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Boris Lurie

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When Violence becomes decadent

Eine thematische Gruppenausstellung: Indien

10.2. - 5.5.2013 | ACC Galerie Weimar e. V.

Teilnehmende Künstler: Sarnath Banerjee | Binu Bhaskar | Rajib Chowdhury | Samit Das | Natasha de Betak | Probir Gupta | Rajkamal Kahlon | Jitish Kallat | Leena Kejriwal | Oliver Laric | Simit Raveshia

In ihren thematischen Gruppenausstellungen hat die ACC Galerie Weimar seit 1991 sowohl Städte wie Accra, Barcelona, Berlin, London, Riga, Tokio oder Toronto als auch Länder, Regionen und Kontinente wie Australien, China, die DDR, Europa, Großbritannien, Japan, Mittelasien, Südamerika, die USA und selbst den Weltraum mit künstlerischen Maßstäben kritisch porträtiert. Die Ausstellung mit dem provokanten Titel „When Violence becomes decadent“ verweist auf die Recherche und Analyse des britisch-indischen Kurators Shaheen Merali, dem Ideengeber und Macher dieser Schau zum gegenwärtigen Indien und seiner turbulenten Geschichte, die tief verankert ist in einer von enormem Ehrgeiz und großer Aggression geprägten Nation: „Dürfen wir uns damit abfinden, dass Millionen Menschen verhungern und sich gleichzeitig weitere Millionen zu einem neuen Bürgertum entwickeln, inmitten weiterer Millionen solcher Zerrbilder und Ungerechtigkeiten, die die „größte Demokratie der Welt ausmachen“? Das, gemessen an seinen 1,1 Milliarden Einwohnern, seit 1947 unabhängige, zweitgrößte Land der Erde ist zwischen den Himalajagipfeln und dem Kap Komorin, den Regionen an der Grenze zu Myanmar und der Wüste Thar nicht nur klimatisch, sondern auch sprachlich, religiös und kulturell äußerst facettenreich – eher mit der Europäischen Union als mit einer ihrer Nationen vergleichbar. Ebenso könnten die wirtschaftlichen und sozialen Gegensätze dieser aufstrebenden Wirtschaftsmacht, einem ambitionierten Akteur auf der internationalen Bühne, massiver nicht sein.

Shaheen Merali, 1959 als Sohn indischer Eltern in Tansania geboren, von wo aus die Familie 1970 nach London zog, spricht neben Englisch und Deutsch auch Hindi und Suaheli und ist Künstler, Kurator, Rechercheur, Autor, Herausgeber, Beobachter und Globetrotter gleichermaßen, der die kulturellen und sozialen Eigenheiten aller Orte, die er aufsucht, förmlich aufsaugt. Bevor er von 2003 bis 2008 Leiter des Bereichs für Kunst, Film und Neue Medien am Berliner Haus der Kulturen der Welt in Berlin wurde, war er Senior Lecturer am Central Saint Martin’s College of Art and Design in London und Researcher an der dortigen University of Westminster. Sein Kontakt nach Indien und zu seinen Künstlern riss nie ab; der Hype der indischen Gegenwartskunst hätte allerdings, wie er meint, nichts mit der inhaltlichen Aussagekraft der Werke zu tun, wenn auch die weltweite Präsenz indischer Romanautoren und Filme enorm sei. Der Dialog der Welt-Künste, der nie an diskursiver Notwendigkeit eingebüßt hat, ist Meralis Leitmotiv. Wichtig ist ihm dabei, den Exotenstatus aufzubrechen, den asiatische oder afrikanische Künste oftmals zugewiesen bekommen.

„When Violence becomes decadent“ spielt auf Meralis Beobachtungen und Besorgnisse der vergangenen Jahre an. Zuletzt konzentrierte sich dessen Arbeit vor allem auf die Umstände, unter denen Künstler in Indien und im Iran arbeiten, aber auch auf das Kuratieren als möglichst transparente, d.h. nachvollziehbare Form der Recherche: „Wir müssen Antworten oder gar Formeln jenseits des klassischen Essays finden, die helfen, Wissen und Erkenntnisse zu verbreiten und zu veröffentlichen. Das Ausstellungsmachen als eine rein experimentelle Ausdrucksweise ist ein mögliches Angebot, dieser Herausforderung gerecht zu werden. Wenn kuratorische Strategien tatsächliche Alternativen sind und positive Entwicklungen innerhalb eines unersättlichen Marktes oder eines Raumes anregen, dann sollten die mit jenen Strategien einhergehenden Bildungsaspekte in zusammengefassten Ergebnissen für uns zugänglich sein, damit wir uns zuversichtlich in Richtung Zukunft zu bewegen vermögen.“

Betrachtet man das Werk des großen bengalischen Poeten und ersten asiatischen Nobelpreisträgers Rabindranath Tagore (1861-1941), der eine elementare Rolle bei der Geburt der indischen Nation und ihrer Loslösung von den kolonialen Fesseln spielte, begegnet man einem Universalgelehrten und Philosophen, zu dessen künstlerischem Werk neben dem Schreiben (Lyrik, Drama und narrative Texte) auch das Inszenieren, die Malerei, die Musik und Komposition gehörten. Als ambitionierter Sozialreformer entwickelte er unter anderem ein bis heute relevantes Bildungssystem, das auf altertümlichen Wissensschätzen und Prinzipien aufbaut. Sein künstlerisches und sozial engagiertes Wirken zeugt von „außergewöhnlichen Aktivitäten der Reflexion“ (Merali). Diese Ausstellung mit Installationen, Fotografien, Zeichnungen und Drucken von zehn indischen Künstlern basiert daher in vielen Teilen auf Studien seiner Werke und Ideen. Darüber hinaus lässt ihre Werkvielfalt die Formen, Zusammenhänge und das System von Dekadenz und Gewalt im Kontext des indischen Nationalstaats als riesigem, brodelndem Subkontinent mit einer turbulenten, verlustreichen Geschichte erkennen.

