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Boris Lurie

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Linda Fregni Nagler. Fotografie neu ordnen: Blickinszenierung

endet am Sonntag (7.01.24) | Museum für Kunst und Gewerbe Hamburg

Das Museum für Kunst und Gewerbe Hamburg (MK&G) präsentiert mit „Linda Fregni Nagler. Fotografie neu ordnen: Blickinszenierung“ die erste Einzelausstellung der italienischen Künstlerin Linda Fregni Nagler (* 1976) in Deutschland. Auf assoziative Weise verbindet sie zwei ihrer Werkgruppen mit ausgewählten Fotografien aus der Sammlung des MK&G. Die Zusammenschau verhandelt zentrale Aspekte des Mediums Fotografie: Es geht um Anschauen und Angeschaut-Werden, um Sichtbarkeit und Unsichtbarkeit. In ihrer künstlerischen Praxis reaktiviert Linda Fregni Nagler seit vielen Jahren historische Fotografien, bearbeitet und übersetzt sie und nimmt dabei gleichzeitig die Perspektive einer Sammlerin und Kuratorin ein. So transferiert sie Themen wie die Repräsentation von Frauen und – im fotografischen Blick angelegte – ungleiche Machtstrukturen in die Gegenwart.
Die Ausstellung findet in der Reihe „Fotografie neu ordnen“ statt, die Künstler*innen und Wissenschaftler*innen einlädt, sich mit den historischen Beständen des MK&G auseinanderzusetzen. Linda Fregni Nagler ist die fünfte Künstlerin in dieser Reihe.

HOW TO LOOK AT A CAMERA
Die Einzelausstellung zeigt die Werkgruppe „How to Look at a Camera“ (2019–2020). Darin beschäftigt sich Linda Fregni Nagler mit der Blickinszenierung in Bezug auf den – meist weiblichen – Körper, mit dem Posieren vor der Kamera und dem spielerischen Dialog zwischen Fotograf*in und Modell. Ausgangspunkt für ihre Beschäftigung mit dem Thema ist die historische Aufnahme einer Gruppe von blinden Brasilianer*innen.

BLIND BRAZILIANS
Das titelgebende Dia, das die Künstlerin in eine aquarellierte Zeichnung übersetzt, trägt am linken Rand die Beschriftung „Blind Brazilians“. Das Gruppenporträt zeigt ein sitzendes Paar, hinter denen sich weitere vier Personen staffiert haben. Zwei der Männer tragen getönte Brillen, der Hinweis auf ihre Blindheit wird erst durch die Beschriftung deutlich. Am Porträt von Blinden stellt Linda Fregni Nagler das Wesen der Porträtfotografie exemplarisch in Frage. Was passiert, wenn die Kontrolle über das eigene Abbild fehlt und das „Bild“ nicht von dem erlernten Blick in die Kamera geprägt ist? Das Porträt der Blinden transportiert so in besonderer Weise ein gewaltsames Moment, das jeder Fotografie innewohnt: das Machtgefälle zwischen der Person, die anschaut – der Fotograf*in – und jenen, die angeschaut und zu Objekten der Betrachtung werden.

RÜCKENFIGUREN
Naglers Überlegungen zu Fotografien von Blinden im 19. Jahrhundert sind auch Ausgangspunkt für ihre Fotografien von verschiedenen Rückenfiguren. Die Künstlerin hat fünf dieser Aufnahmen in großformatige Heliogravüren übertragen und untersucht so die mal spielerischen, mal rätselhaften Beziehungen der Modelle zu ihren Fotograf*innen. Die Vorstellung, wie die eigene Pose im Bild erscheine, sei in der frühen Fotografie noch nicht eingeübt, so Linda Fregni Nagler, was die Rückenfiguren zu Verwandten der blinden Brazilianer*innen mache. Es bleibt ungeklärt, für welchen Zweck diese ungewöhnlichen „Porträts“ aufgenommen wurden. Sind es Studien aufwändig gestalteter Kleidung, fotografische Versuche zur räumlichen Gliederung oder werden wir Zeug*innen eines Freizeitvergnügens? Auch mit der Heliogravüre nutzt Linda Fregni Nagler ein Verfahren des 19. Jahrhunderts, das heute nur noch selten verwendet wird. Die Künstlerin thematisiert mit der Formatveränderung und dem Druckverfahren den materiellen Aspekt der Fotografie und gibt dem Gegenstand eine malerische Qualität.

