In der ersten Jahreshälfte 2024 zeigt das Fridericianum eine mehr als 50 Gemälde und Zeichnungen umfassende Ausstellung der schwedischen Künstlerin Ulla Wiggen. Die retrospektiv angelegte Schau zeugt von Wiggens kontinuierlichem Interesse an der visuellen Erkundung, der Funktionsweise komplexer Systeme – von Computern bis hin zum menschlichen Körper und Geist.
Das Werk der Künstlerin Ulla Wiggen, geboren 1942 in Stockholm, zeichnet sich durch eine herausragende formale und konzeptionelle Präzision aus. Ihr Œuvre, das sich von den 1960er Jahren bis heute erstreckt, umfasst vier Werkgruppen: Bilder von Leiterplatten und anderen elektronischen Komponenten, Porträts, medizinische Darstellungen von Knochen und inneren Organen sowie Arbeiten, die die Iris des Auges zum Gegenstand haben. Formal geeint werden diese Motive durch Wiggens malerische Raffinesse und Detailgenauigkeit.
Die Werkgruppen
In den frühen 1960er Jahren begann die Künstlerin, Bilder von Leiterplatten und anderen Elektronikbauteilen zu malen. Die digitale Technologie war seinerzeit noch etwas völlig Neues. Zu ihr hatte Wiggen durch die Tätigkeit ihres damaligen Ehemannes Knut Wiggen Zugang. Er war Komponist und Leiter des Studios für elektronische Musik beim schwedischen Rundfunk (Elektronmusikstudion/EMS). Wiggens filigrane Bilder sind der flachen, schematischen Anordnung und der formalen Ästhetik von Schaltkreisen nachempfunden. Die klaren Linien und Farbblöcke visualisieren den Stromfluss, der im Inneren elektronischer Geräte dem Blick normalerweise verborgen bleibt. Doch die Künstlerin kopiert nicht etwa nur Schaltbilder. Die von ihr dargestellten Stromkreise würden ihre Funktion nicht erfüllen, doch weisen sie eine ästhetische Logik auf. Es waren diese Arbeiten, die der jungen Malerin institutionelle Anerkennung verschafften: 1968 wurden einige der Bilder in der wegweisenden Ausstellung Cybernetic Serendipity im Institute of Contemporary Arts (ICA) in London gezeigt, und das Moderna Museet in Stockholm erwarb die Arbeit TRASK (1967).
Um 1970 wandte sich Wiggen der traditionellen Porträtmalerei zu. Die dargestellten Personen präsentierte sie hier vor weiten Meereslandschaften mit niedrigem Horizont oder vor neutralen Hintergründen. Der Blick der Künstlerin auf ihr Sujet ist zugewandt und innig, aber ebenso sachlich und auf das Detail gerichtet wie bei ihren technischen Bildern aus dem vorangegangenen Jahrzehnt. Während sie mit ihren früheren Arbeiten das Innere von elektronischen Systemen erkundet, nähert sie sich bei den Porträts dem Thema von Innerlichkeit und Äußerlichkeit durch eine höchst genaue Beobachtung der Gesichter. Dabei lädt sie die Betrachter*innen zu einem stillen Zwiegespräch mit den Porträtierten ein – die Augen und Linien ihrer Gesichter wirken durch die Tiefe ihrer unsichtbaren, jedoch eindeutig zutage tretenden psychischen Verfasstheit äußerst lebendig.
Zwischen den frühen 1980er Jahren und Anfang der 2010er Jahre konzentrierte sich Wiggen hauptsächlich auf ihre Arbeit als Psychotherapeutin. Ermutigt durch eine Reihe von Einzel- und Gruppenausstellungen, die die neue Begeisterung für ihre Schaltkreisbilder aus den 1960er Jahren unter jüngeren Kurator*innen, Künstler*innen und einem für die historischen Auswirkungen der digitalen Technologie sensibilisierten Publikum deutlich werden ließen, begann Wiggen eine Reihe von Gemälden, die auf medizinischen Darstellungen von Knochen oder Teilen des menschlichen Gehirns beruhten, und die die gleiche Präzision und Detailgenauigkeit aufwiesen, wie sie für ihre früheren Werke charakteristisch ist. Das Werk Conscientia von 2014 zeigt zum Beispiel die schematische Darstellung eines Gehirns vor dem Hintergrund eines Netzes aus Neuronen und Synapsen. Die Arbeit wirft die Frage auf, wo das Bewusstsein als bestimmendes Merkmal der menschlichen Psychologie verortet ist und wie es dargestellt werden kann.
Wiggens jüngste Werkgruppe, die sie 2016 begonnen hat und noch weiterführt, verbindet das Porträthafte mit medizinischen Darstellungen der komplex und filigran gemusterten menschlichen Iris, die sie auf kreisrunden Paneelen mit leicht unregelmäßigen Rändern malt. Gemeinhin als Fenster zur Seele bezeichnet, nehmen Augen nach allgemeinem Verständnis eine besondere Stellung zwischen der physischen Außenwelt und der psychischen Innenwelt ein, die sich in der fast kosmischen Tiefe der schwarzen Pupille im Mittelpunkt von Wiggens Bildern zu befinden scheint. In einem weniger poetischen Kontext bilden digitale Augenscans die Grundlage für die biometrische Identifikationstechnologie, da die Iris jedes Menschen ein einzigartiges Muster aufweist. Die Augen in Wiggens Bildern kennzeichnen insofern einen Schnittpunkt zwischen der Individualität ihrer Modelle und den digitalen Systemen, die sie mit ihren Arbeiten aus den 1960er Jahren untersucht hat....
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