Die Zirkulation von Arbeit, Kapital und Leben als Lieferkette. Das Potosí-Prinzip-Archiv erklärt einen Typus ecclesiae catholicae
Alice Creischer und Andreas Siekmann thematisieren in einer drei Räume umfassenden Installation im Dommuseum Hildesheim Aspekte von historischer und gegenwärtiger Ökonomie, den Abbau von Silber und seltenen Erden, die Verwertung von Nutzerdaten zeitgenössischer Kommunikationstechnologie sowie Kolonialismus und Mission. Mit dem Potosí-Prinzip kontextualisieren und interpretieren die Künstler:innen historische Objekte aus der Sammlung des Dommuseum Hildesheim neu.
Aus dem Silberberg bei der Stadt Potosí in Bolivien wurde im 16. Jahrhundert so viel Silber abgebaut, dass man sagte, man hätte damit eine Brücke über den Atlantik bis nach Spanien bauen können. Mit diesem Kapital wurde eine weltweite Dynamik in Gang gesetzt, die sich bis heute fortsetzt. Ihre Bestandteile sind Industrialisierung, Bankwesen und Handel ebenso wie Vertreibung und Verfügbarmachung von Personen sowohl in Europa als auch in den Kolonien. „Der Begriff Potosí-Prinzip verweist auf das Andauern einer Logik der Ausbeutung von Ressourcen und Menschen, die mit der Eroberung Südamerikas begann und bis jetzt anhält.“ so Creischer / Siekmann. Potosí-Prinzip war zugleich der Titel einer Ausstellung, die sich 2010 kolonialen Barockgemälden in Bolivien widmete. Zehn Jahre später entstand aus den zahlreichen Dokumenten und Quellen des Projektes ein Archiv. Das Projekt und das Archiv verstehen sich als kollektive Praxis eines kontinuierlichen Austauschs zwischen europäischen und südamerikanischen Künstler:innen und Autor:innen.
Diese Ausstellung entwickeln Creischer / Siekmann ausgehend von einem Leuchter aus dem 12. Jahrhundert, der aus dem Maasgebiet stammt und Bestandteil der Sammlung des Museums ist. Auf seinem Fuß sitzen drei Frauenfiguren als Allegorien der drei damals bekannten Kontinente Asien, Afrika und Europa. Europa und Afrika kommentieren die Künstler:innen durch eigene Kunstwerke und ergänzen sie thematisch um den vierten Kontinent, um Amerika. Afrika wird dabei etwa mit der Ausbeutung der Coltan-Minen im Kongo verbunden. Nach Südamerika führt die Installation Druckerei von Creischer / Siekmann. Sie ist gegenüber dem Wrisberg-Epitaph angebracht, einem Gemälde aus dem 16. Jahrhundert, das die seltene Ikonographie der Sakramente der Kirche zeigt. Diese Druckerei ist eine Bilderzählung. Reproduktionen historischer Bilder zeigen die Motivwanderung der mystischen Weinpresse, Illustrationen der Montanindustrie, Hostien- und Münzpressen aus Potosí sowie indigene Zeugnisse der Missionierung in Bolivien im 16. Jahrhundert.
In ihren Werken nehmen die Künstler:innen Bezug auf die Formensprache der Wiener Methode der Bildstatistik und den Bilderatlas von Aby Warburg. Sie arbeiten mit einfachen Materialien und binden in ihrer Installation Kunstwerke unterschiedlichster Herstellung ein: Videoarbeiten, Gemälde, Zeichnungen, Plastiken aus Tierfell, Grafiken, konzeptuelle Textarbeiten, Keramikfiguren, Textilien sowie Audiospuren. Die den Kontinenten zugeordneten Werke werden durch die drei Räume verbunden mit dem aus dem Wrisberg-Epitaph entlehnten Motiv der „Kette“. „Es scheint in unserer Recherche zu den Lieferketten zunächst um Extraktivismus und Ressourcenkriege zu gehen. Andererseits sagen uns die Bilder, dass diese Kriege verbunden sind mit einer Verwertung des freien Willens, kanalisiert in Einheiten – in Dämonen und in Aussagen – transportiert auf Halbleitern aus seltenen Erden, geplündert und gerafft in neuen Kriegen und der Diplomatie des ‚Geschäfts, das auf Trümmern gedeiht‘.“, so Creischer / Siekmann.
29.10.2025 - 06.04.2026
Alice Creischer und Andreas Siekmann mit Gastbeiträgen von Sonia Abián und Max Jorge Hinderer Cruz und einem Gemälde von Tshibumba Kanda Matulu
Dommuseum Hildesheim
Domhof
31134 Hildesheim
https://www.dommuseum-hildesheim.de