In unserer gegenwärtigen Welt scheint der Mensch zwischen widersprüchlichen Bedürfnissen zu pendeln. Seine Sehnsucht nach Freiheit und Mobilität steht neben dem Wunsch nach Geborgenheit und einem vertrauten Refugium. Das Zuhause ist zum Mittelpunkt des sozialen Lebens geworden und Beruf, Kommunikation und Konsum sind heute möglich, ohne das private Heim zu verlassen. Im Zeitalter global vernetzter Aktivität gewinnt – nur scheinbar widersprüchlich – gerade der private Mikrokosmos an Bedeutung. Inwieweit hat sich unser Zuhause verändert und wie wird es künftig aussehen, wenn es zwischen Privatsphäre und Öffentlichkeit, zwischen Arbeit und Freizeit, zwischen Tag und Nacht, zwischen Ruhe und Tun kaum mehr klare Unterscheidungskriterien gibt?
Im Kontext der Social Media scheint das Bedürfnis nach Privatsphäre nicht den Wunsch auszuschließen, Intimes mit einer mehr oder minder großen Öffentlichkeit zu teilen. Auch das Genre Interieur erlaubt per se den Blick in einen Raum, der als explizit privater Ort gerade vor diesen Einblicken geschützt sein sollte.
In der Gegenwartskunst erscheint das Interieur auffallend präsent. Die Gruppenausstellung Homebase zeigt, wie variantenreich sich Künstlerinnen und Künstler heute der traditionsreichen Bildgattung nähern. Die Bilder, Projektionen, Fotografien und Installationen der Ausstellung sind Darstellungen, Dokumentationen und Inszenierungen von Räumen, sparen aber – abgesehen von den Besuchern – selten Menschen, die in ihnen agieren, weitgehend aus. Manche der Werke dokumentieren vorgefundene Innenräume. Diese sprechen für sich beziehungsweise von den Menschen, die sie bewohnen oder bewohnt haben, von ihren individuellen Vorlieben, ihrem sozialen Status und kulturellen Kontext.
Die Fotografien von Laurenz Berges zeigen Wohnungen im Ruhrgebiet, die von den Bewohnern im Zuge des Abbaus von Produktionsstandorten der Schwerindustrie verlassen wurden. Auf den ausschnitthaften Fotos privater Räume von Jörg Sasse wirken Einzelheiten wie Steckdosen, Lampen oder Herdplatten fast wie arrangierte Stillleben. Susa Templin verwischt die Konturen der Interieurs, sie scheinen sich atmosphärisch aufzulösen. Bei Gregor Schneider folgt die fotografische und filmische Dokumentation den baulichen Eingriffen, mit denen der Künstler bereits als Teenager in seinem Elternhaus begann. Claudia Wieser überträgt modernistische Dekorzitate auf skulpturale Objekte, die wiederum an Mobiliar erinnern. Bei Patricia Lambertus werden die Wände zu überbordenden Bildträgern, auf denen sich verschiedene Zeiten, Orte und Realitätsebenen begegnen. Marcus Schwier fotografiert die Räume barocker Schlösser, die in der Nutzung ihrer heutigen Bewohner wie surreale Szenarien wirken. Zilla Leutenegger lässt einen gebauten Innenraum fast wie eine Zeichnung erscheinen, wie ein Gedankenbild, das sich materialisiert hat. Franz Burkhardt erschafft eine lebensgroße Fassade, hinter der weitere Zimmer zu vermuten sind, die jedoch verborgen bleiben. Taryn Simon lenkt den Fokus auf Räume, die aus Sicherheitsgründen der Allgemeinheit verborgen bleiben. Francisca Gómez’ Blick ins Verborgene zeigt im Dämmerlicht Wohnungen in Detroit, deren überschuldeten Bewohnern der Strom abgestellt wurde. Marjetica Potrc bringt ihre künstlerische Kompetenz in kommunale Projekte ein, bei denen die Bewohner in Eigeninitiative sowohl funktionale und zugleich experimentelle Wohnbauten errichten. Eher assoziativ auf Obdachlosigkeit und Nomadentum verweist Erik Steinbrecher mit der Einrichtung einer Wohnung, die wie eine funktionslos gewordenen Ruinenlandschaft aussieht.
Ist das heimische Interieur bald ein Relikt der Vergangenheit, wenn immer mehr Menschen überall auf der Welt temporär wohnen werden und alles, was einst die heimischen Schränke und Regale füllte, einer i-cloud anvertraut haben?
Laurenz Berges, Franz Burkhardt, Francisca Gómez, Patricia Lambertus, Zilla Leutenegger, Marjetica Potrc, Jörg Sasse, Gregor Schneider, Marcus Schwier, Taryn Simon, Erik Steinbrecher, Susa Templin und Claudia Wieser
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