KünstlerInnen und ihren Werken für mobile Endgeräte zur Verfügung gestellt. Der Zugang erfolge über QR-Codes, die auf der Beschilderung des jeweiligen Werks zu finden waren. Diese Optionen der Partizipation und Interaktion des Publikums entwickelt das ZKM seit seiner Gründung und macht es zum ersten performativen Museum weltweit.
Das ZKM zeigte nicht nur als erstes Museum die neuesten Entwicklungen digitaler Technologien in der Kunst, sondern machte auch analoge Kunstwerke in innovativer Weise digital zugänglich. Diese Tendenzen bestimmen auch 2017 die Aktivitäten des ZKM. Für die großangelegte Ausstellung Kunst in Europa 1945–1968, die das ZKM mit europäischen Partnern in Brüssel (Palais des Beaux-Arts de Bruxelles, 2016) und Moskau (Staatliches Museum für Bildende Künste Puschkin Moskau, 2017) organisiert hat, hat das ZKM beispielsweise eine digitale Timeline entwickelt, die als App und responsive Website die dokumentarische Zeitleiste im Museumsraum ergänzt. Die App wird als didaktisches Tool auch im Geschichtsunterricht Anwendung finden.
Das ZKM ist zudem an dem Thinktank smartplaces beteiligt, einem EU-Projekt, das mit acht europäischen Museumspartnern über vier Jahre im Bereich Audience Development forscht, an neuen Wegen für die digitale Kunst- und Kulturvermittlung. Im Fokus stehen dabei die Digitalisierung von Serviceangeboten für die BesucherInnen sowie eine nahtlose Erweiterung des Besuchererlebnisses auf den digitalen Raum.
Anlässlich der GLOBALE DIGITALE (2015–2016) ermöglichte außerdem die bereits erwähnte App Karlsruhe Maptory performativ inszenierte Geschichten und die Errungenschaften Karlsruher Persönlichkeiten im Stadtraum Karlsruhes über Augmented Reality zu erleben. Mit den SCHLOSSLICHTSPIELEN (03.08.– 10.09.2017) hat das ZKM zudem ein neues Bürgerformat entworfen, das über den Sommer hinweg die Karlsruher Schlossfassade mit avancierten Projection Mappings bespielt und damit ein neues Kunsterlebnis im öffentlichen Raum möglich macht.
Künstlerische Praxis im digitalen Raum
Neben digitalen Angeboten wie u.a. der ZKM-Website – mit einem umfangreichen Künstler- und Ausstellungsarchiv, Audio- und Videodatenbanken sowie LiveStreaming – verlagert das ZKM seine Residency-Programmefür GastkünstlerInnen und -wissenschaftlerInnen auch in den digitalen Raum: Gemeinsam mit der Akademie Schloss Solitude fördert es junge Talenten der internationalen digitalen Szene sowie Kunstschaffende, die den Prozess ihrer Arbeit online präsentieren. Der digitale Raum wird nutzbar gemacht, um neue Wege in der künstlerischen Praxis und der Kunstvermittlung zu erproben.
Das ZKM setzt sich jedoch nicht nur mit seinen Produktionstätigkeiten mit den Herausforderungen der Digitalen Transformation auseinander, sondern vor allem auch mit seinen Ausstellungen.
ZKM – Bürgerlabor 2017: Ausstellungen zur Digitalen Transformation
Während die GLOBALE DIGITALE (2015–2016) mit den Ausstellungen Infosphäre (2017), GLOBAL CONTROL AND CENSORSHIP (2015–2016) und Exo-Evolution (2015–2016) die infrastrukturellen (Datenzentren, Kabel und Hardware) und dystopischen (Cyborgs, Roboter und Sensoren) Aspekte des digitalen Wandels in den Fokus gerückt hatte, thematisiert die Ausstellung Hybrid Layers (03.06.2017–07.01.2018), welche Einflüsse die Neuen Medien auf unsere Lebens- und Arbeitswelt haben. Das Internet und die Sozialen Netzwerke üben einen tiefgreifenden Einfluss auf unsere Wahrnehmung, unser soziales Miteinander und unsere Produktion von Wissen aus. Junge KünstlerInnen aus der Generation der Digital Natives, die größtenteils in den 1980er-Jahren geboren sind, treten an, eine neue Art von Medienkunst zu praktizieren, die nicht mehr an eine spezifische Gattung oder ein Genre gebunden ist. Sie „switchen“ spielerisch zwischen digitaler und analoger Welt: Neben Videoarbeiten zeigt das ZKM Installationen, Plastiken und Virtual Reality-Arbeiten, die mittels Head-Mounted Display physisch erlebbar werden.
