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Boris Lurie

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Bergen Assembly 2016 - Ein Ãœberblick

Triennale

September 2016


Zeit ist vielleicht das Wichtigste, was die Bergen Assembly 2016 der Kunst mitgibt. Zeit für die Künstler, um ihre Ideen zu entfalten, sowie Zeit für das Kunstpublikum, die Arbeiten und angebotenen Gedankenwelten nicht nur zu konsumieren, sondern wirken zu lassen.

Entschleunigung – immer wieder taucht dieses Wort im Rahmen der Bergen Assembly auf. Man könnte auch Gelassenheit sagen. Denn Gelassenheit ist es, die den Lebensrhythmus der knapp 280.000 Einwohner von Norwegens zweitgrößter Stadt zu bestimmen scheint. Ein spürbarer Kontrast zum aufgeregten, manchmal schon schnappatmigen Betrieb der Kunstmetropolen.

„Wir denken, dass die Kunstproduktion sowie die Kunsterfahrung viel Zeit brauchen“, betont Haakon Alexander Thuestad, Direktor der Bergen Assembly. Angesichts einer saturierten Informationskultur laufe auch die Betrachtung von Kunst Gefahr „kommerzialisiert und komprimiert“ zu werden. Auf diese Entwicklung reagiere die Triennale, die 2013 erstmals stattfand. Hervorgegangen ist sie aus einer 2009 abgehaltenen Konferenz zum Thema „To biennal or not to biennal?“.

Wie lässt sich das – eventgetriebene – Kunstgeschehen entschleunigen? Inwiefern lässt sich ein solcher Anspruch in die Praxis übersetzen? Einfach indem man sich bereits mit der Organisation viel Zeit nimmt. Bei der Bergen Assembly kommt der Dreijahres-Turnus hinzu. Der, so erklärt Thuestad, sei ungewöhnlich angesichts der zahlreichen – und immer zahlreicher werdenden - Biennalen weltweit.

So besteht das Ergebnis der langen Vorbereitung in drei Bausteinen, die sich über die Stadt Bergen verteilen: Zum einen ist es ein von dem dänischen Kuratorenteam PRAXES (Rhea Dall und Kristine Siegel) organisierter Ausstellungszyklus, der die Arbeiten der Künstlerpersönlichkeiten Lynda Benglis und Marvin Gaye Chetwynd in immer neuen Kontexten präsentiert.

Des Weiteren ist es das Projekt „WITHIN“, mit dem der Musiker Tarek Atoui in Kooperation mit Gehörlosen die Bedingungen des Hörens erweitert und schließlich das Projekt „infrastructure“ des interdisziplinären Kollektivs „freethought“, in dem sich Künstler, Wissenschaftler und Intellektuelle mit den dringenden Fragen unserer Zeit auseinandersetzen.


Lynda Benglis, Untitled, 1970. Private Collection, Olga Balema, Europa: Integrationspolitik, 2016. Courtesy Croy Nielsen, Berlin, Lynda Benglis, Come, 1969-74. Private Collection, Lynda Benglis, Eat Meat, 1969-75. Courtesy Cheim & Read, New York, Installation view, Bergen Assembly 2016, Exhibition Adhesive Products at Bergen Kunsthall 02.09-09.10.2016, Photo: Thor Brødreskift

Gleich mehrere Ausstellungen gibt es dieses Jahr etwa um die 74-jährige Amerikanerin Lynda Benglis, die seit den 60er-Jahren die New Yorker Kunstszene mit provokanten Themen und dem Gebrauch ungewöhnlicher Materialien aufmischt. Das Werk sei so facettenreich, begeistert sich die Kuratorin Rhea Dall, dass es schade sei, dieses in einer einzigen Retrospektive zusammenzufassen. Immer wieder neu kontextualisiert und pointiert könne der Besucher das Werk begleiten, ohne zu ermüden, könne sich auf einen Aspekt beschränken, ohne sich überfordert zu fühlen.

