Für die Ausstellung „Holy. Energy. Masters. ars viva 2023“ entwickeln die aktuellen Preisträger*innen des renommierten ars viva Nachswuchspreises Paul Kolling, Shaun Motsi und Leyla Yenirce im Haus der Kunst raumgreifende Neuproduktionen. Alle drei Künstler*innen verhandeln in ihrem Schaffen aktuelle Ereignisse von politischer, ökologischer und sozialer Brisanz. Mit der Ausstellung setzt das Haus der Kunst sein Engagement für eine jüngere Künstler*innengeneration fort. Die Kooperation mit dem Kulturkreis der deutschen Wirtschaft im BDI e.V. findet anlässlich des 70-jährigen Jubiläums der angesehenen Nachwuchauszeichnung ars viva statt.
„Die Ausstellung „Holy. Energy. Masters“ zeigt einen Dreiklang von Stimmen der jüngsten Künstler*innengeneration, die Konflikte von eurozentristischem Wissen, Werten und Systemen befragt und intelligente, poetische wie auch geographische Perspektivwechsel ermöglicht.“ – Jana Baumann, Kuratorin.
Holy
In Leyla Yenirces Klanginstallation Holy Water (2023) entfaltet sich ein sphärisches Crescendo, das durch den Körper ins Bewusstsein gelangt. Fortdauernde traumatisch-historische Ereignisse werden in eine ergreifende Wahrnehmungserfahrung transformiert. Das Werk basiert auf einem BBC-Interview, das in Lalisch aufgezeichnet wurde, dem heiligen Tempel der Jesiden im Nordirak. Die Hüterin der heiligen Kanîya Sipî-Quelle unterzieht hier Frauen und Mädchen einer Wiedertaufe, die den seit 2014 vom sogenannten Islamischen Staat durchgeführten Genozid überlebt haben. Durch das Ritual werden sie wieder zu Jesidinnen, nachdem ihnen sonst ein Ausschluss aus der Gemeinschaft drohen würde aufgrund der an ihnen verübten sexuellen Gewalt. In dem Ritual der Reinigung und Heilung schwingt sowohl die jüdische Tradition der Mikwe mit, als auch die der christlichen Taufe von Jesus durch Johannes den Täufer. Entstanden ist es jüngst während des Genozids, um den körperlich und seelisch Versehrten Erholung zu verschaffen. Yenirce nähert sich diesem Ritual aus einer klanglichen Perspektive: Aus vorgefundenem Sound-Material steigen helle Synthesizerklänge und manipulierte Feldaufnahmen auf. Die virtuose Komposition verschiedener Klangschichten zerschmettert hierarchische Narrative zugunsten eines transzendentalen Erlebnisses, das die Reinigung und Überwindung von Traumata vermittelt und zugleich dessen Grenzen hinterfragt.
Energy
Paul Kollings raumgreifende Installation und sein gleichnamiger Film Energy (2023) widmen sich der undurchsichtigen Preisbildung am Energiemarkt und der darüber geführten öffentlichen Debatte, die sich mit dem aktuellen Krieg in Europa brisant zugespitzt hat. Kolling geht es nicht um eine rein wissenschaftliche Untersuchung, sondern vielmehr um den gesellschaftlichen, hochemotional geführten Diskurs, dem die einer nüchternen Verwertungslogik folgende Wirtschaft gegenübergestellt wird. Das zweiteilige Werk verweist auf die sichtbare wie zugleich unsichtbare Architektur der Europäischen Energie Börse (EEX). Dieser real existierende Schauplatz der Börse wie auch die Prozesse der Energiepreisbildung sind einer breiten Öffentlichkeit kaum bekannt. Ihre Rolle ist von der Wirtschaft sowie von Journalist*innen, Expert*innen und Aktivist*innen gleichermaßen stark umstritten. Kollings monumentale Textil-Konstruktion zeigt die drei Fensterfronten der Hauptetage der EEX im 23. Stock des Leipziger City-Hochhauses. Gemäß der geografischen Ausrichtung des Gebäudes ragt die Installation in den Raum hinein, gleich einer verstörenden Intervention. Der zugehörige Film deckt mit der Gegenüberstellung von Interviews unterschiedlicher Akteur*innen absurde Widersprüche auf und formuliert grundsätzliche wirtschaftsethische Fragen zum gegenwärtigen Kampf um Ressourcen.
Masters
Mit Masters treibt Shaun Motsi die Untersuchung zeitgenössischer visueller Kultur weiter voran, besonders im Hinblick auf die Produktion und Distribution von Bewegtbildern in einer zunehmend digitalisierten, post-pandemischen Welt. Seine Videoarbeit eignet sich das „Talking Heads“-Format an und widmet sich dem aktuellen Unterhaltungs-Genre der populären Lehrfilme auf online Video-Plattformen. Eines Tages erhält Mr. Clarke, ein im Ruhestand lebender Schwarzer unabhängiger Filmemacher, eine Einladung von einer umstrittenen Online-Edutainment-Plattform namens Masters. Die Zusammenarbeit gerät aus den Fugen, als die kompromisslose Agenda des Start-ups, das finster entschlossen ist, Bildung zu destabilisieren und radikal umzudefinieren, die Protagonist*innen zwingt, ihr Verhältnis zu Wissen, Studium, Gemeinschaft und der sich ändernden Landschaft institutionalisierten Lernens neu zu bewerten. Inspiriert vom Independent und New Wave-Kino wie auch in den sozialen Medien generierten Inhalten, lässt Motsi aus Aspekten von Comedy, Thriller, Horror und Drama eine Filmstruktur erwachsen, die in kritischer Anlehnung an cineastische „Heldenreisen“ radikal gekürzt in einen mini-epischen Kurzfilm von herausfordernder Geschwindigkeit münden. Motsi analysiert und kritisiert Prozesse von Wissensbildung, insbesondere wie Institutionen und deren Möglichkeiten des Lernens definiert sind, wer und wie Zugang zu Bildung hat bzw. es weitergegeben wird. Motsi schafft damit wegweisende Denkräume für neue gesellschaftliche Strukturen.
Kuratiert von Jana Baumann
Eine Ausstellung von Haus der Kunst München in Zusammenarbeit mit dem Kulturkreis der deutschen Wirtschaft im BDI e.V. Mit freundlicher Unterstützung der Kanadischen Botschaft.
Der ars viva-Preis wird seit 1953 vom Kulturkreis der deutschen Wirtschaft im BDI e.V. jährlich an junge, in Deutschland lebende Künstler*innen vergeben. Es wurden seitdem mehr als 350 Personen geehrt, darunter Künstler*innen wie Katharina Sieverding, Rosemarie Trockel, Candida Höfer, Thomas Ruff, Wolfgang Tillmanns, Thomas Struth, Georg Baselitz, Jeanne Faust, Omer Fast und Mariana Castillo Deball. Weitere Infos zum ars viva-Preis unter arsviva.kulturkreis.eu.
Haus der Kunst
Prinzregentenstr. 1, 80538 München
www.hausderkunst.org
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