Zum krönenden Abschluss des Jubiläumsjahres „200 Jahre Städel“ präsentiert das Frankfurter Städel Museum vom 5. November 2015 bis zum 24. Januar 2016 eine Einzelausstellung des international renommierten US-Künstlers John Baldessari (*1931). Für „John Baldessari. The Städel Paintings“ hat der Künstler, der zu den einflussreichsten der Gegenwart zählt, insgesamt 16 neue Werke geschaffen, die sich explizit auf die 700 Jahre europäische Kunstgeschichte umfassende Sammlung des Städel Museums beziehen. Als visuelles Material für seine großformatigen Bildcollagen dienten ihm ganz unterschiedliche Arbeiten aus der Städel’schen Sammlung – Meisterwerke oder ungewöhnliche Depot-Fundstücke –, unter anderem von Lucas Cranach d. Ä., Agnolo Bronzino, Dirck van Baburen, Bartolomeo Veneto, Justus Juncker, Erró und Maria Lassnig. Anhand der ausgewählten Sammlungswerke setzt sich der Künstler mit dem Verhältnis von Malerei und Fotografie sowie von Bild und Sprache auseinander. Dabei isoliert er nicht nur spezifische Details der Städel Bilder, sondern übermalt diese Details partiell und kombiniert sie mit Texten, die in ihrer Form an Ausschnitte aus Hollywood-Drehbüchern erinnern, zu großen horizontal oder vertikal geteilten Diptychen. Auf diese Weise entsteht ein spannungsreiches und vielschichtiges Gegen- und Miteinander, das alte wie neue Kunst gleichermaßen befragt und mit etablierten Wahrnehmungsmustern bricht. Der Katalog, der begleitend zur Ausstellung auf Deutsch und Englisch erscheint, spannt den Bogen der Schau weiter und ordnet die jüngst entstandene Werkgruppe Baldessaris in das äußerst vielseitige Gesamtwerk dieses bedeutenden Wegbereiters der amerikanischen Konzeptkunst ein.
John Baldessari, 1931 in National City, Kalifornien, geboren, wendet sich in den späten 1960er-Jahren der für seine Kunst charakteristischen Zusammenführung von Bild und Text zu. 1970 beschließt er, alle seine zwischen 1953 und 1966 entstandenen und in seinem Besitz befindlichen Gemälde zu verbrennen, und betitelt die symbolträchtige Aktion als „Cremation Project“. Was auf diese radikale Geste folgt, ist jedoch nicht das Ende seiner künstlerischen Tätigkeit, sondern vielmehr der Neubeginn einer intensiven Bildproduktion. Hierbei schöpft Baldessari sowohl aus der zeitgenössischen US-amerikanischen Massenkultur als auch aus dem Kanon der Kunstgeschichte. In seinen Bildern greift er künstlerische Strategien der klassischen Moderne wie Montage oder die Integration von Alltagselementen auf und verbindet diese mit Themen der Nachkriegsavantgarden, etwa den Konsum- und Mediendiskursen. So verwendet er für seine Werke Found Footage aus Filmen und anderen Massenmedien, die er neu kombiniert und teilweise malerisch bearbeitet. Neben Bild und Sprache verknüpft Baldessari Malerei und Fotografie, indem er bereits in seinem Frühwerk mit Fotoemulsion auf Leinwand experimentiert. Durch seine interdisziplinäre Arbeitsweise sowie die Verbindung ganz unterschiedlicher Motivwelten, Medien und Materialien schafft er völlig neue Bedeutungszusammenhänge. John Baldessari wurde unter anderem mit dem Goldenen Löwen der 53. Biennale von Venedig und 2012 dem Kaiserring der Stadt Goslar ausgezeichnet.
