Als Kooperationspartner der Kyiv Biennale 2015 zeigt der Badische Kunstverein eine um die Kiewer Künstlerin Alexandra Exter (1882-1949) gruppierte Ausstellung, die die Verflechtungen der europäischen Kunstszenen Anfang des 20. Jahrhunderts vorstellt und zugleich in zeitgenössischen Positionen ihre Relevanz für unsere Gegenwart aufzeigt – inhaltlich vertiefend und in lexikalischen Verweisen.
Alexandra Exter ist eine zentrale Figur der sowjetischen konstruktivistischen Avantgarde. Der Nachhall ihrer Arbeit als Malerin, Bühnen- und
Filmdekorateurin, Theatermacherin, Pädagogin, Lehrerin und aufklärerische Volksbildnerin reichen weit bis in das 20. Jahrhundert und über
Europa hinaus und finden ein verstärktes Echo in einer jungen Künstlerund Künstlerinnengeneration der Gegenwart.
Die Ausstellung im Badischen Kunstverein ist in drei Kapitel unterteilt, die unmittelbar ineinander übergehen: „Emanzipation, Ethnographie und
Abstraktion: Die Schule der Landschaft“ geht Exters Lehrkonzepten nach, die sie an den von ihr mitbegründeteten Schulen in Kiew, aber vor allem auch als Teil eines Kollektivs für Volkskunst in dem Dorf Verbovka einsetzte. In Anlehnung an Exters pädagogische Arbeit zeigt eine Gruppe von KünstlerInnen Projekte, die die künstlerische Erziehung einer lokalen, oft ländlichen Bevölkerung innerhalb der ästhetischen Konzepte modernistischer Avantgarde verhandeln. Dazu gehören beispielsweise die Werke der ukrainisch-amerikanischen Filmemacherin Maya Deren (1917-1961), Graciela Carnevales (*1942) Arbeit als Künstlerin und politische Aktivistin in Argentinien sowie die Arbeit der russischen Künstlerin Taus Makhacheva (*1983).
Exters Arbeiten stehen aber auch im Kontext der in der Moderne eingeschriebenen Technikeuphorie, die in den 1920er-Jahren doppelgesichtig
utopisch war. Exter gestaltete die Kostüme des ersten sowjetischen Science-Fiction-Filmes „Aelita“ (1924). Das Ausstellungskapitel „Futurismus, Technikeuphorie, Irrationalität und Science-Fiction: Die Schule Europas“ geht der Frage nach, wie der futuristische Expressionismus nach seiner Zeit die Ästhetik beeinflusste. Dazu zählen beispielsweise Stano Filkos (*1937) Raketenphantasien in den Normalisierungsjahren nach dem Prager Frühling in Bratislava. Josef Dabernigs (*1956) neuer Film „Zlaté Piesky Rocket Launch“ (2015) übersetzt hingegen Motive der Technikeuphorie der 1920er-Jahre in die Drohnenszenarien der Gegenwart.
„Film, Objekt, Abstraktion: Die Schule des (spekulativen und politischen) Realismus“ als drittes Kapitel der Ausstellung widmet sich schließlich
dem sowjetischen Film mit einem Hauptaugenmerk auf dem Regisseur Grigori Kozintsev (1905-1973), der bei Exter in die Lehre ging. Auch hier werden Bezüge zu einer anderen modernen oder zeitgenössischen Kunstproduktion hergestellt – sei es in Geta Brătescus (*1926) geometrischer Abstraktion im Rumänien der Ceau&așescu-Jahre, die Objekt bezüge politischer Kunst bei Judith Hopf (*1969) oder Robert Breers (1926-2011) Filme, die als stiller Protest gegen das Amerika McCarthys gesehen werden können.
Die Idee der Schule kann nicht allein durch die Exponate vermittelt werden, sondern soll in der Klasse Karlsruhe unmittelbar vollzogen werden.
Im Waldstraßensaal zeigen die ukrainischen Kuratorinnen Lizaveta German und Maria Lanko mit „Pavshyno Kunstverein. Informelle Räume und künst-
lerische Praktiken in der Westukraine“ eine Ausstellung rund um ihr Projekt Open Archive, das verschiedene künstlerische Praktiken und informelle
Räume der spätsowjetischen Ukraine versammelt. In Verbindung mit dieser Präsentation wird eine Schule stattfinden, die sich mit Fragen der Historisierung und Institutionalisierung von Kunst jenseits des konventionellen Kunstbetriebs beschäftigt.
Eine sowohl inhaltliche wie formale Klammer der drei Orte Kiew, Leipzig und Karlsruhe bietet die gemeinsame Ausstellungsarchitektur des Künstlers Johannes Porsch (*1970). Die zweite Klammer ist eine Publikation, die nach Ablauf der einzelnen Projekte deren Ergebnisse zusammenfasst. Die Website theschoolofkyiv.org stellt zusätzliches Wissen bereit und soll den Austausch zwischen den verschiedenen Ausstellungsorten ermöglichen und fördern. Das grafische Konzept für das gesamte Projekt entwickelte Till Gathmann (*1977).
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