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Power to the People - Politische Kunst jetzt

21. MÄRZ – 27. MAI 2018 | Schirn Kunsthalle Frankfurt

Vom 21. März bis 27. Mai 2018 präsentiert die Schirn Kunsthalle Frankfurt eine große Ausstellung zur politischen Kunst der Gegenwart. Anhand unterschiedlichster Medien wie Installation, Fotografie, Zeichnung, Malerei und Film unternimmt „Power to the People. Politische Kunst jetzt“ eine Bestandsaufnahme zeitgenössischer Positionen, die sich als Seismografen des politischen Handelns lesen lassen.

Die Demokratie scheint in der Krise, die Ära der Post-Democracy bereits angebrochen. Die Symptome dafür sind vielfältig: populistische Führer, Fake News, Rückfall in autokratische Strukturen, totalitäre Propaganda, Neoliberalismus. Dennoch erlebt die Gesellschaft seit einiger Zeit den Weg der Kunst zurück ins Politische – ein Repolitisierung ist spürbar. Bilder von Demonstrationen in den Medien – wehende Fahnen, Banner und Transparente auf den Straßen und Plätzen wie etwa beim Women’s March, den Anti-Brexit-Kampagnen oder den OccupyAktionen prägen die öffentliche Wahrnehmung der letzten Jahre. Es sind neue Protestwellen, die ganz unterschiedliche Kontexte, Länder und politische Systeme betreffen. Das bewegt auch die Künstlerinnen und Künstler. Sie schaffen Werke, die sie als Instrumente der Kritik verstehen und die ausdrücklich politisch motiviert sind. Der Fokus der Ausstellung „Power to the People“ liegt auf grundsätzlichen Fragen und Auseinandersetzungen mit Phänomenen und Möglichkeiten politischer Teilhabe. Dabei werden Haltungen infrage gestellt, Formen des Protests abgebildet, und neue Stufen der Entdemokratisierung ins Visier genommen. Auf diese Weise werden jenseits konkreter Anliegen auch die Mechanismen und die Logik politischer Beteiligung zum Thema.

Indem die Ausstellung künstlerische Positionen aus unterschiedlichen Ländern, von Deutschland über England oder Belgien bis zu den USA, der Türkei, Israel oder Libyen vereint, regt sie zur Reflexion darüber an, wie politische Beteiligung aussehen kann und welche Konsequenzen sie jeweils nach sich zieht.

Die Ausstellung vereint 43 Werke, darunter u. a. Arbeiten von Guillaume Bijl, Adelita Husni-Bey oder Ricarda Roggan, die einen kritischen Blick auf die Fragilität von Volksvertretungen, das Versagen von öffentlichen Institutionen und die Grenzen parlamentarischer Demokratie werfen. Die Arbeiten von Halil Altındere, Osman Bozkurt oder Ahmet Öğüt beschäftigen sich mit struktureller Ungleichheit, staatlicher Unterdrückung und Willkür, aber auch mit öffentlichen Protesten als Form politischer Partizipation. Die aktive Teilhabe des Bürgers an der Gestaltung des öffentlichen Lebens wird etwa in den Werken von Katie Holten, Rirkrit Tiravanija oder Nasan Tur behandelt – das Spektrum künstlerischer Widerstandsformen zeigen die Werke von Phyllida Barlow, Hiwa K oder Marinella Senatore. Arbeiten wie etwa von Jens Ullrich setzen sich mit dem Plakat als politischem Protestmedium auseinander, Künstler wie Julius von Bismarck oder Mark Flood thematisieren die Manipulierbarkeit von medialen Bildern und von neuen überwiegend medialen Formen der politischen Beteiligung und Meinungsbildung. Das Kollektiv Forensic Architecture oder Andrea Bowers führen in ihren Werken künstlerische Methoden und Aktivismus zusammen und stellen die Frage nach der Kunst als politischer Produktivkraft.

