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Boris Lurie

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Spezial: Zeitgenössische Kunst in Mexiko-Stadt | Teil 3



Foto: Copyright Josselin Bonnetain

Am Anfang war das Chaos, aber Gott hat den Himmel von der Erde getrennt und schuf Mann und Frau, seitdem hat alles einen Anfang und entwickelt sich nach einer binären Ordnung. Die Geschichte lässt sich in Zeiten, in Entwicklungsphasen, in Regionen und Länder aufteilen. Wir sind männlich oder weiblich, es gibt gut und böse, wir fahren auf der einen Seite oder der anderen, Bücher werden von links nach rechts oder hin und her, aber immer in einer Sinn gebenden Reihenfolge gelesen. Es gibt Grenzen, die eine Struktur ermöglichen, ohne Grenzen wäre alles eine riesige formlose Masse.

Gilles Deleuze und Felix ­Guattari beschreiben in ihrer philosophischen Theorie vom Rhizom (1977) genau dieses Prinzip. Im Gegensatz zu einem Baum erstreckt sich das Rhizom unkontrolliert, wächst chaotisch, breitet sich in alle Richtungen aus und hat kein Zentrum. Die menschliche Kultur ist in diesem Sinne ein großer undifferenzierter Körper, wo es keinen Anfang der Zeit oder eine logische Entwicklung gibt, sei sie historisch, kulturell oder biologisch.

Warum hole ich so weit aus? Arturo Buitróns Malerei beginnt mit einer rhizomatischen Auffassung der Natur und seiner Umgebung. Es gibt Bäume, sie verschmelzen und verwachsen mit anderen Umwelteinflüssen, es gibt Tabellen und Strukturen, verschiedene Dimensionen und Ebenen, und es gibt keine klaren Grenzen zwischen Himmel und Erde, zwischen Wolken und Bergen, Ästen oder der menschlichen Figur, alle sind Teil eines Landschaftsrhizoms.

Arturo Buitrón, geboren 1961 in Mexiko-Stadt, wurde an der renommierten Escuela Nacional de Artes Plásticas der UNAM ausgebildet. Seine Arbeiten befinden sich in der Sammlung des Museo Alfredo Zalce in Morelia, im Museo Universitario in Pappel, im mexikanischen Sekretariat für Außenbeziehungen in Barcelona, um nur einige zu nennen. Der Stipendiat des Jóvenes Creadores del Fonca und der Bancomer Kulturstiftung empfängt uns in seinem Atelier in einem historischen Art Deco Haus im Ortsteil Condesa. Es ist eines von drei Ateliers, das er in der Stadt betreibt. Fidel Castro und Che Guevara sollen im zweiten Stock des Hauses die kubanische Revolution vorbereitet haben - kein Zusammenhang, aber als Anekdote eines rhizomatischen Weltbildes prädestiniert.

Ich schaue mich um, habe den Geruch von Ölfarben und Lacken in der Nase; die sympathische und nicht zwingend organisierte Hängung von Skizzen, Leinwänden, Material beansprucht meine Aufmerksamkeit eine Weile. Es gibt Gepinseltes, Gespachteltes, ­Getropftes, mal wild, mal zahm auf unterschiedlich großen Leinwänden Aufgetragenes, es gibt Verästelungen und Farbknäuel, Strukturen und Rhythmen, Wellen und Wind. Was klingt wie die Beschreibung einer Mischung aus Pollock und Kiefer, definiere ich zunächst auch als abstrakt expressionistische Malerei, sie offenbart sich erst im Gespräch über Buitróns Auseinandersetzung mit der Rhizom-Theorie als eine mit realem Bezug zur Außenwelt, als endlicher Ausschnitt eines endlosen Ganzen und weniger als Expression eines Inneren. Nach einem ausdrücklichen Blick aus dem Fenster auf fliederfarbene Jacaranden, Strom- und Telefonkabeln, sind diese Strukturen plötzlich überall auf den weißen Wänden sichtbar. ­Buitrón versteht die Landschaft als abstrakten Raum, sie ist chaotisch, oft gewalttätig, sie hat kein Zentrum, keinen Anfang und kein Ende. Die Landschaften in seinen Arbeiten bleiben leer, wenn es an intellektuellen oder emotionalen Referenzen mangelt, sie sind gleichzeitig die Möglichkeit sich Orte zu schaffen oder eine neue Perspektive auf die Welt, die es aber immer schon gegeben hat.

Wovon er in seiner Arbeit ausginge, frage ich, wie und ob er konzipiere. Er hätte kein nachdrückliches Konzept, er fange an mit dem zu arbeiten, was er habe, antwortet er. Zufälle und sein Arbeitsprozess machen seine Malerei aus. Eindeutig zu sehen: Das Material, die Textur, die Unfälle und Visionen, sie sind alle je ein Teil seiner Leinwände. Im Moment experimentiert er mit Enkaustik, eine Technik älter als die Ölmalerei, dabei werden in Wachs gebundene Farbpigmente heiß auf den Malgrund aufgetragen. Natürlich trifft er bewusste Entscheidungen, die Größe der Leinwände beispielsweise, er bevorzugt übergroße, so kann er mit seinem ganzen Körper arbeiten. Aber es ist nicht zwingend, dass das Gemälde nach Fertigstellung wahrhaftig fertiggestellt ist. 2000 hat er eine etwa 2 x 3 Meter große Leinwand, die Teil eines Polyptychons war, einfach auseinandergerissen. Er wollte der Arbeit neue Grenzen zugestehen. Dimensionen gewinnen oder verändern sei wichtig, sagt er. Aus diesem Grund experimentiert er auch mit anderen Medien: Zeichnung, Keramik, Druckgrafik. Es gibt nie eine Antwort, eine ultimative Weise etwas zu tun, einen Endstandpunkt in der Natur, alles ist in Bewegung und interagiert.

Wie kann man die Welt beschreiben? Welche Natur- und Menschengewalten machen sie aus? Fragen, die ­Arturo ­Buitrón interessieren und deren Antworten er auf der Leinwand sucht. Aber eigentlich möchte er keiner Kategorie angehören, er tut das, was er am besten kann. Ob seine Arbeit typisch mexikanisch sei, ob es in der zeitgenössischen mexikanischen Kunst noch so etwas gäbe, will ich unverschämterweise noch wissen. Nein, seine deutliche Antwort, aber die Bäume vor seiner Tür machen einen Großteil seiner Inspiration aus und diesen Ausblick hätte er wo anders nicht.

Ich bedanke mich für das Gespräch, verlasse das Atelier und verliere mich im Chaos von Mexiko-Stadt.

Mehr Informationen über Arturo Buitrón finden Sie in unserer Biografierubrik und auf seiner Homepage arturobuitron.net


Vivi Kallinikou





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