"Leben ohne Arbeit", schreibt der Psychoanalytiker Sigmund Freud, "kann ich mir nicht recht behaglich vorstellen. Fantasieren und arbeiten fällt für mich zusammen, ich amüsiere mich bei nichts anderem." Ne travaillez jamais - Arbeit? Niemals! Dieser den Situationisten zugeschriebene Slogan umschrieb hingegen vor über 50 Jahren an den Fassaden der Häuser von Paris das "wirklich revolutionäre Problem", nämlich die Freizeit. Die Gründungsmitglieder der französischen Künstlergruppe wussten, wovon sie sprachen: "Da wir einige Jahre buchstäblich mit dem Nichtstun verbracht haben, dürfen wir unsere soziale Einstellung als avantgardistisch bezeichnen. Denn in einer einstweilen immer noch auf Arbeit basierenden Gesellschaft haben wir ernsthaft versucht, uns ausschließlich der Freizeit zu widmen." Ist ein Leben ohne Arbeit vorstellbar? Beruf, Karriere und vielleicht Selbstverwirklichung sind heute unumstößliche und gleichzeitig brüchig werdende Modelle. Sie basieren auf einem gemeinsamen Prinzip: Arbeit wird als sichtbare, in Kapital umgesetzte Produktivität begriffen. Dem stehen Nichtstun, Muße aber auch alltägliche Beschäftigungen, sinnlose oder selbst gewählte Betätigungen anscheinend unvereinbar gegenüber. Sind sie Keimzelle von Identitätsbildung oder in kauf genommenes Beiwerk der Effektivität, ein Übel zur Regeneration des Eigentlichen - sprich der Arbeitsfähigkeit? Die Vorstellung vom Künstler als personifizierten Müßiggänger hat sich bis heute bewahrt. Das Bild des autonomen Künstlers im einsamen Atelier gehört jedoch einer romantisch-bürgerlichen Vergangenheit an. In der Neukonzeption von Arbeit löst sich diese zunehmend im Begriff der Kreativität auf. So verschwinden z.B. Hierarchien zugunsten von verantwortlicher Selbstorganisation. Die Ausstellung greift sowohl Diskussionen um die Begriffe Arbeit und Freizeit und die damit einhergehenden gesellschaftlichen Bewertungen auf, wie sie diese auch aus der Perspektive der Kunst heraus problematisiert.
Das Spannungsfeld der künstlerischen Projekte beginnt mit John Baldessaris Statement "I’m making art" aus dem Jahre 1971, der von der Keimzelle der künstlerischen Frage im Atelier ausgeht: In welchem Verhältnis stehen Handeln und Produkt? Jean-Luc Moulène fotografierte für seine Serie der Streikobjekte ab 1988 Produkte, die im eigentlichen Sinn keine sind: Hergestellt von streikenden Arbeitern, sind sie den üblichen Kapitalströmen entzogen und dienten als Kommunikationsträger, die auf die Proteste aufmerksam machen sollten. Die Zeichnungen von Danica Phelps sind eigentlich Notationen alltäglicher Tätigkeiten von Telefonieren über Reisen bis Ausruhen. Diese Aufzeichnungen unspektakulärer Situationen kombiniert mit einer Einnahmen - Ausgabenstatistik sind in ein merkantiles System eingebunden und ihrem Marktwert entsprechend visuell codiert. Das bisherige künstlerische Leben von Antje Schiffers scheint märchenhaft: Sie präsentiert Zeichnungen, Geschichten, Fotos, Gemälde, Videos, die sie auf ihren Reisen im In- und Ausland malte, um zu leben, sprich: Sie tauschte Bild gegen Kost und Logis. Während sich der Maler in Adrian Pacis Video "Piktori" mit Schildermalerei und Urkundenfälschung herum schlägt, mischte sich Francis Alÿs in Mexiko Stadt unter Arbeit suchende Elektriker und Klempner und bot sich als "Turista" an. Matthias Klos eröffnet in seinen Stadtrundgängen mit seinen Schildern seinen individuellen