Yvonne Rainer, Kristina Talking Pictures, 1976, Ivan Rainer und Yvonne Rainer, Produktionsstill, Schwarz-Weiß-Fotografie, ca. 20 x 25 cm, Foto: Babette Mangolte, © Babette Mangolte, © The Getty Research Institute, Los Angeles (2006.M.24)
Mit Yvonne Rainer stellt das Kunsthaus Bregenz in Kooperation mit dem Museum Ludwig in Köln und dem Getty Research Institute in Los Angeles eine der schillerndsten Persönlichkeiten der Kunst des 20. und 21. Jahrhunderts vor. Bis heute fällt es schwer, die künstlerische Produktion von Yvonne Rainer adäquat zu kategorisieren. Denn die gängigen Bezeichnungen wie Choreografin, Tänzerin, Theoretikerin, Aktivistin, Dichterin und Filmemacherin umfassen nur annähernd ihre einflussreichen und vielseitigen Tätigkeiten. Sie sagen noch nichts über deren gegenseitige Verknüpfungen aus, die für Rainers Schaffen charakteristisch sind.
Geboren 1934 in San Francisco, zog es Yvonne Rainer schon 1957 nach New York, um dort Tanz bei der legendären Martha Graham und dem frühen Merce Cunningham zu studieren. In der Folge sollte sie sich jedoch von deren Einflüssen distanzieren, da der Ausdruckstanz Martha Grahams und die Betonung des improvisierten und kombinierten Einsatzes von Zufallsmomenten in Cunninghams Werk sie zunehmend weniger interessierten.
Ihre Erfahrungen mit der Tänzerin Anna Halprin und dem bei John Cage ausgebildeten Musiker Robert Dunn, bei denen sie Anfang der 1960er Jahre studierte, sowie die dort entstandenen Freundschaften mit Trisha Brown, Elaine Summers, Steve Paxton und David Gordon mündeten schließlich in der Gründung des Judson Dance Theater in New York. In dieser Keimzelle der New Yorker Avantgarde-Szene arbeiteten interessierte Laien (oft aus der bildenden Kunst, Musik-, Film- oder Dichter-Szene) zusammen mit Profis aus dem zeitgenössischen Tanz. Schon hier stand Yvonne Rainer persönlich wie auch beruflich immer wieder in engem Kontakt mit bildenden Künstlerinnen und Künstlern, von denen einige, wie Carl Andre, Robert Morris oder Robert Rauschenberg, als Akteure oder in anderer Weise in ihre Tanzstücke involviert waren.
Es war die Zeit der hybriden Kunstformen von Fluxus und Happening. Yvonne Rainer überraschte mit Choreografien, in denen es ihr auf eindrückliche Weise gelang, eine vollkommen eigenständige Ausdruckssprache zu entwickeln, die sich nicht zuletzt durch das Einführen von Alltagsgesten und -handlungen in den Tanz auszeichnete. In ihrem heute legendären und von ihr selbst damals auch hinterfragten Vergleich von Minimal Sculpture und Tanz zeigt Yvonne Rainer anschaulich, wie nah die avancierte Praxis der bildenden Kunst der des Tanzes in den 1960er Jahren war. Die Wahl eines auf den menschlichen Körper bezogenen Maßstabs, der dezidierte Einsatz von Wiederholungen und der Verzicht auf Überwältigungsstrategien werden von ihr in diesem Zusammenhang als einige wesentliche Vergleichsmomente hervorgehoben. Besonders anschaulich sind diese Prämissen bereits bei einer ihrer frühen und heute als ein Meilenstein des postmodernen Tanzes angesehenen Arbeiten, Trio A von 1966. Später, als Teil in die umfangreiche Choreografie The Mind Is a Muscle inkludiert, besticht dieses nur 5 Minuten dauernde Stück durch seine Reduktion der ausgeführten Bewegungen und den Anspruch hohen technischen Könnens bei gleichzeitigem Understatement in der Art der Ausführung.
Weitere Charakteristika sind – dies gilt auch für andere frühe Arbeiten Rainers – Wiederholung und Variation sowie die Betonung der realen körperlichen Präsenz ihrer Akteure. Der bewusste Verzicht auf einen konkreten Erzählstrang mit Einleitung, Höhepunkt und Finale ist ebenso symptomatisch für ihre Arbeiten wie die Vermeidung von Blickkontakt mit dem Publikum.
