Sarah Lucas ist eine der herausragendsten britischen KünstlerInnen ihrer Generation, die in den 1990er-
Jahren unter dem Schlagwort Young British Artists internationale Bekanntheit erlangte. Mit ihren
Skulpturen und Objekten, die sie aus leicht verfügbaren Materialien wie Hausrat oder Nahrungsmitteln
herstellt, sowie fotografischen Selbstporträts hat sie eine unverwechselbare Bild- und Materialsprache
entwickelt, die reich an kunsthistorischen Bezügen und Verweisen ist. Durch die unverblümte Direktheit
sexueller Anspielungen, die für ihre Arbeiten charakteristisch ist, stellt die Künstlerin sexuelle Stereotype
bloß und unterwandert diese zugleich. Ihre tiefe Skepsis gegenüber gesellschaftlichen Normierungen und
genderspezifischen Rollenzuschreibungen bringt Lucas dabei stets mit tiefgründigem Humor zum
Ausdruck.
Hinter dem Titel der Secessionsausstellung NOB steckt das englische Wort „knob“, das Sarah Lucas
bevorzugt so schreibt wie es gesprochen wird. „Knob“ bedeutet runder Griff, Türknauf; daneben ist es
umgangssprachlich auch ein Synonym für Penis – wenngleich etwas weniger derb als „dick“, „cock“
oder „pecker“ – und zugleich eine Bezeichnung für einen Volltrottel, während „knobs“ ein Begriff für
weibliche Brüste, konkreter die Brustwarzen ist.
Sarah Lucas zeigt eine Reihe neuer, großformatiger Skulpturen aus Betonguss, Bronze und industriell
bearbeitetem Metall, die sie in einen Dialog mit vor Ort angefertigten Elementen setzt. Zwei überlebensgroße
phallische Objekte aus Beton lehnen auf Sockeln aus gepressten Autowracks und spiegeln sich
auf den polierten Bronzeoberflächen zweier rekordverdächtig großer Kürbisskulpturen.
In dem Motiv des Penis sieht Sarah Lucas ironisch „eine Glorifizierung des männlichen kreativen
Prinzips“, reflektiert aber auch allgemeiner unser Verhältnis zum menschlichen Körper:
„Seit Anfang der 1990er-Jahre beschäftige ich mich künstlerisch mit dem Penis. Anfangs sollte
mich das vor all den Titten und Hintern schützen, mit denen man uns Tag für Tag zu
bombardieren scheint. Vielleicht hat es auch damit zu tun, dass ich für meinen Teil keinen
besitze. Jedenfalls erwies er sich als ganz und gar eigenständige plastische Form, geradezu
bedeutungsschwanger. Ein Totem.“
(Sarah Lucas, „My phallic response to Britten’s centenary”, in: The Independent, 1. Mai 2013)
Den weiblichen Körper, wenn auch ausschnitthaft und in androgyner Form, präsentiert Sarah Lucas auf
zwei raumhohen Tapetenbildern in der Mitte des Ausstellungsraums. Auf dem einen Bild blitzen von zwei
Löchern, die in ein T-Shirt geschnitten wurden, die Nippel hervor, während das Bild auf der Rückseite der
Wand eine nur mit einem T-Shirt bekleidete Figur von hinten zeigt. Auf dem T-Shirt ist in Handschrift
„Complete Arsehole“ zu lesen.
Sarah Lucas verdreht das Wohlbekannte und konfrontiert uns so mit jenen Dingen, die wir schon zu
kennen glaubten, denen wir gewöhnlich keine Aufmerksamkeit schenken oder die wir verdrängen.
Die österreichische Künstlergruppe Gelatin, mit der Sarah Lucas befreundet ist und bereits früher
zusammengearbeitet hat, wurde von ihr eingeladen, einen Beitrag zu ihrer Ausstellung zu gestalten. Ali
Janka, Tobias Urban, Florian Reither und Wolfgang Gantner von Gelatin haben darauf reagiert, indem sie
– entsprechend der Anzahl der Mitglieder ihrer Künstlergruppe – vier Hühner in den Ausstellungsraum
bringen und für diese einen skulpturalen Einbau als Aufenthalts- und Rückzugsort entworfen haben.
Grundsätzliche Überlegung ist, dass sich die Hühner frei bewegen können und täglich Eier legen – und
somit ein Material generieren, das Lucas seit vielen Jahren in ihren Arbeiten verwendet, bevorzugt in
Form des Spiegeleis.
secession
Vereinigung bildender KünstlerInnen Wiener Secession
Friedrichstraße 12, A-1010 Wien
secession.at/
PM
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