„Baldessaris Städel Paintings zeugen von Respekt und Ironie gegenüber der Malereigeschichte gleichermaßen sowie von jener anderen, besseren Welt, die uns die Malerei über Jahrhunderte hinweg versprochen hat – und zugleich können sie nicht anders, als dieser Verheißung zu misstrauen“, so Martin Engler, Kurator der Ausstellung und Sammlungsleiter für Gegenwartskunst im Städel Museum.
Mit der Werkgruppe der 16 Diptychen, die im Rahmen von „John Baldessari. The Städel Paintings“ im Städel Museum gezeigt werden, verhandelt der Künstler grundlegende Fragen zur Entstehung und Rezeption, zum Wert und zur Bewertung von Kunst. Die Arbeit Movie Scripts / Art: Hang in there (2014) zeigt einen Ausschnitt von Agnolo Bronzinos (1503–1572) Bildnis einer Dame mit Schoßhündchen (1537–1540), ein Schlüsselwerk der Sammlung Alte Meister des Städel Museums. Zu sehen ist neben den Händen der Dame lediglich ein Teil des Hündchens, das in ihrem Schoß ruht. Kleine Partien sind monochrom übermalt und stellen so einen abstrakten Gegenpart zum Illusionsraum der Malerei dar. Der kurze Text im Drehbuchstil, der darunter zu lesen ist, bezieht sich auf eine fiktive Sotheby’s-Auktion in New York. Die zwei Protagonisten, Arthur und Hans, sitzen in der VIP-Lounge und konkurrieren um ein Bild; zuletzt hat Arthur 1,2 Millionen Dollar geboten. Hans hält einen Moment inne und fragt seine Begleitung um Rat. Sie erinnert ihn an seine Yacht, die er bereits besitze, und in der er das Bild aufhängen könne.
Für Movie Scripts / Art: I wouldn’t even try (2014) hat John Baldessari ein Fragment aus Idealbildnis einer Kurtisane als Flora (um 1520) von Bartolomeo Veneto (1502–1531) bearbeitet. Der Drehbuchtext in der linken Bildhälfte beschreibt die Autofahrt eines Pärchens in der Nähe von Albuquerque, New Mexico. Sie fahren auf ein riesiges Billboard zu. Die knappe Beschreibung des darauf zu erkennenden Bildes scheint sich unmittelbar auf ein Detail des Veneto-Werks zu beziehen. Im Gespräch merkt die Frau im Auto an, sie wünschte sich, ebenso malen zu können, würde es aber gar nicht erst versuchen. Der Mann entgegnet unumwunden: „I’m thinking about it, baby!“ Klischees über Kunst, Qualität und Handwerk treffen auf ein Symbol der amerikanischen Alltagskultur und auf die verbreitete Annahme, Kunst beruhe allein auf Könnerschaft und künstlerischer Fertigkeit.
Wie diese zwei Werke wirft die gesamte Reihe einen kritischen und pointierten Blick auf die Institutionen und Mechanismen des Betriebssystems Kunst. Thematisiert werden dabei die vielschichtigen und teils absurden kommerziellen Auswüchse in der zeitgenössischen Kunstwelt und ihrem Markt.
Der von Martin Engler herausgegebene und im Hirmer Verlag erscheinende Begleitkatalog zur Ausstellung „John Baldessari. The Städel Paintings“ verortet die im Städel gezeigte Reihe im vielfältigen Œuvre Baldessaris und beleuchtet gleichzeitig entscheidende kunsthistorische und institutionelle Bezüge. Die Publikation stellt diesen herausragenden Vertreter der Konzept- und Medienkunst als eine zentrale Figur vor, die eine wichtige Position in der jüngeren Kunstgeschichte markiert.
Mit der Schau aktueller Bilder von John Baldessari, die auf der Städel’schen Sammlung basieren, fragt das Frankfurter Museum auch nach dem gegenwärtigen Status der Malerei. Als „Malerei-Museum“ schlägt das Städel am Ende seines Jubiläumsjahres so eine Brücke von der Vergangenheit in die unmittelbare Gegenwart und blickt gespannt in die Zukunft.
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