Mit der Ausstellung "Ellen Gallagher: AxME" stellt das Haus der Kunst die Arbeit der afrikanisch-amerikanischen Künstlerin Ellen Gallagher vor. Ihrer visuellen Sprache liegen drei zentrale Themen zugrunde: Der Kampf um die Kolonien im Zuge der Herausbildung der modernen Welt, die konzeptuellen Errungenschaften der Kunst der 1960er- und 1970er-Jahre sowie der Begriff des Archivs als dialektische Verbindung von Form und Inhalt. Bereits 2013 hatten sich mehrere Ausstellungen im Haus der Kunst auf Konzepte der Entwicklung von Modernität konzentriert, unter anderem "Aufstieg und Fall der Apartheid: Fotografie und Bürokratie des täglichen Lebens" sowie Einzelausstellungen mit Werken von Kendell Geers und Ivan Kozaric.
Diese erste große Überblicksausstellung von Ellen Gallagher bietet die Gelegenheit, sich mit dem zwanzig Jahre umfassenden Werk der Künstlerin auseinanderzusetzen, der Entwicklung und Wiederkehr von Themen, von bahnbrechenden frühen Gemälden auf Leinwand bis zu den neuen Arbeiten. Gezeigt werden u.a. "DeLuxe" von 2004-5, "Bird in Hand" von 2006, ein komplexes Relief aus vielen Schichten von Druckerzeugnissen, Knetmasse, Kristall, Farbe und Blattgold, sowie einzelne Werke ihrer schwarzen und gelben Gemälde wie "Moon-Glo", 2010, und "Pomp-Bang", 2003.
"AxME", der spielerische Titel der Ausstellung, nimmt Bezug auf den Cartoon "Don´t Axe Me" (1958), einen Looney-Tunes-Klassiker, sowie auf die umgangssprachliche Abwandlung von "Ask me". Das gleiche Wortspiel hat Ellen Gallagher auch für ihre Einzelausstellung im New Museum, New York, genutzt ("Don´t axe me", 19.6.2013 - 15.9.2013).
Mit ihrer Auswahl von Bildern aus Literatur, Musik, Science Fiction, Werbung und Naturgeschichte bewegt sich Ellen Gallagher (geboren 1965 in Providence, Rhode Island) im Spannungsfeld zwischen Abstraktion und Gegenständlichkeit. In akribischen Arbeitsschritten unterzieht sie die adaptierten Bilder einer Verunklarung und Überlagerung, bis durch einen Schleier von Tintenschlieren, Löchern, Flecken und Abrieb nur noch Spuren davon sichtbar sind und die Ahnung einer seltsamen und beunruhigenden Fantasiewelt entsteht.
Unter dem Patronat der Sea Education Association (SEA) in Woods Hole, Massachusetts, verbrachte die zwanzigjährige Ellen Gallagher 1986 ein Semester an Bord eines ozeanografischen Forschungsschiffs, um das Wanderverhalten von Pteropoden - mikroskopisch kleinen, flügelfüßigen Schnecken - zu erforschen. Sie verbrachte ihre Nächte damit, die winzigen Wesen einzufangen, und einen Großteil der Tage damit, sie zu zeichnen. In einer Serie von Aquarellen ("Coral Cities", 2007) kam sie später auf diese naturkundlichen Studien zurück. Im Mittelpunkt steht die Bevölkerung von Drexciya, einem mythischen schwarzen Atlantis auf dem Grund des Atlantischen Ozeans, das von schwangeren Afrikanerinnen gegründet wurde, die auf der Mittelpassage der Sklavenschiffe von Bord gesprungen - oder gestoßen worden - waren, und Kinder zur Welt brachten, die unter Wasser atmen konnten. Gallagher bevölkert ihre Leinwände mit Frauen, die von Afroperücken aus pulsierenden Meerestieren und -pflanzen beschirmt sind oder deren fließendes Haar aus Korallen besteht, sowie mit quallenartigen Figuren mit afrikanischen Gesichtern. Die über Bord gegangenen, ertrunkenen Sklavinnen stehen in Gallaghers Welt für Regeneration, für einen transhistorischen Staat. Als Geschichte eines Exodus erzählen Gallaghers Aquarelle also nicht nur von Flucht, sondern auch von einem gelobten Land, von Neuanfängen und neuen Identitäten, die sich im Zuge einer Emanzipation herausbilden.