In The Mind Is a Muscle kündigt sich darüber hinaus auch das Interesse von Yvonne Rainer an der Kombination von Tanz mit anderen Ausdrucksarten wie Film und Installation an. So präsentierte sie während der Aufführung ihren ein Jahr zuvor entstandenen Film Volleyball sowie eine Diaprojektion und verwendete einen Kassettenrekorder, Schaumstoffplatten und Matratzen, die sowohl als Bühnenbild als auch als Requisiten genutzt wurden. Als Konsequenz ihrer Kritik an der vorbehaltlosen Verehrung und Heraushebung von Choreografin und einzelnen Tänzerinnen und dem damit verbundenen Starkult löste sie 1970 ihre eigene Company auf und gründete mit einer Reihe von Gleichgesinnten das basisdemokratisch arbeitende Tanz-Kollektiv Grand Union.
Anfang der 1970er Jahre kehrte Yvonne Rainer der Bühne den Rücken, um Spielfilme zu drehen, die Fiktion und Realität sowie Persönliches und Politisches in der für sie spezifischen Regiearbeit vereinten. Doch der Abschied vom Medium Tanz bedeutete nicht eine Abkehr von den dort von ihr verhandelten Themen und eingesetzten Strategien. Die Entscheidung gegen einen erzählerischen, linearen Verlauf der Handlung und gegen die Identifikation mit den Akteuren sowie die reflektierte Abstraktion von Emotionen findet sich auch in ihren Filmen wieder. Neben seinem zeitdokumentarischen Charakter macht dieser Umgang mit politischen Themen, wie beispielsweise Rassismus, mit autobiografischen Aspekten und feministischen Fragestellungen ihre sieben Spielfilme, die zwischen 1972 und 1996 entstanden, zu herausragenden Werken der Filmgeschichte des 20. Jahrhunderts.
Seit 2000 hat Yvonne Rainer erneut angefangen, Stücke zu choreografieren, in denen sie auf Elemente der Populärkultur, des Sports, der Tanzgeschichte im Allgemeinen und ihrer eigenen Werke zugreift.
Auch wenn Yvonne Rainer zweimal an der documenta teilnahm (1977 und 2007), Filmretrospektiven in Institutionen wie dem Museum of Modern Art in New York oder der Londoner Tate Modern hatte und ihr Einfluss auf die bildende Kunst – hier vor allem auf eine junge Generation – nicht hoch genug einzuschätzen ist, gab es in Europa bisher noch keine große Überblickspräsentation, die versucht hätte, dem komplexen Werk seine Bedeutung für die Kunstgeschichte zuzuweisen und seiner aktuellen Relevanz gerecht zu werden. Dies wird sich mit der von Yilmaz Dziewior und Barbara Engelbach kuratierten Ausstellung in Bregenz und Köln ändern. Dabei ist nicht nur die Vielschichtigkeit ihres Werks eine besondere Herausforderung, sondern auch der Umstand, dass ihre Tanzstücke als Live-Aufführungen konzipiert sind und deshalb im Museumskontext Fragen der adäquaten Präsentation aufwerfen. Auf diese reagiert die Ausstellung zum einen mit vereinzelten Live-Performances von Trio A in den Räumen des KUB, vor allem aber in Form der Kooperation mit dem Vorarlberger Landestheater. Hier wird Yvonne Rainer mit ihrer Company am 1. Februar 2012 zwei aktuelle Werke aufführen.
In der Ausstellung werden darüber hinaus Fotografien und Filmdokumentationen zu ihren Bühnenarbeiten, Notizbücher, Tanz-Partituren, Skripts und Kino- beziehungsweise Ausstellungsplakate gezeigt.
Die Konzeption der Ausstellungsarchitektur wird von Kuehn Malvezzi realisiert. Zusätzlich zu der seltenen Gelegenheit, das Werk von Yvonne Rainer live zu erleben, sind im Kunsthaus Bregenz alle Filme der Künstlerin zu sehen. In diesem Sinne entsteht ein vielfältiges Gesamtprojekt, das einen äußerst facettenreichen Überblick über das legendäre Schaffen von Yvonne Rainer ermöglicht. Die Ausstellung wird vom 28. April bis 29. Juli 2012 im Museum Ludwig, Köln, zu sehen sein.
Öffnungszeiten:
Dienstag – Sonntag 10 – 18 Uhr
Donnerstag 10 – 21 Uhr
Kunsthaus Bregenz
Karl Tizian Platz
A-6900 Bregenz
kunsthaus-bregenz.at
Medienmitteilung
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