Angesichts des weltweiten Erstarkens von Nationalismus, Populismus und Xenophobie
konzentrieren sich die künstlerischen Sozialstudien Koki Tanakas (*1975 in Tochigi,
Japan) auf das Zusammenleben in Gemeinschaften. Sein eigens für die Ausstellung im
Migros Museum für Gegenwartskunst realisiertes Projekt, Vulnerable Histories (A Road
Movie) (2018), nimmt das durch Unverständnis und Misstrauen geprägte Zusammenleben
von Zainichi-Koreanern und Japanern in seinem Heimatland als Anlass, um für
ein waches Auge gegenüber Rassismus und Diskriminierung zu plädieren. Sein Projekt
wird dabei von einer Reihe von Gesprächssituationen zwischen zwei Protagonisten
getragen, die sich zuvor nicht kannten. Begleitet vom Künstler und seinem Kamerateam
setzen sie sich in Tokio mit Fragen nach (der eigenen kulturellen) Identität auseinander
sowie mit Möglichkeiten, sich den gezielt vereinfachenden Weltbildern rassistischer
Gruppierungen entgegenzustellen. Die aus dem Projekt hervorgegangenen Filme zeigen
auf, dass namentlich das Gespräch ein wertschätzendes Zusammenleben – im Privaten
wie im Öffentlichen – begünstigt und fördert. Die Ausstellung soll den Rahmen liefern,
um den von Tanaka initiierten Austausch vor Ort fortzusetzen. So stehen während der gesamten Ausstellungslaufzeit «Live-Speaker» als Ansprechpartner zur Verfügung. In
unterschiedlichen Formaten werden mit diversen Akteuren aus Kunst und Lehre weiterführende
Diskussionsräume eröffnet.
Was passiert, wenn Hass spricht? Vielerorts lässt sich beobachten, dass im öffentlichen Diskurs
immer häufiger Stimmen laut werden, die ein Gesellschaftsbild propagieren, das auf Exklusion
und Inklusion basiert. Die gewaltsame Rhetorik der Hassreden zielt darauf ab, bestimmte
Personen(-gruppen) herabzusetzen und zu verunglimpfen. Weltweit werden immer mehr Menschen
zum Ziel verbaler Attacken, die genau wie körperliche Verletzungen Wunden hinterlassen. Das
andauernde Zirkulieren solcher Parolen, auch im Internet, birgt die Gefahr, dass sich die geäusserten
Ressentiments als vermeintliches «Wissen» in den Köpfen festsetzen und ein auf Toleranz basierendes
Zusammenleben untergraben. Im Gegensatz zur rassistischen Rhetorik, die auf Entmenschlichung
setzt und eine angebliche «Andersartigkeit» zementieren will, konzentriert sich das von Koki Tanaka
entwickelte Projekt Vulnerable Histories (A Road Movie) auf das uns als Menschen Verbindende.
In Anlehnung an den Film Before Sunrise (1995) wird die Handlung von den Gesprächen zwischen
der in Japan ansässigen Zainichi-Koreanerin Woohi Chung und dem Schweizer Christian Hofer,
dessen japanische Urgrosseltern um 1900 in die USA immigrierten, getragen. Dabei geht es
Tanaka ebenso um persönliche Erinnerungen an konkrete Situationen wie um das kollektive
Gedächtnis von Gemeinschaften – unterbewusste Erinnerungen, die auf Erfahrungen von Freunden,
Verwandten und Bekannten zurückgehen. Die Dreharbeiten führen die Protagonisten an verschiedene
Orte in Tokio, die einen besonderen Bezug zum Verhältnis zwischen Zainichi-Koreanern und
Japanern haben und die Kulisse bilden, vor der sich die beiden Akteure über ihre persönlichen
Erfahrungen, die globale bzw. japanische gesellschaftliche Situation sowie über Möglichkeiten
und Aspekte des Zusammenlebens im Allgemeinen unterhalten. Unter der Prämisse, dass das
Klima der Inklusion und Exklusion keinesfalls als «soziale Realität» hingenommen werden darf,
verweist der von Tanaka inszenierte Austausch im Mikrokosmos seines Projekts ganz allgemein
auf die Unerlässlichkeit der Verständigung und des Gesprächs für ein tolerantes Miteinander und
eine Gemeinschaft, die sich durch Anteilnahme auszeichnet. Der durch seine Arbeit gegebene
Impuls soll in Zürich im Ausstellungsraum fortgesetzt werden. Während der gesamten Laufzeit
werden in der Ausstellung sogenannte «Live-Speaker» als Gastgeber im Museum präsent sein,
die auf Wunsch in verschiedenen Formaten als Gesprächspartner aktiv werden. Diverse Vertreter
aus Kunst und Lehre können gemeinsam mit den Besucherinnen und Besuchern Diskussionsräume
eröffnen, in denen ein Austausch über Toleranz, wertschätzendes Miteinander und über
Formen des Zusammenlebens in Gemeinschaften stattfinden kann.
Die «Live-Speaker» werden u.a. in Zusammenarbeit mit Masterstudierenden des Instituts Lehrberufe
für Gestaltung und Kunst, HGK FHNW, Basel, der Zürcher Hochschule der Künste (ZHdK,
Kontextmodul mit Marcel Bleuler und Benjamin Egger; MA Fine Arts, mit Swetlana Heger, Rory
Rowan und Philip Matesic; Postgraduate Programme in Curating, mit Dorothee Richter) und der
Künstlergruppe Neue Dringlichkeit erarbeitet und durchgeführt.
Die von Heike Munder (Leiterin Migros Museum für Gegenwartskunst) kuratierte Ausstellung ist
die erste Einzelausstellung von Koki Tanaka in der Schweiz. Zur Eröffnung erscheint eine Monografie
im Verlag JRP|Ringier.
Koki Tanaka (*1975 in Tochigi, Japan) lebt und arbeitet in Kyoto. Seine Arbeiten sind international
präsent, zuletzt u.a. im Kunsthaus Graz (2017), in der Deutsche Bank KunstHalle, Berlin (2015),
im Van Abbemuseum, Eindhoven (2014), im National Museum of Modern Art, Kyoto und Tokio
(2013), im Museum of Art, Seoul (2013), im Hammer Museum, Los Angeles (2012), im Taipei
Contemporary Art Center (2012) und im Palais de Tokyo, Paris (2007). 2013 war Tanaka offizieller
Vertreter Japans an der 55. Biennale in Venedig, 2015 wählte ihn die Deutsche Bank zum Künstler
des Jahres, und 2017 nahm er an den Skulptur Projekten Münster und der 57. Biennale in Venedig
teil.
Mit Unterstützung des Arts Council Tokyo (Tokyo Metropolitan Foundation for History and Culture)
MIGROS MUSEUM FÜR
GEGENWARTSKUNST
LIMMATSTRASSE 270
CH–8005 ZÜRICH
Presse
Kataloge/Medien zum Thema:
Koki Tanakas
a.i.p. project - artists in progress
Galerie HOTO
Galerie 15
Haus am Lützowplatz
Stiftung Kunstforum Berliner Volksbank