Wie finden wir einen Weg, um Ordnung in das Chaos unseres Lebens zu bringen? Wie gehen wir mit unserem gleichzeitigen Bedürfnis nach Bindung und Selbstbestimmung um? Und wie positionieren wir uns angesichts gesellschaftlicher und privater Erwartungshaltungen? Die Ausstellung „Mother Tongue“ der französischen Künstlerin Camille Henrot (* 1978 in Paris) kreist um existenzielle Emotionen. Die Werke der Ausstellung reflektieren das ambivalente Gefühl, hin und hergerissen zu sein zwischen dem Verlangen, sich zurückziehen und gleichzeitig Anteil nehmen zu wollen – sowohl auf persönlicher als auch auf politischer Ebene. Dabei navigieren Henrots Werke durch unsere Gegenwart im Spannungsfeld von rationalen Systemen und intuitivem Wissen.
Die Kestner Gesellschaft freut sich, die erste umfassende, institutionelle Einzelausstellung der Künstlerin mit neuen Werkserien in Deutschland zu präsentieren. Zu sehen sind Zeichnungen, Malerei und Skulpturen, darunter die großformatigen Kalkputz-Fresken „Monday“ (2016) und die 3D-Filminstallation „Saturday“ (2017). Camille Henrot wurde auf der Biennale Venedig 2013 für ihr bahnbrechendes Werk „Grosse Fatigue“ mit dem Silbernen Löwen ausgezeichnet und erhielt 2017 die Carte Blanche im Palais de Tokyo in Paris, wo sie die monumentale Ausstellung „Days are Dogs“ präsentierte.
Der Titel der Ausstellung, „Mother Tongue“ (dt: Muttersprache), lässt sich auf verschiedene Arten lesen: Er kann auf die Sprache als Mittel der Weltaneignung bezogen werden ebenso wie auf die Zunge („Tongue”) als Organ des Ausdrucks, der tastenden Aneignung und des Konsums. Der Titel verweist auch auf das Verhältnis von Bindung und Trennung innerhalb der menschlichen Entwicklung, die im Säuglingsalter beginnt und sich das ganze Leben lang fortsetzt. Diese Spannungsverhältnisse sind Ausgangspunkt der fortlaufenden Serie von Zeichnungen, Gemälden und Bronzeskulpturen „Systems of Attachment“.
In der Zeit des coronabedingten Lockdowns ist der Zwiespalt zwischen persönlichen Bedürfnissen und der Positionierung hinsichtlich gesellschaftlicher Anforderungen spürbarer denn je. Die neue Serie „Is Today Tomorrow?“ entstand während des ersten Lockdowns, als sich Henrot, wie viele andere, in Selbstisolation übte. So entstanden täglich Werke mit Tagebuch-Charakter, die die spezifischen Momente widerspiegeln, in denen sie entstanden sind. Ihre Titel reflektieren diese besondere Zeitlichkeit: Sie alle enthalten das Wort „day“, wie beispielsweise „Blue Monday“, „Wait Another Day“ und „Ruin my Day“. Individuelle, intime Auseinandersetzungen führen bei Henrot immer auch zu umfassenden Fragestellungen nach übergeordneten Systemen, wie zum Beispiel nach den gesellschaftlichen Anforderungen, die an ein Individuum gestellt werden, oder nach den Auswirkungen unseres Handelns auf nachfolgende Generationen. Dass Transformations- und Übergangsprozesse immer auch mit emotionaler Arbeit einhergeht, zeigt die eigens für die Ausstellung realisierte, überlebensgroße Bronzeskulptur „3,2,1“. Darin verliert ein hybrides Mensch-Vogelwesen eine Träne über die Menge an Abfall zu seinen Füßen, die während der Produktion entstanden ist.
Camille Henrots Installationen, die häufig von einer umfangreichen Recherche begleitet werden, verknüpfen tradierte Darstellungen, Alltagsfunde und persönliche Erfahrungen. Sie inszeniert diese Materialien und Fundstücke im Ausstellungsraum und verweist auf die wechselhaft hoffnungsvolle, auflehnende, melancholische oder resignierte Position, die wir angesichts unserer persönlichen Verantwortung und der überwältigenden Erwartungen der Gegenwart einnehmen können. Henrots Werk wurde international mit umfassenden Einzelausstellungen unter anderen im Palais de Tokyo, Paris (2017), in der Kunsthalle Wien (2017), im New Museum, New York (2014) und in der Tokyo Opera City Art Gallery (2019) gewürdigt. 2021 ist die Künstlerin zudem mit einer Einzelausstellung in der National Gallery of Victoria in Melbourne, Australien vertreten und nimmt an der Liverpool Biennial in England teil.
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Parallel sind außerdem folgende Ausstellungen zu sehen:
Susan Hiller | Lost and Sound
Sharon Lockhart | The Future Should Always Be Better @ Fassade
Moyra Davey | My Saints @ Shifting Present
(Laufzeit: 18. April - 8.August 2021)
Goseriede 11
30159 Hannover
www.kestnergesellschaft.de
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Galerie Parterre
Haus am Lützowplatz
Galerie 15
Haus am Kleistpark | Projektraum
Japanisch-Deutsches Zentrum Berlin