Neben den staatlichen und den großen privaten Museen setzen sich in Istanbul seit den letzten Jahren ebenso engagiert besonders kleinere Galerien und Projekträume mit junger Kunst auseinander. Zum Beispiel die Dirimart Garibaldi Galerie - eine der bekanntesten zeitgenössischen Galerien der Stadt.
Die Galerie, 2002 gegründet, arbeitet mit jungen und etablierten türkischen Künstlern und vertritt auch eine wachsende Auswahl an internationalen Namen wie Katharina Grosse und Bjorn Melhus. Der Ausstellungsraum befindet sich in einem prächtigen alten Gebäude, unweit der Istikal Avenue, einer der gefragtesten Einkaufsstraßen im Viertel Taksim.
Bis 5. März war in der Galerie der Film „The Leopard“ des britischen Künstlers und Filmemachers Isaac Julien zu sehen. Der 20minütige Film ist die auf nur eine Leinwand beschränkte Version seiner 5-Kanal Installation „Western Union: Small Boats“ von 2007 (Abbildungen siehe: isaacjulien.com). Es werden Geschichten von afrikanischen Migranten nahtlos mit antiken Mythen verbunden. Dabei geht es um Träume, Hoffnungen und um deren Zerstörung. Die Bilder sind mit haarscharfer HD Qualität gefilmt, sie sind verträumt und doch nie weit von der Realität entfernt: Tänzer rollen scheinbar schwerelos Stufen hoch, Bilder von prächtigen Palästen und zerstörten Holzbooten folgen dicht aufeinander. Die meisten Szenen fangen mit Großaufnahmen an, die erst nach einer Weile in einen größeren Kontext eingefügt werden können. Dem Betrachter bleibt es überlassen, die ihm zur Verfügung gestellten Puzzlestücke zu einem Ganzen zusammenzufügen.
Wie in vielen Werken Juliens, geht es zunächst besonders um die Atmosphäre, um das komplette Einbeziehen des Besuchers – fast wie in einen Sog. Die einzelnen Szenen wechseln nur langsam, jede Szene scheint wie ein Gemälde komponiert und durchdacht zu sein. Ein Berg aus kaputten Holzbooten, offensichtlich Zeugen der Strapazen und dem Tod der Flüchtlinge, wirkt bei Julien durch die sich vorwiegend auf blau und rot beschränkende Farbkomposition erschreckend ästhetisch.
Migration ist ein Thema, das sich durch viele von Juliens Werken zieht. Er verankert seine Arbeiten in einem postkolonialen Diskurs, oft verbunden mit psychoanalytischen Theorien. Seine einmalige Filmsprache entsteht durch die Zusammenführung von Performance und Tanz, Poesie und Fotografie. Das Thema der Migration wird als wichtiges politisches Statement benutzt. Dennoch ist die Art der künstlerischen Umsetzung manchmal etwas flach, die Szenen allzu bekannt: In goldene Folien gewickelte Leichen liegen unweit von sich am Strand vergnügenden Touristen. Szenen, in denen Menschen zu ertrinken scheinen, werden mit dramatischer, klassischer Musik unterlegt. Doch gerade durch Ästhetisierung des Politischen macht der Künstler aufmerksam auf die Verharmlosung von Themen wie der Migration in der Politik. Er öffnet koloniale Wunden, die nicht in Vergessenheit geraten sollen. Er hinterfragt die Wahrheit und deren Idealisierung. Und er präsentiert seine Themen in solch einer kraftvollen Schönheit, dass es wohl wirklich zu schön ist, um wahr zu sein.
Isaac Julien „The Leopard“: 2. Februar bis 5. März 2012
Dirimart Garibaldi
Istikal Caddesi Deva Cikmazi No.2
Garibaldi Binasi Kat Floor 2
Beyoglu
Istanbul
dirimart.org
Teresa Reichert
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