Angenommen, der ehemalige Kunstvereinschef Nicolaus Schafhausen hätte Frankfurt nicht verlassen und wäre Leiter der Staatliche Hochschule für bildende Künste - Städelschule geworden, dann hätte der Neubau des Portikus, der von der Städelschule bespielt wird, seinen Spitznamen weg: "Das ist das Haus vom Nicolaus". Jeder kennt den Spruch und mindestens eine Variante, ein Haus mit einer Linie und ohne abzusetzen aufs Papier zu zeichnen. Sicher wird der Architekt Christoph Mäckler sich nicht mit solch profanen Entwurfstechniken abgeben. Allerdings erinnert die Spitzgiebelfront seines auf einer Maininsel prominent platzierten, dunkelrot gestrichenen Ausstellungshauses frappierend an das Kinderspiel. Was dem Gebäude keinen Abbruch tut. Gerade die mit vielen raffinierten Details präzise angereicherte Einfachheit macht den Reiz des Gebäudes aus.
Der elegante Kunstbau wirkt wie ein geglättetes historisches Bürgerhaus und präsentiert sich damit als absolut zeitgemäße Erscheinung. Denn Kunst muss sich nicht länger in feudalen oder fabrikartigen Bauwerken inszenieren, sondern kann sich ganz relaxt in einem besserbürgerlichen Ambiente einrichten. Die Wirkung des Portikus ist besonders überzeugend, wenn man bei Nacht über die Alte Brücke in Richtung Sachsenhausen geht. Dann leuchtet die nach Norden verglaste Dachschräge weithin sichtbar in sonnigem Gelb - dank einer temporären, bogenförmigen Lichtinstallation von Olafur Eliasson.
Frankfurt hat ein neues Highlight. Und die Städelschule ist zu beglückwünschen. Rektor Daniel Birnbaum und Kuratorin Nikola Dietrich wollen den Portikus als ein führendes Zentrum für experimentelle Kunst in Deutschland weiterführen. Viel versprechend ist die erste Ausstellung mit architekturbezogenen Arbeiten der slowenischen Künstlerin Marjetica Potrc und des argentinischen Künstlers Tomas Saraceno.
Tomas Saraceno (33) spielt dabei den schwächeren Part. Er hat zwar eine Menge transparenter Ballons mit Gas gefüllt und zu voluminösen sphärischen Objekten montiert, die in dem neun Meter hohen Ausstellungsraum sehr pittoresk schweben. Hinter seiner Arbeit mag auch ein innovativer Forschergeist stecken, denn "Flying Garden", so der Titel, soll Teil von Saracenos längerfristigem Projekt "Air-Port-City" sein, in dem er sich mit der Entwicklung von bewohnbaren Plattformen in der Luft beschäftigt. Vorbilder wie Buckminster Fuller oder Peter Cook stehen Pate. Aber so, wie die "fliegende Utopie" präsentiert wird, kommt sie über einen dekorativen Aspekt nicht hinaus.
Inhaltlich und formal markanter ist das "Prishtina-House", das Marjetica Potrc (53) installiert hat. Das etwa 35 Quadratmeter große Häuschen im, laut Potrc, "Personal Orientalism"-Stil, besticht durch seinen abenteuerlichen Formen- und Material-Mix. Die Außenwände sind aus unverputzten, knallgelb angepinselten Backsteinen gemauert. Der Eingangsbereich wird von einem adretten kleinen Hof umfasst, in den man durch eine Gittertür blickt. Über der spannt sich ein Spitzbogen aus weiß gestrichenem Sperrholz. Baluster sind dekorativ in Mauern eingearbeitet, die oben wehrhaft mit Stacheldraht gesäumt sind. An einer Ecke wacht eine Kamera, über eine andere ragt eine Straßenlampe. Vor der auffallend schmucklosen weißen Haustür klebt ein halbrunder Portikus aus Kunststoff-Abwasserrohren, darüber sind an der Fassade Stuck-Fertigteile appliziert. Ganz oben, auf dem Flachdach, ragt ein Wasserboiler in die Luft - wie der Schornstein eines kleinen Dampfschiffes, das gleich von der Portikus-Insel aus ins Wasser gleiten wird.
Marjetica Potrc hat ein Wohnhaus in Prishtina zum Vorbild genommen und in kleinerem Maßstab nachempfunden. Ein frappierender Befund: Die Post-War-Architektur des Balkans wirkt, unterstützt durch die verwendeten Materialien aus Frankfurter Baumärkten, wie eine liebevoll-kitschige Karikatur westlicher Postmoderne-Architektur. Spiegelt sich darin die Zukunft unseres multikulturellen Zusammenlebens? Dieser Frage geht Potrc auch in 20 gerahmten Zeichnungen nach, einige davon hat sie als großformatige Wandbilder ausgeführt. Pointiert reflektiert sie menschliche Lebens- und Überlebensstrategien, wenn sie mit wenigen Linien Häuser und städtebauliche Situationen skizziert und ihren Bildern Zitate aus Sir Winston Churchills legendärer Rede "We shall fight in the Beaches" vom 4. Juni 1940 vor dem House of Commons zur Seite stellt: "We shall go on to the end. [...] We shall defend our island, whatever the cost may be." Keine rosige Vergangenheit scheint da auf. Aber die Zukunft haben ja wir in der Hand.
Klaus Heid
kultur-kanal.de
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