Dr. Philipp Demandt, Direktor der Schirn Kunsthalle Frankfurt, über die Ausstellung: „Jüngst geht die Kunst ihren Weg zurück ins Politische und die Künstlerinnen und Künstler der Gegenwart erscheinen als Seismografen in diesen politisch bewegten Zeiten. Die Ausstellung ‚Power to the People. Politische Kunst jetzt‘ berührt auch die Frage, wie politisch Kunst sein darf oder sein soll. Es ist eine Frage, die wir zu jeder Zeit immer wieder neu stellen müssen.“ „Es gibt keine Kunst ohne Gesellschaft. Kunst hat immer eine gesellschaftliche Komponente, sie findet in einem Kontext statt, in einer bestimmten Zeit, in einem bestimmten Land. Kunst hat konkrete Personen, die sie produzieren, sie hat Institutionen, in denen sie gezeigt wird, und einen konkreten Betrachter, eine konkrete Betrachterin. Dabei ist es genau die Stärke von Kunst, dass sie eben kein parteipolitisches Organ ist, sondern dass ihr ganz eigene Mittel zur Verfügung stehen. Dass sie Denkräume öffnen kann, Erfahrungsräume, die es möglich machen, jenseits der Tagespolitik komplexe Zusammenhänge freier zu thematisieren“, erläutert Dr. Martina Weinhart,
Kuratorin der Ausstellung.

EINE AUSWAHL DER KÜNSTLERISCHEN POSITIONEN DER AUSSTELLUNG
In der Kunst werfen etliche Werke einen besorgten Blick auf die Fragilität von Volksvertretungen und die Grenzen der parlamentarischen Demokratie. In der Installation Wahlkabinenmuseum aus dem Jahr 2009 präsentiert Guillaume Bijl (*1946) das zentrale Instrument der Demokratie – die freie Wahl von Repräsentanten – als ausstellungswürdiges Relikt. Sechs unterschiedliche Wahlkabinenmodelle werden durch eine spezielle Licht- und Farbregie in Szene gesetzt. Infotafeln benennen die Herkunftsorte der Kabinen – Finnland, Aserbaidschan, Österreich, Japan, Marokko und China. Die Wahlkabinen wirken seltsam altertümlich und leicht schäbig, fast so als handele es sich bei der Installation um eine Gedenkveranstaltung aus postdemokratischer Zeit.

Dass eine Wahlkabine allein nicht Zeichen einer florierenden Demokratie sein muss, zeigen die Fotografien von Ricarda Roggan (*1972). Für ihr Triptychon (Zwei Stühle und ein Tisch / Stuhl, Tisch und Kasten / Stuhl, Tisch und Stellwand) aus dem Jahr 2001 hat sie das Mobiliar für Betriebswahlen in der DDR fotografiert. Die Stühle, Tische, Kästen und Stellwände hat sie in der Leipziger Baumwollspinnerei vorgefunden und in ihrem Atelier wieder aufgebaut, die originalen Abstände dabei fein abgemessen. Die beklemmenden Fotografien sind mit ihrer Leere und beamtenhaften Sprödigkeit ein Memento mori für die gleichermaßen leeren Instrumente einer nominellen Demokratie.

Das Versagen öffentlicher Institutionen und die Unzuverlässigkeit des Menschen nimmt die Künstlerin Adelita Husni-Bey (*1985) in ihrem Gemälde The Sleepers (2012) ins Visier. Zu sehen ist ein Konferenzraum mit Tischen, an denen die Teilnehmer kraft- und tatenlos sitzen: Kopf und Oberkörper sind auf den Knien abgelegt, die Arme hängen herab. Husni-Bey schildert die Horrorvision eines jeden Skeptikers repräsentativer Demokratie: eine Versammlung schlaffer Körper, im Nichtstun vereint. Das Bild vereint Vorwurf und Vorurteil – untätige Politiker, die ihrer Arbeit nicht nachkommen und das öffentliche Leben zum Stillstand verdammen. Husni-Beys The Sleepers entstand im Zuge ihrer Forschungen zu visuellen Manifestationen von Macht in westlichen Gesellschaften. Das Werk wurde von ihren Verwandten in Libyen während des Arabischen Frühlings als Plakat bei Protesten gegen die Trägheit der Regierung benutzt.

Edgar Leciejewski (*1977) blickt in seinem Tableau A Circle Full of Ecstasy (2016) auf die andere Seite, die der politischen Repräsentanten. Der Künstler vereint 77 fotografische Porträts von Politikern und Staatsoberhäuptern, u. a. von Baschar al-Assad, Fidel Castro, Queen Elisabeth II, Recep Tayyip Erdoğan, Kim Jong-Un, Theresa May, Angela Merkel, Barack Obama oder Wladimir Putin. Alle Abgebildeten eint die Geste der zum Gruß erhobenen, rechten Hand. Ob Demokratie oder Diktatur, Republik oder Monarchie, Kommunismus oder Kapitalismus, die repräsentierte Staatsform scheint ganz gleich zu sein. Alle sind in einer Geste vereint, schließlich ist die Inszenierung eine feste Säule politischer Vertretung.

