Mit der Ausstellung »Victor Papanek: The Politics of Design« präsentiert das Vitra Design Museum vom 29. September 2018 bis zum 10. März 2019 die erste große Retrospektive über den Designer, Autor und Aktivisten Victor J. Papanek (1923–1998). Papanek war seit den 1960er Jahren einer der wichtigsten Vordenker eines sozial und ökologisch orientierten Designansatzes. Sein Schlüsselwerk »Design for the Real World« (1971) gilt bis heute als das meistgelesene Buch über Design, das jemals veröffentlicht wurde. Papanek plädiert darin für Inklusion, soziale Gerechtigkeit und Nachhaltigkeit – Themen, die im heutigen Design aktueller denn je sind. Die Ausstellung umfasst hochkarätige, teilweise nie gezeigte Exponate wie Zeichnungen, Objekte, Filmdokumente, Manuskripte und Druckgrafik. Ergänzend werden Werke von Zeitgenossen Papaneks der 1960er bis 1980er Jahre gezeigt, darunter George Nelson, Richard Buckminster Fuller, Marshall McLuhan und der Radical-DesignInitiative »Global Tools«. Zeitgenössische Werke aus den Bereichen Critical Design und Social Design veranschaulichen Papaneks nachhaltigen Einfluss auf das heutige Design.
Victor Papanek gelang 1939 die Flucht vor der Verfolgung durch die Nationalsozialisten aus seiner österreichischen Heimat Wien in die USA. Nachdem er zunächst eine klassische Laufbahn als Industriedesigner eingeschlagen hatte, entwickelte Papanek im Laufe der 1960er-Jahre jene konsumkritische Haltung, für die er international bekannt wurde. Diese spiegelte sich auch in seinen Entwürfen, die er oft gemeinsam mit seinen Studenten oder Partnern entwickelte, beispielsweise Fernseher und Radios für afrikanische Länder, Elektrofahrzeuge, aber auch das Objekt »Fingermajig« zur Stimulierung des Tastsinns (1965–1970) oder die Serie der »Living Cubes« (1973) – Möbel zum Selberbauen, die der Benutzer je nach Bedarf unterschiedlich ausstatten konnte.
Papaneks eigentliche Bedeutung lag jedoch in seiner Arbeit als Autor und Vermittler eines neuen, kritischen Designverständnisses. Im Laufe seines Lebens unterrichtete Papanek an Universitäten in aller Welt und inspirierte Generationen von Studierenden. Unermüdlich verfolgte er das Ziel, eine möglichst breite gesellschaftliche Debatte über Design zu führen. So moderierte Papanek ab 1961 beispielsweise eine Sendereihe über Design, die US-weit im Fernsehen ausgestrahlt wurde. Neben seinem Hauptwerk »Design for the Real World«, das bis heute in über 20 Sprachen übersetzt wurde, zementierten weitere Bücher Papaneks Ruf als Pionier des alternativen Designs, etwa »How Things Don’t Work« (1977) oder »Design for Human Scale« (1983). Darin nahm Papanek pointiert und humorvoll den blinden Konsumglauben aufs Korn und übertrug die Ideen der 1968er
Generation auf praktische Alltagsfragen vieler Menschen.
Die Ausstellung »Victor Papanek: The Politics of Design« ist in vier Bereiche gegliedert, die Leben und Werk Papaneks ausführlich vorstellen. Nach einer einleitenden, großformatigen Medieninstallation, die Papaneks Thesen in ihrem Zeitkontext präsentiert, folgt eine biografische Übersicht, die Papaneks Leben von der Flucht aus Europa bis zum internationalen Erfolg nachzeichnet. Erstmals konnte dabei auf die Bestände des Papanek-Nachlasses zurückgegriffen werden, der sich heute in der Victor J. Papanek Foundation an der Universität für angewandte Kunst in Wien befindet und viele bislang nie gezeigte Dokumente umfasst. Dazu gehören Notizbücher, Briefe, Möbel, Gegenstände aus Papaneks Sammlung ethnologischer Objekte sowie über Tausende Dias, die Papanek für seine Vorträge verwendete.
In zwei weiteren Ausstellungsbereichen werden die Hauptthemen von Papaneks Werk betrachtet. Dazu zählen Papaneks grundlegende Konsumkritik und seine Beschäftigung mit gesellschaftlichen Minderheiten ebenso wie sein Einsatz für die Belange der damals so genannten »Dritten Welt«, für Ökologie und Nachhaltigkeit sowie für eine Kultur des »Making«, der Kreation und Produktion mithilfe eigener Mittel, die ihren Ausgangspunkt in der Do-it-yourself-Bewegung der 1960er Jahre hat. Hier ist eine Fülle an Entwürfen von Papanek, seinen Schülern und anderen Partnern zu sehen, beispielsweise von der dänischen Designerin Susanne Koefoed, die 1968 als Studentin Papaneks das erste internationale Symbol für Barrierefreiheit (International Symbol of Access) entwickelte.
Ergänzt wird die Ausstellung durch rund 20 sorgfältig ausgewählte zeitgenössische Werke, die Papaneks Thesen ins 21. Jahrhundert holen. Sie stammen unter anderem von Catherine Sarah Young, Forensic Architecture, Jim Chuchu, Tomás Saraceno, Gabriel Ann Maher und dem brasilianischen Kollektiv Flui Coletivo and Questtonó. Auch diese Entwürfe handeln von komplexen Themen wie dem globalen Klimawandel, fließender Geschlechteridentität, unserem Konsumverhalten oder der wirtschaftlichen Realität von Migrationsbewegungen und zeigen so die anhaltende Relevanz der Fragen, denen sich Papanek schon in den 1960ern widmete. Zugleich durchbrechen sie die weiße, westlich-männlich dominierte Welt, der Victor Papanek trotz all seiner Bemühungen verhaftet war.
»Victor Papanek: The Politics of Design« ist damit Retrospektive und Themenausstellung zugleich. Über die Person Papanek nähert sie sich einem größeren Thema, nämlich der Bedeutung von Design als politischem Werkzeug. Denn was in Papaneks Zeit revolutionär war, gilt heute als allgemein anerkannt: Design ist nicht nur Formgebung, es ist ein Werkzeug für politischen Wandel und muss unter gesellschaftlich-ethischen Gesichtspunkten angewendet werden. Dies zeigt sich nicht zuletzt daran, dass sich heutige Debatten über Themen wie Social Design und Design Thinking ganz selbstverständlich auf Papaneks Thesen beziehen. Die Ausstellung soll Papanek als
Vorreiter dieser Debatten – und als einen der großen Vordenker im Design – für das 21. Jahrhundert neu entdecken. Zugleich untersucht sie, wie das von Papanek geforderte, gesellschaftlich engagierte Design unsere heutige Welt tatsächlich verändern und ein Stück besser machen könnte.
Die Ausstellung entsteht in Kooperation mit dem Barcelona Design Museum und der Victor J. Papanek Foundation an der Universität für angewandte Kunst Wien. Sie wird gefördert durch die Kulturstiftung des Bundes.
Vitra Design Museum
Charles-Eames-Straße 2
Weil am Rhein/Basel
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