Die Auseinandersetzung mit Zeit, Sprache und Geschichte ist das Zentrum der künstlerischen Arbeit von Raqs Media Collective. In Neu-Delhi 1992 gegründet, vereint die Künstlergruppe in den verschiedensten Medien zeitgenössische Kunstpraxis mit historischer und philosophischer Spekulation, mit Geschichtsforschung und Theorie. Die drei Raqs-Mitglieder, die neben ihrer Haupttätigkeit als Künstler in unterschiedlichsten Tätigkeiten als Kuratoren, Buchautoren oder Filmemacher auftreten, nehmen soziale und politische Bedingungen im globalen Kontext in den Blick.
Mit Ausstellungen in den USA, Europa und Asien sind Jeebesh Bagchi (*1966), Monica Narula (*1969) und Shuddhabrata Sengupta (*1968) auf der internationalen Bühne aktiv. Gleichzeitig engagieren sie sich aber auch in den kulturellen und politischen Zusammenhängen Indiens. Ihre hybride Praxis ist zugleich poetisch und analytisch, bewegt sich im Spannungsfeld zwischen Tradition, Philosophie und Politik. Nicht selten arbeiten sie mit Experten anderer Disziplinen wie Architekten oder Programmierern zusammen.
Ausgangspunkt der Ausstellung, die als erste Museumspräsentation von Raqs auf dem europäischen Kontinent vom 21. April bis zum 12. August 2018 im K21 gezeigt wird, ist die andauernde Faszination für das Phänomen Zeit, ein Thema, das die drei Künstler bereits seit den Anfängen ihrer Zusammenarbeit intensiv beschäftigt. In einigen der etwa 25 Arbeiten spekulieren Raqs: Was ist Zeit? Was bedeutet es, Zeit zu messen? Und in welcher Beziehung steht Zeit zur Geschichte? Dem Besucher werden verschiedene Dimensionen von Zeit vor Augen geführt – von einem kurzen Herzschlag oder einer Atempause über historische Episoden bis hin zur nicht fassbaren Unendlichkeit. Sie regen dazu an, gängige Vorstellungen von Zeit, ihre disziplinierende Funktion im Alltag und ihre grundlegende Rolle bei der kapitalistischen Organisation von Arbeit neu zu hinterfragen.
„Escapement“ (2009), eine Installation aus 27 Uhren, verweist auf Zeitzonen realer Städte und – mit rückwärts laufenden Zeigern – auf die Zeit des Spiels und der Imagination an drei mythischen Orten. Anstelle der Ziffern stehen Wörter, die in vielfältigen Kombinationsmöglichkeiten emotionale Zustände beschreiben und von Raum und Zeit unabhängig sind. In dem Video „Re-Run“ (2013), zuerst in Shanghai gezeigt, erweckt Raqs ein Foto des Franzosen Henri Cartier-Bresson als Endlosschleife in Zeitlupe zum Leben: Eine Menschenmenge stürmt 1948 vor dem Hintergrund des politischen Umsturzes eine chinesische Bank, um rasch die Ersparnisse abzuheben. Die von den Menschen erwartete Bankenkrise schafft somit in der unmittelbaren Gegenwart genau die Voraussetzung dafür, dass die befürchtete Zukunft des Banken-Bankrotts Wirklichkeit wird. „Coronation Park“, eine 2015 für die Venedig-Biennale
geschaffene Installation fragmentierter Skulpturen von Persönlichkeiten der britischen Kolonialgeschichte, stellt im historischen Park vor dem Museum europäischen Machtanspruch und dessen Repräsentation eindrucksvoll in Frage.
Als wesentliches künstlerisches Material und Medium dient Raqs die Sprache: Mal sind es Wortspiele, mal eigene Wortschöpfungen, die sie in Werktitel integrieren und in Texten verweben. In illuminierten Installationen wie „Lost in Search of Time“ (2015) oder „Revoltage“ (2010) lassen sie Buchstaben in regelmäßigen Rhythmen hell aufleuchten. Das Spiel mit Sprache macht es den Künstlern möglich, verschiedenste Lesarten zuzulassen, längst besetzt geglaubte Begriffe und Konzepte aufzubrechen und lineare Erzählungen zu untergraben. So ist auch der Name des Kollektivs ein Spiel mit Sprache: „Raqs“ geht zurück auf einen Begriff aus der islamischen Mystik und bezeichnet den wirbelnden Tanz, mit dem sich Sufi-Derwische in einen ekstatischen Zustand versetzen. Es beschreibt einen hoch konzentrierten und zugleich permanent bewegten Modus, der auch das Schaffen der international agierenden Künstlergruppe treffend zusammenfasst. Gleichzeitig kann Raqs als verschlüsselndes Akronym für „Rarely Asked Questions“ („Selten gestellte Fragen“) verstanden werden.
Mit ihrer Ausstellung eröffnen Raqs einen neuen Möglichkeitsraum, der den Betrachter einlädt, das Bewusstsein für die grundsätzliche Ambivalenz dieser Welt zu schärfen und etablierte Methoden, Narrative und Denkmuster neu auf den Prüfstand zu stellen.
Die Ausstellung wird kuratiert von Susanne Gaensheimer und Beatrice Hilke.
Gefördert durch das Ministerium für Kultur und Wissenschaft des Landes Nordrhein-Westfalen
Raqs Media Collective
Raqs Media Collective wurde 1992 von Jeebesh Bagchi (*1965), Monica Narula (*1969) und Shuddhabrata Sengupta (*1968) in Neu-Delhi gegründet. Kennengelernt haben sich die drei Künstler am Mass Communication Research Centre der Jamia-Millia-IslamiaUniversität, Neu-Delhi, wo sie gemeinsam Dokumentarfilm studierten. Mittlerweile agieren sie in vielen Rollen, sind Kuratoren und Autoren und kollaborieren mit Experten verschiedener Disziplinen.
Mit ihren vielfältigen Aktivitäten und Initiativen, wie etwa dem Sarai-Programm (2000– 2012) am Centre for the Study of Developing Societies, prägt das Kollektiv sowohl den intellektuellen Diskurs in Neu-Delhi, der Stadt, in der die drei Künstler leben und arbeiten, als auch weltweit. Ihre Werke wurden unter anderem auf der documenta und im Rahmen der Biennalen in Venedig, Istanbul, Taipeh, Liverpool, Schanghai, Sydney und São Paulo präsentiert. Sie hatten Einzelausstellungen in Museen, Bildungseinrichtungen und unabhängigen Kunsträumen, unter anderem in Manchester, Boston, Brüssel, Madrid, Neu-Delhi, Schanghai, London, New York und Toronto.
Raqs kuratierte die Ausstellungen Why Not Ask Again, 11th Shanghai Biennale (Schanghai, 2016), INSERT2014 (Delhi, 2014), Sarai Reader 09 (Gurgaon, 2012–13) und The Rest of Now, Manifesta 7 (Bozen, 2008). Sie sind die Kuratoren der kommenden Ausstellung In the Open or in Stealth, MACBA (Barcelona, 2018).
K21 Ständehaus
Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen
Ständehausstraße 1
40217 Düsseldorf
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Presse
Kataloge/Medien zum Thema:
Raqs Media Collective
Stiftung Kunstforum Berliner Volksbank
VILLA HEIKE
Freundeskreis Willy-Brandt-Haus e.V.
GalerieETAGE im Museum Reinickendorf
Galerie im Körnerpark