Mit seiner ersten Einzelausstellung in der Schweiz regt Akram Zaatari (*1966) zum Nachdenken an über Geschichte, Krieg und Widerstand. Das Kunsthaus Zürich zeigt «This Day at Ten» vom 20. Mai bis 31. Juli 2016.
Akram Zaataris künstlerische Praxis ist mit der eines Archäologen vergleichbar. Er sammelt Hinweise und Geschichten, fördert Gegenstände zutage, setzt diese zueinander in Beziehung und hinterfragt damit die offizielle Geschichtsschreibung. Die Begriffe «Erinnerung» und «Archiv» sind von zentraler Bedeutung für Zaataris Werk. Neben Briefen, Tagebüchern und Objekten spielen Personen eine wichtige Rolle, mit denen der Künstler zusammenarbeitet, um anhand ihrer subjektiven Erinnerungen eine andere Form von Geschichte zu erzählen und gleichzeitig über unsere Zeit nachzudenken.
HISTORISCHE EREIGNISSE TREFFEN AUF PERSÖNLICHE GESCHICHTEN
Akram Zaatari wurde 1966 in Saida, im südlichen Libanon geboren. Er hat in Beirut Architektur und in New York Medienwissenschaft studiert. In seinen Werken treffen persönliche Berichte auf wichtige historische Ereignisse, wie die Werkgruppe «This Day» (2003) und der Film «Letter to a Refusing Pilot» (2013) zeigen. Die beiden Werke markieren chronologisch den Anfangs- und Endpunkt der Ausstellung. «This Day» ist eine etwas extrovertierte geografische Reise in den Libanon, nach Syrien und Jordanien und gleichzeitig eine Reise durch die Zeit, die untersucht, wann und wie Menschen sich entscheiden, etwas, das sie erleben, anhand von Fotografien, Notizen und anderen Aufzeichnungen zu dokumentieren. In «This Day» geht es um das Aufzeichnen des Alltäglichen als eine Form subjektiver Geschichtsschreibung. Gleichzeitig ist es der Film, während dessen Produktion Akram Zaatari beschloss, Aufzeichnungen genauer anzuschauen, die er während des israelischen Einmarsches in den Libanon 1982 gemacht hatte. Dieses geschichtliche Ereignis hat Zaataris Jugend geprägt – er war damals 16 Jahre alt – und bildet auch den historischen Rahmen für das zweite Video in der Ausstellung: «Letter to a Refusing Pilot» (2013). Die Zeitspanne zwischen den beiden Filmen beträgt genau 10 Jahre, daher auch der Titel der Ausstellung.
LETTER TO A REFUSING PILOT (2013)
«Letter to a Refusing Pilot» wurde für den libanesischen Pavillon an der Venedig Biennale 2013 produziert und steht dem Kunsthaus Zürich seit 2015 als Dauerleihgabe der Walter A. Bechtler-Stiftung zur Verfügung. Der Film basiert auf einer Geschichte, die Akram Zaatari als Jugendlicher gehört hatte: Sie handelt von einem Piloten der israelischen Luftwaffe, der sich eine Woche nach dem Einmarsch Israels im Libanon weigerte, die öffentliche Schule in Saida zu bombardieren. Stattdessen warf er die Bomben ins Meer ab. «Letter to a Refusing Pilot» kombiniert persönliche Dokumente mit Archivmaterial und versucht, geschichtliche Wahrheit aus den persönlichen Erinnerungen abzuleiten. Gleichzeitig thematisiert der Film die menschliche Dimension einer persönlichen Tat im Angesicht eines grossen historischen Konflikts.
BEIRUTS KUNSTSZENE
Zaataris Beschäftigung mit den Themen «Geschichte» und «Erinnerung» begann 1997 mit der Gründung der «Arab Image Foundation» (AIF). Diese Stiftung wurde in Beirut ins Leben gerufen, um die Fotografie aus dem arabischen Raum zu sammeln, zu bewahren und zu studieren. Die Sammlung umfasst über 600‘000 Fotografien. Akram Zaatari hat in den vergangenen Jahren verschiedene Projekte realisiert, in denen er die AIF als Plattform nutzte, um der Frage von fotografischen Aufzeichnungen und deren Verbindung zum aktuellen, lebendigen gesellschaftlichen Kontext nachzugehen.
Zaatari gehört zu den wichtigsten Figuren einer Generation von Nach-Bürgerkriegs-Künstlern im Libanon, die sich auf ähnliche Weise mit den Begriffen «Geschichte» und «Archiv» auseinandersetzen. Sie alle thematisieren in ihren Werken den Krieg und sind sich auch in ihrer Angst um die Zukunft der Region verbunden. Ihre Erfahrungen wurden in der Schweiz bisher nur wenig mit Ausstellungen beleuchtet. Kunsthaus-Kuratorin Mirjam Varadinis hält es gerade in dem aktuellen politischen Klima für besonders wichtig, diesen Künstlerinnen und Künstlern eine stärkere Visibilität zu verschaffen.
ERSTE EINZELAUSSTELLUNG IN DER SCHWEIZ
Zaataris Werke sind in renommierten Sammlungen wie derjenigen der Tate London und des Centre Georges Pompidou vertreten. Das Kunsthaus Zürich erwarb 2008 die mehrteilige Fotoserie «Another Resolution» (1998–2007). Diese erste Einzelausstellung bietet dem Schweizer Publikum erstmals Gelegenheit, das Werk des libanesischen Künstlers kennenzulernen und gibt Einblick in die vielfältige künstlerische Praxis von Akram Zaatari.
ALLGEMEINE INFORMATIONEN
Kunsthaus Zürich, Heimplatz 1, CH-8001 Zürich, Tel.: +41 (0)44 253 84 84, kunsthaus.ch
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