So kann es kommen: Vor mehr als 30 Jahren erfand Rudolf Zwirner eine Auszeichnung für verdiente Persönlichkeiten im Kunstbereich. Jetzt, im 40. Jubiläumsjahr der ART COLOGNE, holt ihn seine Kreation selbst ein. Er ist der diesjährige ART COLOGNE-Preisträger. Zwirner wollte damals "das negative Image des Kunsthandels über diesen Preis positiv verändern. Ich überreichte dem ersten Preisträger, Arnold Bode, dem Vater der documenta, die Auszeichnung persönlich. Ich fühle mich geehrt, nach so vielen Jahren aktiver Arbeit im Galeriebetrieb."
Zwirner eröffnete 1960 eine eigene Galerie in Essen, verlegte sie 1962 nach Köln und domizilierte ab 1972 in einem eindrucksvollen, neuerbauten Ausstellungshaus in der Albertusstrasse 18. Seine Berufswahl begreift er als Berufung, denn "so, wie ich mich als Galerist verstehe, muss man einen Instinkt für Strömungen in der Gegenwart besitzen. Allerdings ist ein Gefühl für Qualität durchaus erlernbar. Aber Formen in der zeitgenössischen Kunst, die vorher in dieser Weise noch nicht sichtbar waren, als wichtig und richtig zu erkennen, das ist nicht zu erlernen."
1992 zog er sich vom Galeriegeschäft zurück. Im Vergleich zu seiner aktiven Zeit beobachtet er gravierende Veränderungen in der Branche: "Die Globalisierung wird wahrnehmbar. Wenn wir zehn, zwölf Sammler betreuten, waren wir ausgesprochen glücklich und krisenfest in unserem kaufmännischen Geschehen. Heute sind so unendlich viele Sammler hinzugekommen, Sammler in Anführungszeichen, also sehr, sehr viele Investoren oder Spekulanten, die Sammlungen aufbauen im großen Stil, nur mit dem einzigen Ziel, Gewinne zu erzielen und die Sammlungen schon nach wenigen Jahren abzugeben."
Derlei Verwerfungen tun der Kunst nicht gut, konstatiert Zwirner, was ihn dennoch kaum zu Aufgeregtheiten veranlasst, weil "neben der offensichtlichen Banalisierung der Kunst trotzdem immer wieder bedeutende Künstler von ernsthaften Kritikern und von echten Sammlern gesehen und gefördert werden. Die passionierten Sammler werden leider weniger wahrgenommen, weil die Auktionen die Aufmerksamkeit beherrschen."
Um den Blick auf die Kunst zu schärfen, sie aus dem Griff von spekulanten und Investoren zu lösen, sie nicht allein dem Aspekt des Mehrwerts ausgeliefert zu wissen, sondern wieder einer essenziellen Betrachtungsweise zuzuführen, nutzt Zwirner mittlerweile viele Gesprächsrunden und Rednerpulte. Er möchte seine Erfahrungen weitergeben: "Das sind weit gehend meine eigenen Erfahrungen, die ich seit 1959, damals als Generalsekretär der zweiten documenta, bis 1992 gesammelt habe. Meine Tätigkeit für die documenta war sehr einschneidend für mich. Aber aktiv interessiert an Kunst bin ich über 50 Jahre. Und daraus kann ich Schlüsse ziehen und Erkenntnisse weiter reichen. Eine spezifische Botschaft, gar eine moralische, habe ich nicht. Ich habe darunter gelitten, als die Preise so hoch stiegen, für Kunsterwerb Fremdmittel einsetzen zu müssen. Ich musste mit Banken zusammenarbeiten. Mir tun die Kunsthändler leid, die nicht über die notwendige Kapitaldecke verfügen."
Sehr früh vermittelte Zwirner Kunst der 60er bis 80er Jahre in öffentliche und private Sammlungen, dies insbesondere durch die enge Zusammenarbeit mit Peter Ludwig, dem wiederum das gleichnamige Kölner Museum den Grundstock seiner zeitgenössischen Bestände verdankt: "In dem Maße, wie ich mit Peter Ludwig zusammengearbeitet habe, war das auch richtungweisend für viele Kuratoren und Museumsdirektoren. Der erste Katalog seiner Sammlung, gestaltet von Wolf Vostell, hat 12 Auflagen erlebt. Dieser Katalog hat den amerikanischen Museumsdirektoren die Augen geöffnet für das, was sie ein Jahrzehnt lang übersehen hatten. Die haben zunächst die Pop Art radikal abgelehnt. Ich galt unter ihnen als nicht seriöser Händler, weil ich einerseits Künstler wie Morris Louis, Kenneth Noland und Frank Stella zeigte und kaufte und andererseits auch Roy Lichtenstein und Andy Warhol vertrat. Das galt zwischen 1960 und 1970 als Verrat an der Kunst."
Gegenseitiges Vertrauen schweißte Ludwig und Zwirner aneinander, was bei der heutigen Umtriebigkeit und rasanten Entscheidungsfreude unter Kunsterwerbern kaum noch nachvollziehbar scheint. Gehör steht vor Auge, aber "Gehör ist nichts Verkehrtes, wenn man den richtigen Beratern folgt. Kluge Sammler kaufen auch heute noch möglichst bei wenigen Händlern, bekommen dadurch günstige Konditionen beim Kauf und bestimmt auch bessere Konditionen beim Verkauf."
