Das Werk des südamerikanischen Künstlers William Kentridge zeugt von seiner intensiven Auseinandersetzung mit den Themen "Vergangenheit" und "Erinnerung". Kraftvolle Kohle- und Pastellzeichnungen bilden die Grundlage seiner Filme - auf ihnen hinterlässt er deutliche "Pentimenti" (Spuren), die formal den Prozesscharakter der Arbeiten und inhaltlich die unauslöschliche Präsenz der Vergangenheit unterstreichen. Bekannt ist Kentridge gleichermaßen für seine Theaterproduktionen, in denen er vielschichtige Multimedia-Performances realisiert. Objekte und deren Schatten, Puppen und die Hand des Puppenspielers, Spuren seiner Handschrift und Radierstellen finden sich in seinen Bühnenbildern und Filmprojektionen wieder. Schon seit vielen Jahren beschäftigt sich Kentridge in seinen Arbeiten neben seinem Hauptthema der Geschichte Afrikas und Südafrikas auch mit deutscher Kunst und Kultur. So inspirierten ihn in einigen seiner Werke deutsche Künstler oder literarische Figuren. Beeinflusst wurde er auch durch seine Regiearbeit an Mozarts Zauberflöte im April 2005. Sowohl das Bühnenmodell als Objekt als auch das Thema der Aufklärung finden sich in Black Box/Chambre Noire wieder.
Die drei Bedeutungsebenen des Titels Black Box/Chambre Noire verwendet Kentridge dabei spielerisch: die "Black Box" als Theater, als fotografischer "Chambre Noire" und als Flugdatenschreiber, der Katastrophen dokumentiert. Behandelt werden die Konstruktion von Geschichte und Bedeutung, der Prozess der Trauer, die Schuld und Sühne, aber auch die sich verändernden Blickwinkel des politischen Engagements und der politischen Verantwortung.
Entwicklungen visueller Technologien überschneiden sich in Black Box/Chambre Noire mit der Geschichte des deutschen Kolonialismus bzw. der deutschen Präsenz in Afrika, insbesondere des 1904 von den Deutschen verübten Massakers an den Hereros in Deutsch-Südwest, dem heutigen Namibia. Dieses Massaker, das von einigen Historikern als erster Genozid des 20. Jahrhunderts bezeichnet wird, führte beinahe zur Vernichtung des Stammes.
Nachdem 1885 Südwestafrika deutsches Protektorat geworden war, begannen deutsche Siedler, die Hereros zu enteignen. Als die Situation der Herero-Stämme daraufhin immer aussichtsloser wurde, rief ihr Häuptling Samuel Mahareru zu einer Revolte auf. Unter dem Kommando von General von Trotha schlugen die deutschen Truppen zurück. Trotz zunehmender Proteste gegen von Trothas harte Vorgehensweise in den Kolonien wie auch in Deutschland selbst, musste der General erst 1905, nachdem 75 Prozent des Stammes getötet worden waren, zurücktreten. 1914 übernahm Südafrika Deutsch-Südwestafrika als Protektorat - 1990 endete diese Zwangsherrschaft mit der Unabhängigkeit Namibias. Seine südafrikanische Herkunft veranlasste Kentridge, Vorstellungen von Täterschaft und Mittäterschaft, Sühne und Trauer zu hinterfragen.
Die Beschäftigung mit diesem historischen Ereignis führt den Künstler zum Freud’schen Begriff der "Trauerarbeit", als einer niemals zu beendenden Arbeit.
Diese permanente Auseinandersetzung korrespondiert mit Kentridges unerbittlicher und selbstreflexiver Analyse der Entstehung von Bedeutung. Mit jeder Umsetzung eines neuen Werkes lüftet Kentridge den Schleier der Undurchsichtigkeit und legt dar, wie selektive, subjektive Erinnerungen zu "großen Erzählungen" der Geschichte zusammengefügt werden.
Auf seinen Reisen in Namibia sowie im dortigen Nationalarchiv fand Kentridge Materialien, anhand derer er eine Vielzahl von Papierarbeiten realisierte. Kentridges einzigartiger filmischer Prozess integriert diese Zeichnungen im Black Box/Chambre Noire-Film und kombiniert sie mit von ihm in Namibia aufgenommenem Filmmaterial sowie mit Archivfotografien und Ausschnitten aus deutschen Filmen der Kolonialzeit. Auch die Musik, auf die Kentridge und Philip Miller - Komponist der Filmmusik zu Black Box/Chambre Noire - in Namibia stießen, ist eng in die Arbeit eingebunden.
Black Box/Chambre Noire reflektiert die Problematik der Darstellung eines historischen Traumas. Präsentiert wird die Rekonstruktion von Ereignissen und Personen aus der Sicht einer bestimmten Zeit, eines bestimmten Ortes und einer bestimmten Politik. Mit dieser metaphorischen Untersuchung der „Black Box” thematisiert Kentridge Flexibilität, Fixierung und Zukunft bei der Erforschung der Vergangenheit. Die Arbeit widersetzt sich so einem Abschluss und hinterfragt vereinfachende Konstruktionen von Geschichte, die mit den Gegensatzpaaren Vergangenheit und Gegenwart, Opfer und Täter, Spektakel und Zuschauer operieren.
Die Ausstellung wurde von Maria-Christina Villaseñor, Associate Curator of Film and Media Arts, Guggenheim Museum New York, kuratiert. Black Box/Chambre Noire ist eine Auftragsarbeit für die Deutschen Guggenheim in Absprache mit der Solomon R. Guggenheim Foundation.
Ausstellungsbegleitend ist im Verlag Hatje Cantz ein gebundener Katalog in Deutsch oder Englisch mit Essays der Kuratorin sowie des Künstlers erschienen.
Abbildung: William Kentridge, Installationsansicht Black Box/Chambre Noire, Miniaturtheater (Detail), Foto: John Hodgkiss, Copyright: Deutsche Guggenheim, © William Kentridge
Öffnungszeiten: Di-So 10:00-18:00, Mi 10:00-21:00, Mo geschlossen
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