So eröffnete im eventreichen Monat September neben der Ausstellung „On Screen“, die Lynda Benglis frühe feministische Videoarbeiten in einer kleinen Galerie in der Innenstadt zeigt, die Gruppenschau „Adhesive Products“. In der Bergen Kunsthall feiern die aus Latex oder Polyethylenschaum gegossenen haptischen Gebilde der Künstlerin aus den 60er-Jahren, die der Kritiker Rober Picus-Witten als „gefrorene Geste“ bezeichnete, ein Fest der Formen und der Farben neben den Arbeiten jungen Zeitgenossen wie Kaari Upson, Sterling Ruby oder Olga Balema. „Theatralisch, dekorativ, vulgär“ – neben der flüssig scheinenden Materialität biete die Ausstellung eine große Bandbreite an gestischer Aktion, so Dall. Mit ihren amorphen, performativen Gebilden hatte Benglis in den 60er-Jahren bewusst einen Kontrapunkt zum „männlichen“ Minimalismus und Monochronismus der 60er-Jahre in New York gesetzt.
Weitere Module der Reihe etwa sind die Keramikausstellung „Lynda Benglis - Glacier Burger“, die im Frühling von einer Konferenz in der Bergen School of Architecture begleitet wurde, sowie eine vorausgegangene Serie eigens gefertigter neuer Papierskulpturen in den Kunstgarasjen.

Ziel der Triennale war es, die gesamte Stadt einzubeziehen. So wurde das Sentralbadet, das städtische Schwimmbad, kurzerhand in einen Konzertsaal umgewandelt. Von dort, wo einst die Bergener Kinder das Schwimmen lernten, erklingen nun ungewohnte Töne. Im Vorfeld hatte sich der 1980 in Beirut geborene Künstler Tarek Atoui in Workshops mit Gehörlosen und Musikern aus Bergen auf die Suche nach Antworten begeben, inwiefern sich die Grenzen des Hörens überwinden lassen. Immerhin können einige Spezies auch hochfrequente Töne oder Infraschall wahrnehmen. Gemeinsam entwickelten sie Instrumente, die auch die anderen Sinne erreichen. Bei einem Bord mit bunten Murmeln etwa glaubte man, deren Klicken tatsächlich visuell zu vernehmen.

Ein Konzert von Tarek Atoui - dem deutschen Publikum ist er vor allem seit seiner Teilnahme an der documenta 13 bekannt - gemeinsam mit gehörlosen Musikern, zeigte, dass sich das Experimentieren gelohnt hat. Während ein Großteil der Zuhörer laut applaudierte, winkte etwa ein Drittel Publikums mit beiden Händen – eine Geste in der Gehörlosensprache, die Begeisterung signalisiert.

Den ganz großen Themen schließlich widmete sich das Projekt „infrastructure“ des Kollektivs freethought in der historischen Feuerwehrstation. Nachdem die Kuratorin Nora Sternfeld erfahren musste, dass das Gebäude von Feuerwehrpensionären besetzt war, bot sie diesen eine „temporäre Allianz“ an. So entstand das „Museum of Burning Questions“, das seine Ergänzung im „Archive of Dancing Tables“, installiert von der Wiener Künstlerin Isa Rosenberger, fand. Besucher – allen voran die Feuerwehrleute – können dort ihre brennenden Fragen loswerden.

Auch das obere Stockwerk der Feuerwehrwache widmet sich dokumentarisch aktuellen Fragen wie Ölknappheit, Gentrifizierung, der Wirtschaftskrise oder der Flüchtlingsfrage. Eine zweitägige Konferenz vertiefte das Projekt. Auch hier ließ man sich viel Zeit. Zeit, um zur Ruhe zu kommen. Zeit, um Ambivalenzen zu verstehen. Zeit, um sich auszutauschen. Zeit, die einen unvorstellbaren Luxus darstellt, bevor sich 2017 mit documenta, Venedig Biennale und anderen Großprojekten das Rad wieder schwindelerregend schnell drehen wird.

bergenassembly.com


Inge Pett





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