2016 feiert die kestnergesellschaft ihr 100-jähriges Bestehen. Mit ihrem künstlerischen Programm hat die Institution Kunstgeschichte geschrieben, aber auch politisch und gesellschaftlich kann sie auf eine außergewöhnliche wie einmalige Geschichte zurückblicken. Stellung nehmen – dieses aus der Historie der Institution abgeleitete und bis heute relevante Thema steht im Mittelpunkt des vielfältigen Jubiläumsprogramms mit Ausstellungen, Künstlergesprächen, Vorträgen, Workshops und einem Fest für alle Bürgerinnen und Bürger.
Joseph Beuys (*1921 in Krefeld; † 1986 in Düsseldorf), Marlene Dumas (*1953, in Kapstadt), Christian Falsnaes (*1981 in Kopenhagen), Martin Kippenberger (*1953 in Dortmund; † 1997 in Wien), Christian Philipp Müller (*1957 in Biel, Schweiz), Ahmet Ögüt (*1981 in Diyarbakir, Türkei), Britta Thie (*1987 in Minden), Franz Erhard Walther (*1939 in Fulda)
Seit der Gründung der kestnergesellschaft im Jahr 1916 ist die Geschichte des renommierten Kunstvereins eng verbunden mit dem bewussten Handeln zahlreicher Akteure, die sich für zeitgenössische Kunst einsetzen und in unterschiedlicher Weise Stellung nehmen.
Mit der Gruppenausstellung STELLUNG NEHMEN greift die kestnergesellschaft diesen Leitgedanken auf und richtet den Blick in die Gegenwart: Die Schau versammelt Werke, die den Betrachter explizit dazu auffordern, selbst Stellung zu beziehen. Präsentiert werden acht ausgewählte Künstlerinnen und Künstler aus den Bereichen Performance, Video, Malerei, Installation und ortsspezifische Intervention. Einige Arbeiten wurden eigens für die Ausstellung in der kestnergesellschaft entwickelt.
Ausgehend vom Werkverständnis des Künstlers Franz Erhard Walther, der die Vollendung eines Kunstwerks in der Handlung des Betrachters sieht, werden die Besucher der Ausstellung STELLUNG NEHMEN gezielt aufgefordert, die Produktion und Rezeption der Kunstwerke zu reflektieren und eine Haltung gegenüber der Kunst einzunehmen. Christian Falsnaes’ Videoarbeit »First« (2016) zum Beispiel befragt den jeweils ersten Besucher des Tages nach seiner Meinung, während Besucherkommentare die Installation »It is not just a matter of black and white« (2016) von Christian Philipp Müller während der Laufzeit der Ausstellung ergänzen und erweitern sollen. Die Aktivierung der Betrachter geht dabei weit über die handlungsbezogene Partizipation hinaus. Auch die persönliche Vorstellungskraft kann zentraler Bestandteil der individuellen ästhetischen Erfahrung sein, wie beispielsweise bei den Soundinstallationen von Joseph Beuys und Martin Kippenberger oder dem Gemälde »Punch This Painting« (2010) von Ahmet Ögüt.
100 Jahre Kestner Gesellschaft
28. Mai bis 13. November 2016
Die Ausstellung »100 Jahre Kestner Gesellschaft« erzählt die bewegte Geschichte des Hauses anhand eines Zeitstrahls, der sich im Laufe der Ausstellung stetig weiterentwickeln wird. Die Zusammenschau von historischen Dokumenten, Fotos, Plakaten, Zitaten und Filmen präsentiert Meilensteine der Geschichte des Kunstvereins. Vorgestellt werden unter anderem die elf Direktoren, denen allen das Engagement und der Wille zur Förderung zeitgenössischer Kunst in Hannover gemein waren und sind - unabhängig davon, welchen Herausforderungen sie jeweils gegenüberstanden. Die Unterstützung durch den Vorstand und die Vereinsmitglieder spielte dabei immer eine wichtige Rolle. Beispielhaft dafür steht die Zeit Anfang der 1930er-Jahre: Drei Jahre lang nahm der Vorstand der kestnergesellschaft persönliche Risiken auf sich, um ihren Direktor Justus Bier vor Repressalien der Nationalsozialisten zu schützen. Bier gelang es, in die USA zu fliehen. Die kestnergesellschaft wiederum, die programmatisch nicht einlenkte, wurde 1936 zwangsgeschlossen. Nach Ende des Zweiten Weltkrieges konnte sie im Jahr 1948 in der Warmbüchenstraße wieder eröffnen. 1997 zog der renommierte Kunstverein in das ehemalige Goseriedebad im Stadtzentrum Hannover ein.