Exklusive Bindungen an Künstler mied Zwirner. Er war nie Vertragsgalerist. Für dieses Geschäftsgebaren sprach: "Ich scheute die Bindung, weil ich mich überwiegend als Kunsthändler und nicht als Galerist verstand. Ein erfolgreicher Galerist mit einem eigenen Stamm von Künstlern muss sich weit über das tägliche Geschäft hinaus um die Belange seiner Künstler kümmern, bis hin zu privaten Problemen des jeweiligen Künstlers. Nichtsdestoweniger habe ich mehrfach als erster Künstler gezeigt, die noch nicht durchgesetzt waren und durch meine Verbindung mit Klassikern wie Dubuffet oder wie den Surrealisten habe ich einen Vertrauensvorsprung bei eher konservativen Sammlern gehabt."
Wer sich mit dem Gedanken trägt, eine Galerie aufzumachen, braucht, so Zwirner, neben Geld vor allem Enthusiasmus: "Es müssen Menschen sein, die begeisterungsfähig sind und diese ihre Begeisterung auf andere übertragen. Galeriearbeit ist ein Behauptungsgeschäft. Als Galerist muss man die eigene Behauptung, die durch nichts bewiesen ist, auch wirklich glaubhaft vermitteln."
Den vielen hochstilisierten Jungstars prophezeit Zwirner illusionsfrei: "Von den 100 gegenwärtigen Stars wird nach 10 Jahren vielleicht noch einer übrig bleiben. Das lässt sich sogar statistisch nachweisen. Viele Künstler, die zu meiner Zeit Stars waren, haben heute überhaupt keinen Auktionsmarkt mehr."
Zwirner vermisst knallharte kritische Verrisse. Die Kritik ist untergetaucht und so setzen die Maßstäbe immer noch die Museen. Deshalb sucht er zu seiner eigenen Orientierung bevorzugt nicht Galerien, sondern Museen auf: "Eine Botticelli-Dante-Ausstellung ist für jeden, der sich mit Kunst befasst, ein "Eye opener". Das ist für mich eine Messlatte. Und deshalb relativiert sich vieles für mich, was ich im zeitgenössischen Kunstbetrieb hoch geschwemmt sehe. Im Vergleich zu dem, was sich über Jahrhunderte hinweg in Sammlungen erhalten hat, ist vieles sehr windig."
Umso unverständlicher ist für Zwirner der Mangel an Wissen und Neugierde unter seinen Kollegen: "In der Tat stelle ich fest, dass Kunsthändler von der Kunstgeschichte sehr oft wenig Ahnung haben. Es passiert mir doch immer wieder, wenn ich auf den großen Messen in Köln oder Basel bin, Plagiate entdecke und vom jeweiligen Aussteller auf Nachfrage erfahre, dass ihm die Vorbilder unbekannt sind. Die Galeristen verlassen die Schule, mit oder ohne Abitur, eröffnen eine Galerie und haben nicht die leiseste Kenntnis von dem, was vor zwanzig, dreißig Jahren und früher geschaffen wurde. Denn Qualitätsmaßstäbe müssen erarbeitet werden durch permanentes Vergleichen. Dafür muss man sich in die Kunstgeschichte vertiefen. Für einen guten Kunsthändler gilt auch, das Werk seines Künstlers freundschaftlich und kritisch zu begleiten, dem Künstler zu raten, ein Bild vielleicht auch mal zu vernichten. Bevor ein Bild in den Markt kommt, sollte zunächst im Atelier zwischen Händler, Sammler, Kritiker und Künstler die Diskussion über die Position, die der Künstler beabsichtigt, geführt werden."
Als Zwirner 1967 den "Kölner Kunstmarkt", den Vorläufer der ART COLOGNE, gemeinsam mit seinem Kollegen Hein Stünke aus der Taufe hob, ging es beiden um die Stärkung des deutschen Kunsthandels im internationalen Kunstbetrieb. Wie steht es heute um die Verflechtung des deutschen Handels in die globalen Geldströme? Zwirner: "Da der amerikanische Markt alles beherrschend ist, viel stärker noch als in meiner Zeit, insbesondere für die zeitgenössische Kunst, spielt der deutsche Handel eine relativ kleine Rolle. Allerdings nach der Durststrecke, die die deutschen Kunsthändler durchgemacht haben,
verändert sich die Situation auch durch die Hauptstadt Berlin, die auch eine Kunsthauptstadt für zeitgenössische Kunst geworden ist. Man kann sagen, dass die europäischen, die amerikanischen und die asiatischen Sammler sich auch in Berlin orientieren und auf den deutschen Messen. Durch die Messen wird die Provinzialität, die wir mit der ersten Kunstmesse durchbrechen wollten, auch für deutsche Händler aufgehoben. Ein deutscher Händler, der in Miami auf der Messe mit unbekannten Bildern von unbekannten Künstlern auftritt, hat die gleiche Chance wie sein Kollege aus New York. Ich erlebe, wie junge Kollegen mit unbekannten Künstlern auf den Messen einen Riesenerfolg haben.
Die Teilnahme muss man sich finanziell natürlich leisten können. Die Kundschaft ist globalisiert und fliegt zu den großen Messen, wo auch immer sie stattfinden."
Abgesehen von seiner kurzen Kooperation mit der New Yorker Galeristin Barbara Gladstone, hat Zwirner nie erwogen, ganz oder teilweise nach New York seine Galerie zu verlagern. Und das trotz der Gewissheit, dass das Big Apple für die Kunst "der Standort mit der größten Ausstrahlung ist." Zwirner hielt es als Galerist in Köln: "Mir war klar, New York ist die Zukunft für den Handel. Andererseits war Köln für mich eine wunderbare Stadt mit einer hohen Lebensqualität. Beides miteinander abgewogen, wirtschaftlicher Erfolg oder eine tausendjährige Stadt mit tausendjähriger Kultur, stand für mich fest: Ich verlasse Köln nicht nur des Kommerzes wegen."
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