Welchen Einfluss das Informationszeitalter auf unseren Wahrnehmungsraum ausübt, zeigt die Ausstellung Datumsoria: The Return of the Real (09.09.2017–18.03.2018), die das ZKM gemeinsam mit dem Chronus Art Center in Shanghai und dem Nam June Paik Art Center in Korea konzipiert. Das ZKM präsentiert Medienkunstwerke international renommierter Künstler wie George Legrady, Carsten Nicolai, Liu Xiaodong und Nam June Paik, die eine Wirklichkeit entstehen lassen, die auf binären Strukturen – Nullen und Einsen – fußt.
Zeitgleich zu Datumsoria: The Return of the Real präsentiert das ZKM die Ausstellung The Art of Immersion: Die zylindrische 360-Grad-Projektionsumgebung, die das ZKM seit 2005 entwickelt und auch für stereoskopische Virtual-Reality-Applikationen genutzt werden kann, wird mit neun Arbeiten, unter anderem der Medienkünstler JeanMichel Bruyère, Dennis Del Favero sowie Jeffrey Shaw bespielt.
Die digitale Lebenswirklichkeit, die von rasanten und radikalen Innovationen geprägt ist, wird das ZKM ab Herbst 2017 auch breitgefächert mit seinem neuen Ausstellungsformat Open Codes. Leben in digitalen Welten (20.10.2017– 05.08.2018) untersuchen. Open Codes. Leben in digitalen Welten, eine Mischung aus Labor und Lounge, führt nicht nur in die Historie von Bits und Bytes ein, sondern auch – in Zusammenarbeit mit dem Karlsruher Institut für Technologie (KIT), dem FZI Forschungszentrum Informatik, dem Fraunhofer-Institut für Optronik, Systemtechnik und Bildauswertung sowie der Akademie Schloss Solitude – in den
aktuellen Stand der zeitgenössischen Digitaltechnologien. Es ist an der Zeit, nicht nur die Bedingungen des Digitalen zu begreifen, sondern auch die Sprache der Computer zu beherrschen.
Um die Wirkmechanismen zu verstehen, die den digitalen Raum bedingen, lohnt oftmals der Blick zurück zu den Anfängen der Medienkunst: Radical Software (01.07.2017–28.01.2018) stellt eine Gruppe amerikanischer KünstlerInnen und Wissenschaftler vor, die in den 1970er-Jahren bereits erste Visionen einer vernetzten Welt formulierten und eine mediale Gegenöffentlichkeit schufen. Wie essenziell die Zusammenarbeit von KünstlerInnen mit IngenieurInnen und WissenschaflerInnen im digitalen Zeitalter ist, führt die Ausstellung Centerbeam (24.05.2017–01.10.2017) eindrücklich vor Augen. Im ZKM ist 40 Jahre nach der Erst-Präsentation der Installation auf der documenta 6 in Kassel das multimediale Gesamtkunstwerk Centerbeam, das 1977 am Center for Advanced Studies (CAVS) des Massachusetts Institute of Technology (MIT) entwickelt wurde und den wegweisenden Titel Performative Sculpture trug, wieder in restaurierter Fassung zu sehen. Diese Ausstellung ist ebenfalls ein Lehrstück für Restaurierungs- und Archivierungsarbeit im medialen Zeitalter, die im ZKM seit seiner Gründung geleistet wird.
Der digitale Wandel hat globale Auswirkungen. Das ZKM gilt weltweit als ein Kompetenzzentrum für den digitalen Wandel. Deshalb ist das ZKM aktuell gleich mit drei Ausstellungen zu digitalen Themen auf Welt-Tournee. Der AppArtAward reist als Ausstellung seit sechs Jahren um die ganze Welt und machte bereits in 24 Städten Station. Die Ausstellung GLOBAL CONTROL AND CENSORSHIP startete im April 2017 eine Tournee durch acht osteuropäische Länder. Die Ausstellung Games and Politics ist seit Oktober 2016 zeitgleich in zwei Versionen global auf Tour: von Mexico City bis Teheran, von Wellington bis Lagos, von Toronto bis Sao Paulo, von San Francisco bis Nowosibirsk und New Delhi.
Neben den Ausstellungen zur Digitalen Transformation zeigt das ZKM zudem im November Resonanzen. 40 Jahre Kunststiftung Baden-Württemberg (04.11.2017– 18.02.2018) sowie FEMINISTISCHE AVANTGARDE DER 1970ER-JAHRE aus der SAMMLUNG VERBUND, Wien (18.11.2017–08.04.2018).
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