Als zentrales Medium und als Kunst der massenhaften Verbreitung nimmt das Plakat eine wichtige Position in der politischen Kunst ein und wird immer wieder neu interpretiert. Der Künstler Jens Ullrich (*1968) bearbeitet gefundene Fotografien aus Zeitungen, indem er die Parolen durch abstrakte Letraset-Figurationen ersetzt. Die Arbeiten wiederum produziert er ausschließlich als Drucke, die auf die Wand plakatiert werden. Ullrichs Montagen sind geprägt durch das lebenslange Engagement seiner Eltern gegen Atomkraft und nukleare Aufrüstung. Schon als Kind hat er zusammen mit seiner Familie an Demonstrationen und Blockaden teilgenommen. Mit She Persisted (2017) präsentiert die Schirn eine zehnteilige Serie von Bleichstiftzeichnungen der Künstlerin Katie Holten (*1975). Die Serie zeigt Porträts berühmter Frauen aus verschiedenen Zeiten und Kontexten wie Angela Davis, Emily Dickinson, Chelsea Manning oder Malala Yousafzai. Es sind Frauen, die Geschichte geschrieben haben. Holten präsentiert sie uns als Galerie weiblicher Identifikationsfiguren. Sie hat die Zeichnungen – nach eigenen Angaben – in Pausen des politischen Protests gefertigt. Die Wahlkampagne von Donald Trump und seine Vereidigung zum Präsidenten der USA haben ihr Werk und ihr Selbstverständnis als Künstlerin politisiert.

Rirkrit Tiravanija (*1961) hat weiße T-Shirts mit dem Slogan „Freedom cannot be simulated“ bedrucken lassen. Sie liegen in der Ausstellung aus und können von den Besucherinnen und Besuchern mitgenommen werden. Den Hintergrund dieser partizipativen Aktion erklärt die ebenfalls in der Ausstellung präsentierte großformatige Zeitungscollage Untitled 2016 (freedom cannot be simulated, south china morning post, september 26-27-28-29-30, 2014) (2016). Sie besteht aus Seiten der chinesischen Tageszeitung und verweist auf die Tage der sogenannten Regenschirmrevolution in Hongkong – einer öffentlichen Protestwelle, die durch den Plan der Regierung, das Wahlrecht zu beschneiden, ausgelöst wurde. Wer ein T-Shirt nimmt, wird gleichzeitig Teil des Werkes und wird sich spätestens beim Tragen auch mit dem Aufdruck auseinandersetzen müssen. Tiravanija gehört zu einer Generation von Künstlern, die in den 1990er-Jahren begannen, den Kunstbegriff auf die Probe zu stellen und zu fragen, wie Kunst auf eine neue Art und Weise gesellschaftlich wirksam sein kann.

Auf der einen Seite des Spektrums politischer Kunst finden sich poetische Reflexionen wie die Videoarbeit Ballerinas and Police aus dem Jahr 2017 von Halil Altındere (*1971). Der Foto-, Multimedia- und Aktionskünstler beschäftigt sich vorrangig mit politischen Themen wie staatlicher Macht und individuellem Widerstand, Repräsentation und Ästhetisierung von Herrschaft. Altındere beleuchtet dabei nicht zuletzt die derzeitige politische Situation in seiner Heimat, der Türkei. Seine Ästhetik zeichnet sich durch eine poetisch anmutende Form der Kritik aus, in der die Musik oft eine entscheidende Rolle spielt. In seinem Video zeigt er Balletttänzerinnen, die zur
Schwanensee-Komposition von Tschaikowski tanzen, von einer Polizeieskorte gestört werden und tanzend Widerstand leisten. Die Kraft der Kunst steht in der Arbeit ebenso zur Diskussion wie politischer Pomp mit ästhetischem Anspruch, der hier ironisiert wird.