Mitglieder und Freunde werden eingeladen, ihre Erinnerungen und Geschichten rund um die kestnergesellschaft mit einzubringen und die Ausstellung damit zu erweitern. Den Auftakt hierzu macht das gefilmte Gespräch mit Angela Kriesel, die über die vielfältigen Bezüge der kestnergesellschaft zur Familie Sprengel berichtet. Angela Kriesel war selbst von 1985 bis 2002 im Beirat tätig, ihr Großvater August Sprengel gehörte zu den Gründern des Kunstvereins, ihr Vater Dr. Bernhard Sprengel wiederum war von 1956 bis 1974 erster Vorsitzender und danach Ehrenmitglied der kestnergesellschaft. In der zweiten Jahreshälfte wird eine neu entwickelte Arbeit des Künstlerduos Henning Fehr/Philipp Rühr (*1985/*1986, leben in Köln) präsentiert. Die Künstler setzen sich dokumentarisch mit institutionellen und machtpolitischen Inhalten auseinander. Das in der Ausstellung präsentierte Werk lässt sich als künstlerische Reflexion der Geschichte der kestnergesellschaft verstehen.
Wie ist die Ausstellungsprogrammatik der kestnergesellschaft vor dem Hintergrund der nationalsozialistischen Kulturpolitik und den damit einhergehenden gesellschaftlichen
Umbrüchen einzuordnen? Der Kunsthistoriker Prof. Dr. Olaf Peters (Universität HalleWittenberg) skizziert die grundlegenden Bedingungen der unterschiedlichen Akteure im »Dritten Reich« und gibt einen Einblick in die unmittelbare Nachkriegszeit, deren Spuren bis in die Gegenwart reichen. Kolja Reichert (Kunstkritiker für FAZ, Spike Art Quarterly u.a.)
verortet Franz Erhard Walthers Werkbegriff zwischen Objekt, Körper und virtueller Welt. Vor dem Hintergrund der Digitalisierung erhält dieser Werkbegriff eine neue Aktualität und
Relevanz. Nach den beiden Einführungen folgt ein Künstlergespräch mit Franz Erhard Walther, moderiert von Christina Végh.
Wir laden alle Bürgerinnen und Bürger ein, mit uns den 100. Geburtstag der kestnergesellschaft zu feiern. Geboten wird ein vielfältiges Programm unter anderem mit Führungen, Workshops, einem Round-Table-Gespräch mit der Künstlerin Monika Baer, Susanne Titz, Direktorin des Städtischen Museums Abteiberg in Mönchengladbach, und Chris Dercon, Emeritus, Tate Modern, London.
Die kestnergesellschaft in Berlin
30. November bis 9. Dezember 2016
Niedersächsische Landesvertretung in Berlin
Finissage: 8. Dezember 2016
Der Künstler Christian Falsnaes (*1981 Kopenhagen, lebt in Berlin), der auch in der Ausstellung STELLUNG NEHMEN vertreten ist, präsentiert zum gleichnamigen Jubiläumsmotto der kestnergesellschaft eine Arbeit in der Niedersächsischen Landesvertretung in Berlin.
kestnergesellschaft.de.
Presse
Kataloge/Medien zum Thema:
Ahmet Ögüt
Haus am Lützowplatz
Urban Spree Galerie
Galerie 15
Galerie Alte Schule im Kulturzentrum Adlershof
Haus am Kleistpark | Projektraum