Ellen Gallagher verwendet bewusst Schönschreibpapier statt Archivpapier: "Es dunkelt mit der Zeit nach. Das interessiert mich. Gleichzeitig ist es erniedrigend, weil es dafür sorgt, dass ich keine Kontrolle habe." Ihre Verwendung dieser Papiere mit blauem Raster und linearen Strukturen ist mehrfach mit der abstrakten Kunst von Agnes Martin in Verbindung gebracht worden. Manche der Arbeiten in Gallaghers fortlaufender Serie "Watery Ecstatic" sind weiß in Weiß, als wolle sie Melvilles faszinierende Sprachvariationen über die "Weiße des Wals" in "Moby Dick" heraufbeschwören. Melvilles Kapitän Ahab hat sein Bein an einen großen weißen Wal verloren. Eine neue Interpretation von Melvilles Klassiker will in dem ´bronzehäutigen` Ahab einen Mulatten erkennen und interpretiert dessen Hass auf den Weißen Wal als Auflehnung des Schwarzen gegen die weiße Vormacht. In "DeLuxe" hat Gallagher, die Melvilles Roman genau gelesen hat, Peg Leg zu ihrem persönlichen Kapitän Ahab ernannt. Clayton Peg Leg Bates (1907-1998) war ein gefeierter Entertainer und Stepptänzer, der mit zwölf Jahren ein Bein in einer industriellen Baumwollentkörnungsmaschine verloren hatte.
Anfang der 1990er-Jahre eroberte Ellen Gallagher mit wunderbar ausgewogenen, trügerisch minimalistischen Gemälden wie "Oh! Susanna" (1993), "Oogaboogah" oder "Pinocchio Theory" (beide 1994) die New Yorker Kunstwelt im Sturm. In einer ihrer Serien verwendete sie Werbung für Perücken und andere Bedarfsartikel aus Zeitschriften mit schwarzafrikanischer Leserschaft wie Ebony, Our World, Black Stars etc. Eine ihrer faszinierendsten Arbeiten besteht aus einem Raster von zwanzig Frauen mit verschiedenen Hauttönen, die vor einem weiten weißen Hintergrund Perücken vorführen. Die Perücken sind sorgsam zu komplizierten Formen geschnitten und scheinen wie Prägearbeiten über dem Papier zu schweben. Schnörkel aus rosa Knetmasse verdecken die Augen der Frauen. Zu jeder ist der Markenname ihrer Perücke gesetzt: E-Bangs, Fifi, Innocence, Afro-Swirly etc. Der Titel "Negroes Ask for German Colonies" ist einem Artikel des berühmten Harlemer Radikalen Hubert Harrison von 1919 entlehnt. Harrison äußerte Zweifel gegenüber schwarzen Nationalisten, die bei der Friedenskonferenz in Paris internationale Staatsoberhäupter dazu aufgerufen hatten, den deutschen Kolonien in Afrika politische Autonomie zu gewähren. Mit ihren Gemälden untersucht die Künstlerin, wieweit die Perücke als eine Art Haut verstanden werden kann (oder umgekehrt), ob die Perücke etwas Natürliches, die Haut etwas Veränderbares ist, und inwiefern Perücken und Haut etwas im Übergang begriffenes sind.
Schon seit "Preserve" (2001) zeigen Gallaghers Arbeiten Ansammlungen von Augen, Lippen und Sporen, die aus Knetmasse und Farbe konstruiert und neben Werbeanzeigen eingeschachtelt sind. Auf denselben Anzeigen basiert auch eine Serie von fünf monumentalen Arbeiten, die aus 396 in einem Raster angeordneten Porträts bestehen, darunter "Pomp-Bang" (2003); Ellen Gallagher nennt diese Serie die "gelben Gemälde". Das Raster erlaubt nichtlineare, vom Zufall geleitete Lesarten und lädt den Betrachter ein, sich ineinander verwobene Geschichten vorzustellen.
Die Strukturen sind zunächst meist rasterartig, später zeichnen sich zunehmend Einzelfiguren vor einem Hintergrund ab: Aus Abstraktion entwickelt die Künstlerin Gegenständlichkeit. Dabei kombiniert sie viele verschiedene Techniken: Zeichnung, Text, Malerei, Collage, Skulptur, Druck sowie Vervielfältigungsmethoden wie Fotokopie und Fotografie.
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Kataloge/Medien zum Thema:
Ellen Gallagher
Kommunale Galerie Berlin
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Galerie im Saalbau