Auf der anderen Seite sind Künstler zu finden, die selbst als Aktivisten agieren, ganz zuvorderst etwa Andrea Bowers (*1965). Ihr Radical Feminist Pirate Ship Tree Sitting Platform (2013) ist das Relikt einer Aktion gewaltfreien zivilen Ungehorsams, an der die Künstlerin selbst beteiligt war. Die Installation in Form eines Piratenschiffs wurde als Plattform zur Besetzung der kalifornischen Mammutbäume verwendet, die seit einigen Jahren radikal gerodet werden. Bowers beschäftigt sich in ihren Arbeiten mit soziopolitischen Inhalten wie Arbeiterrechten, Umweltbelangen, Foodwatch, Occupy-Bewegung, Genderfragen und Geschlechterdiskriminierung. Bei der Realisierung ihrer Werke arbeitet sie häufig mit anderen Aktivisten zusammen.

Um politische Forderungen in der Öffentlichkeit zu platzieren und um eine Sichtbarkeit bestimmter Anliegen überhaupt erst herzustellen, setzen Künstler Medien taktisch ein. Die Gruppe Forensic Architecture schließt sich in wechselnden Zusammensetzungen zu Teams zusammen, um mit künstlerischen Praktiken und forensischen Methoden übersehene Aspekte von Gewalttaten zu erforschen. Die Schirn zeigt das Video Bil’in: The Killing of Bassem Ibrahim Abu Rahma, 17 April 2009, das den gewaltsamen Tod eines jungen palästinensischen Mannes bei einer Demonstration im Westjordanland an der Grenze zu Israel rekonstruiert. Der Bericht wurde im Auftrag des Rechtsanwalts der Familie und der Menschenrechtsorganisation B’Tselem erstellt. Forensic Architecture analysierte dafür eine Vielzahl von Video- und Fotodaten des Vorfalls. Auf diese Weise konnte festgestellt werden, dass der Schuss, der Abu Rahma tötete, direkt auf ihn abgegeben wurde. Der Bericht leitete Ermittlungen ein. Die strafrechtliche Aufklärung und Verfolgung dauern bis heute an.

Dass der politische Wille im digitalen Zeitalter neue Wege findet, verdeutlicht die mobile Installation 5000 Likes (2015/2016) von Mark Flood (*1957). Sie reflektiert die nicht selten manipulative Produktion von Meinung in den sozialen Netzwerken. Durch den Transfer der digitalen Likes in einen analogen Ausstellungsraum zeigt Flood, wie Wahrnehmung und politische Meinungsbildung beeinflusst werden können. Die Besucherinnen und Besucher haben die Möglichkeit, die Leinwände mit dem Wort „Like“ im Raum beliebig zu verteilen und so alle in der Ausstellung präsentierten Kunstwerke zu bewerten. Mit seiner Arbeit führt der Künstler den Glauben an die freie Kontrolle von persönlichen und politischen Inhalten ad absurdum.

Eine Erweiterung des Spektrums subversiver künstlerischer Praktiken findet durch den Image Fulgurator (2007–2011) – eine Erfindung von Julius von Bismarck (*1983) – statt. Das Gerät sieht aus wie eine Kamera, kehrt jedoch den Mechanismus des Fotografierens um und greift in die Aufnahmen anderer ein. Bei Auslösen eines Kamerablitzes in der näheren Umgebung projiziert das Gerät für den Bruchteil einer Sekunde ein mit dem fotografierten Objekt assoziiertes Motiv und überlagert das fremde Foto. Das Gerät kommt vornehmlich bei medial wirksamen Veranstaltungen und fotowürdigen Kundgebungen zum Einsatz. Von Bismarcks aktivistische und politisch-subversive Interventionen spielen mit dem Manipulationspotenzial von Bildern.

Die Künstlerin Phyllida Barlow (*1944) ist in der Rotunde der Schirn mit ihrer großformatigen Installation Untitled 100banners2015 (2015) vertreten, die sich auf Fahnen als Symbole von Zusammengehörigkeit und Macht – und für Widerstand gegen Letztere bezieht. Typischerweise versinnbildlichen Fahnen Länder, aber sie werden auch bei Paraden oder Protestveranstaltungen genutzt. Barlow entzieht den Fahnen bewusst ihre Bedeutung, denn es ist weder Schrift noch eine Botschaft zu erkennen. Die Banner sind schmucklos und beinahe laienhaft zusammengenäht. Die fragile Befestigung durch Sandsäcke verstärkt zudem den Eindruck des Improvisierten. Mit ihrer Strategie des künstlerischen Dilettantismus gelingt es Barlow, den Träger politischer Bedeutung schlechthin zu entmystifizieren.


SCHIRN KUNSTHALLE FRANKFURT
RÖMERBERG
D-60311 FRANKFURT
SCHIRN.DE


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