TAPADA LIMEÑA
Die zweite Serie umfasst zehn Arbeiten und widmet sich der Mode der „Tapada Limeña“, einer besonderen Verschleierung peruanischer Frauen. Ein Überwurf aus Seide lässt dabei nur einen Teil des Gesichts und ein Auge frei. Die verschleierten Frauen begegnen dem voyeuristischen Blick der Kamera, indem sie offensiv zurückschauen. Auch hier spiegelt das Motiv ein ungleiches Machtverhältnis von Anschauen und Angeschaut werden, das dem fotografischen Akt innewohnt.
Das Motiv übernimmt die Fotografin von sogenannten „Carte des visite“, kleinformatigen Sammelbildern, welche französische und peruanische Ateliers um 1900 für Touristen zu einer Zeit produzierten, als diese Mode aus dem Stadtbild bereits verschwunden war.
Diese Art der Verschleierung gelangte im 15. Jahrhundert durch christliche andalusische Einwanderinnen nach Lima. Sie ermöglichte es den Frauen in der Großstadt Lima, durch den Schutz der Anonymität in der Öffentlichkeit zu verkehren. Das Tragen der Mode stand lange Zeit unter Strafe der katholischen Kirche und der spanischen Kolonialregierung. Die Fotograf*innen der Jahrhundertwende inszenierten die Frauen als faszinierende, verführerische, geheimnisvolle und rebellische Stadtbewohnerinnen. Der Eindruck des Rebellischen und Widerständigen der Porträts deckt sich mit der heutigen Lesart dieser historischen Figuren, die als Rebellinnen eines politischen Widerstandes verstanden werden.

IM DIALOG MIT DER SAMMLUNG
In den Bildgegenüberstellungen aus der Sammlung interessiert sich die Künstlerin darüber hinaus für die Rätselhaftigkeit der Bildsujets. So kombiniert Linda Fregni Nagler ihre Arbeiten beispielsweise mit einem altägyptischen Augenpaar und einer Votivgabe zur Heilung einer Augenkrankheit aus der Sammlung Antike. Den Auftakt bildet eine Fotografie von Eugène Atget aus dem Jahr 1912 aus der fotografischen Sammlung des MK&G. Darin schaut eine Gruppe von Passant*innen konzentriert und mit Sehhilfen zum Schutz ihrer Augen in den Himmel – das Naturschauspiel der Sonnenfinsternis selbst bleibt verborgen. In einer anderen Fotografie, die um 1890 fotografiert wurde, wird eine Frau mit einer mittelalterlichen Rüstung von hinten abgebildet, wobei unklar ist, ob es sich um eine Frau oder eine Puppe handelt. Außerdem werden Aufnahmen von Spiegeln, die geisterhaft leer erscheinen, und das Visier einer Prunkrüstung, aus dem man weder hinaus noch hineinschauen kann, präsentiert.

FOTOGRAFISCHE OBJECTS TROUVÉS
Fregni Nagler zeigt sich fasziniert von historischen Objekten, die an den Rändern der fotografischen Produktion entstanden sind und aus unserem visuellen Gedächtnis und aus unseren Sammlungen herausgefallen sind. Häufig stammen sie von anonymen Fotograf*innen, über die wir wenig wissen. Es sind Bilder, die uns mehr Fragen stellen und Rätsel aufgeben, als das sie erklären. Fregni Nagler greift in ihrer Arbeitsweise das Prinzip des historischen Bildes als objet trouvés – als Zufallsfund auf und kombiniert die von ihren ursprünglichen Kontexten befreiten Objekte zu Geschichten, die Fragen über das Wesen der Fotografie stellen. Ihr künstlerischer Eingriff besteht neben der Auswahl und wiederholenden Kombination auch aus subtilen Änderungen in Format, Farbe und Materialität der Bilder. Dabei sind es gerade Analogien, welche den gefundenen Bildern zu poetischer Zündung verhilft.
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Museum für Kunst und Gewerbe Hamburg
Steintorplatz, 20099 Hamburg
www.mkg-hamburg.de

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