Oft entstehen technologische Innovationen, weil Menschen nach Lösungen für Aufgaben suchen, die sie nicht oder nicht effizient bewältigen können. Jede technologische Neuerung ist somit auch ein Sinnbild für die Phantasie der Menschen, für ihre geistigen und körperlichen Fähigkeiten wie Unzulänglichkeiten.
Oliver van den Berg (* 1967 in Essen; lebt und arbeitet in Berlin) wurde durch Skulpturen und Installationen bekannt, die von technischen Instrumenten wie Flugschreibern, Radargeräten, Sternenprojektoren oder Mikrofonen ausgehen. Seine Vorbilder aus diversen Gebieten der Technik, der Unterhaltungs- und Medienindustrie, der Raum- und Luftfahrt oder der Kriegsführung übersetzt er in Skulpturen mit technoider Anmutung. Oft verwendet Oliver van den Berg für seine Skulpturen Nadelhölzer und damit ein traditionelles, bildhauerisches Material. So „kopieren“ seine Werke existierende Gegenstände und sind dennoch artifizielle Objekte, die zwischen Original und Abbild mäandern, ihrer Funktion und ursprünglichen Materialität beraubt. Die Werke sind stets Zitate und Variationen von Bestehendem; der Fokus seiner bildhauerischen Arbeit kreist um die Themen Abbildung, Wiederholung und Nachahmung. Zugleich stehen seine Skulpturen jedoch immer auch für eigene Formschöpfungen, denn sie sind unitäre Aneignungen und individuelle Neuinterpretationen. Objekte verändern sich, wenn sie beispielsweise ihre technische Funktion verlieren oder sich ihre Materialität wandelt. Plötzlich stellen die Objekte neue Fragen. Fragen, auf die wir keine Antworten haben, selbst wenn sich unzählige Mikrofone auf uns richten:
Nur wenige Kunstwerke versetzen uns als Betrachtende derart unmittelbar in eine hypothetische Handlungssituation wie Oliver van den Bergs Installation Mikros aus dem Jahr 2006. Die handgefertigten Mikrofone sind auf ihre prototypische Form reduziert. Ergänzt durch Stative und Tische inszeniert der Künstler ein heterogenes Geräte-Ensemble und zugleich ein imaginäres Medienereignis. Alle Mikrofone richten ihre konzentrierte Aufmerksamkeit auf eine Leerstelle, sodass wir selbst zur Nachricht des medialen Großereignisses werden. Bewegen wir uns jedoch durch den Ausstellungsraum werden wir zu Kompliz*innen des hölzernen Ensembles, das als Paraphrase der Medienwirtschaft mit ihrem nicht zu stillenden Hunger nach Information gelesen werden kann.
Das für die Ausstellung in der Kunsthalle Nürnberg titelgebende Werk Blinder Passagier (2004) sowie der Sternenprojektor (2005) besitzen Parallelen zur Installation Mikros. Hinsichtlich der Farbigkeit, Lackierung sowie Oberflächenbeschaffenheit ist Blinder Passagier die täuschende Kopie eines Flugschreibers. Doch durch seine hölzerne Materialität wird die Funktion als Informationsspeicher unterlaufen. Der Flugschreiber wird zu einer hermetischen Blackbox, die keinerlei Information und Erkenntnis bereithält. Der gigantische Sternenprojektor ist das Abbild eines Gerätes, das in Planetarien genutzt wird, um den Sternenhimmel aus der Erdperspektive darzustellen. Als Nachbau aus Birkenschichtholz wird Oliver van den Bergs Sternenprojektor zu einem eindrucksvollen Körper im Raum, dessen skulpturale Qualität in den Fokus tritt. Statt als Bildprojektor zu dienen ist er nun selbst Abbild und Gegenstand der Betrachtung.
Die Kunsthalle Nürnberg präsentiert mit der Ausstellung Oliver van den Berg. Blinde Passagiere eine breite Auswahl seiner Werke aus den vergangen zwei Jahrzehnten. Im Snoeck Verlag ist die Monografie Oliver van den Berg: Werke erschienen (376 Seiten mit rund 500 Abbildungen, Leinenband bedruckt, ISBN 978-3-86442-382-6, 78 Euro).
Kunsthalle Nürnberg
Lorenzer Straße 32
90402 Nürnberg
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