Der aus Delhi stammende Künstler Samit Das zeigt ein umfassendes Archiv von Entwürfen und Vermittlungsmodellen Tagores, begleitet von Reportagen und Dokumentationen. Als Sammlung humanistischer, universalistischer und internationalistischer Prinzipien mögen diese Einblicke in die Historie helfen, imperialistische Strategien und Beschränkungen bloßzustellen und im Widerstand gegen rigide klassische Ausdrucksformen auch deren sprachliche Konstruktionen und linguistische Beschränkungen aufzubrechen. Tagores streitbarer antinationalistischer Haltung entsprangen magische Momente klarsten Denkens und Artikulierens, die inmitten der Unabhängigkeitsbewegung Indiens von England und des Kampfes um souveräne Rechte zu einem besseren politischen Verständnis führten und Voraussetzung dafür waren, ethische Ansätze für eine neue Nation zu formulieren. Eine von Tagores Kernideen, die Befreiung eines Dorfes aus den Fesseln der Hilflosigkeit und Ignoranz durch das Wiederbeleben alten Wissens, wird in der Ausstellung durch eine Serie journalistischer Reportagen und Berichte verschiedener NGOs (Nichtstaatlicher Organisationen) dokumentiert. In den frühen 1930ern begann Tagore, das „abnorme Kastenbewusstsein“ und das Thema der so genannten Unberührbaren (Kastenlosen) aufzugreifen und aufzuklären, indem er die Helden der Dalits, die nach wie vor ein Leben in Verachtung führen müssen, in seine Gedichte und Dramen einbaute. So gelang es ihm, den Guruvayur Tempel in Kerala für die Dalits zu öffnen. Dalit-Aktivisten starten inzwischen gezielte Kampagnen, um das Lebensrecht für Unberührbare auch praktisch durchzusetzen. Diese Taten inspirierten zahlreiche Künstler, wie Simit Raveshia und Leena Kejriwal, die große Rauminstallationen aus Fotografien, Skulpturen und vorgefundenen Materialien erstellen und sich mit sexueller Ausbeutung (Kejriwal) und Unterdrückung (Raveshia) auseinandersetzen.

Viele der Bewegungen, die durch Tagore eingeleitet wurden, sind bis heute nicht integrativer Bestandteil der indischen Geschichtsschreibung und einer Welt, die sich bis zum Erbrechen auf die Trivialität und einen nie gekannten Überkonsum zubewegt. Zwei Videoarbeiten des Künstlers Jitish Kallat thematisieren die Probleme der Verknappung, des Mangels und des Nationalbewusstseins, neben Zeichnungen von Binu Bhaskar, die von globalisierter Billiglohnarbeit erzählen und jenen Wanderarbeitern, die aus den ländlichen Gebieten ins städtische Elend oder in die Bauaktivitäten um die architektonischen Spekulationen und Glücksspielereien in Dubai, Abu Dhabi und Katar getrieben werden.

Betrachtet man dieses Vermächtnis – wie in dieser Schau – als historisches Überbleibsel oder Archiv, wird es angesichts von Indiens Hast, sich Hals über Kopf auf der Überholspur in einen Super-Kapitalismus zu stürzen, möglich, eine Reihe nachdenklich machender und vermittelnder Fragen aufzuwerfen, anstatt Ablehnung zu schüren. Rajkamal Kahlon zeigt Ergebnisse ihrer künstlerischen Forschung über den Kolonialismus und dessen umstrittene Umstände in einer Zeichnungsserie und kleineren Skulpturen, neben den vom Zeitgeist geprägten Zeichnungen des Künstlers Sarnath Banerjee.

„Oft sind es die Arbeiten von Künstlern, Filmemachern, Dichtern, Autoren und Architekten, die uns veranlassen, dieses Volk und seine Feinheiten erneut zu beachten“, so Merali. Natascha de Betaks Film „Speaking Tree“ ist ein solches Werk. Sie untersucht den Zustand der ökonomischen und kulturellen Lebensumstände der Landbevölkerung. Es ist die Rückkehr zur Entwicklung einer Ästhetik innerhalb ideologischer Bedingtheiten, die uns möglicherweise dienlicher sein kann, als die Nachrichtenindustrie mit ihren vereinfachten Beiträgen, die lediglich die Entschlossenheit des Staates innerhalb der Paradigmen und Denkmuster dieser Welt zusammenfassen. Die Collagen von Probir Gupta und die subtilen digitalen Zeichnungen von Rajib Chowdhury bereichern die Ausstellung um eine frische Auseinandersetzung mit der Populärkultur und ihrem Verständnis für die Wünsche und Sehnsüchte der Menschen. In diesem Zusammenhang untersucht auch Oliver Laric mit seinem Film „Air Condition“, den er mit dem populären Refrain eines Bollywoodhits unterlegt, die Auswirkungen nicht erwiderter Liebe.

Öffnungszeiten:
Mo-Do, So: 12-18 Uhr
Fr, Sa: 12-20 Uhr
Führungen: Sonntags 15 Uhr und nach Vereinbarung.

ACC Galerie Weimar e. V.
Burgplatz 1 + 2
99423 Weimar
Tel. 03643/851262
kultur@acc-weimar. de
acc-weimar.de

pm





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