Speakers’ Corner und demonstriert mutterseelen alleine mit selbst gemalten Schildern. Markus Seidl/Elisabeth Schimana hingegen machten sich auf die Suche nach einem Dorf, das bereit wäre, eine Woche lang nichts zu tun. Die Protagonisten in Aernout Miks Video "Park" scheinen sich bis zur Erschöpfung immerwährend zu vergnügen und zu entspannen. Corinna Schnitt visioniert in ihrem Video eine Kleinfamilie, die in ihrer Freizeit als selbst auferlegten Dienst an der Gemeinschaft Straßenschilder putzt. Josef Dabernigs Kamera beobachtet das Personal eines Speisewagens eines Fernzuges, in dem die Gäste ausbleiben. Alice Creischer und Andreas Siekmann zeigen erstmals ihre ab 1999 entstandene Serie von Animationsfilmen zur Utopie der arbeitsbefreiten Gesellschaft. Annette Weisser und Ingo Vetter veranstalteten unter dem Titel "NameGame*" vor der Kulisse einer Showtreppe, einem goldenen Vorhang und 20 Strohballen und thematisch dem Märchen "Rumpelstilzchen", in dem Stroh zu Gold wird, folgend, Workshops mit prekär Beschäftigten aus dem Kultur- und Wissenschaftsbereich. Die Dresdner Reinigungsgesellschaft untersuchte 2003 in einer Umfrage verschiedene Beschäftigungsgruppen nach ihrem Verhältnis zu Arbeit und entwickelte daraus ein dreidimensionales Raummodell. Für Bremen wollen sie mit ihrem "Body Style Power Generator" die für die Schönheit scheinbar verlorenen Energieressourcen in einem Fitnessstudio in das lokale Stromnetz einspeisen.
Kuratorin: Gabriele Mackert
Es erscheint ein begleitender Katalog mit Texten von Elke Krasny, Roberto Ohrt, Ramón Reichert, Barbara Schröder, Holger Kube Ventura u.a., sowie Künstlertexten.
RAUM FÜR KOMMENTARE IN DER AUSSTELLUNG
Bin beschäftigt - was früher womöglich eine abwehrende Behauptung gegenüber unliebsamen Anliegen war, erscheint in Zeiten, in denen der Mensch mehr und mehr wegrationalisiert wird, Arbeit in Zukunft ein Auslaufmodell zu sein scheint und man sich von der Idee der Vollbeschäftigung verabschiedet hat, nicht mehr unbedingt zu heißen: habe keine Zeit, sondern: Ich habe (noch) Arbeit. Doch so bedrückend die Situation manchmal sein mag, sie bietet die Chance, über das, was wir tun anders nachzudenken. Arbeit bildet einen wesentlichen Bestandteil unseres Selbstwertgefühls. Wer arbeitet, fühlt sich dadurch meistens anerkannt. Aber ist Anerkennung mit Bezahlung gleich zu setzen? Oder ist ein Leben ohne Arbeit vorstellbar? Was macht für Sie Arbeit aus – jetzt, und was sollte sie ausmachen?
In der Ausstellung Bin beschäftigt wartet eine Assoziationswand auf Ihre Kommentare. Dort sind Jugendliche wie Erwachsene, Auszubildende oder Rentnerinnen, Arbeitssuchende und Berufstätige, Einzelne oder Gruppen, Theoretiker, Wissenschaftler oder Künstlerinnen aufgerufen, ihre Geschichten von der Arbeit in die GAK zu bringen und somit möglichst unterschiedliche Lebens- und Arbeitszusammenhänge bei zu tragen:
Mussten Sie Bankkauffrau lernen, obwohl Sie Tierärztin werden wollten?
Können Sie sich in ihrer Arbeit selbst verwirklichen oder ist der Job eher Mittel zum Zweck der Existenzsicherung?
Hängematte oder Schleudersitz, verlässliche Routine oder abwechslungsreiches Risiko?
Wie war das, als Sie damals das erste eigene Geld verdienten?
Mit welchen Gefühlen blicken Sie im Ruhestand auf die heutige Arbeitswelt?
Machen Sie heute noch, was Sie als junger Mensch gelernt haben? Oder warum nicht?
Und schließlich: Wann haben Sie das letzte Mal nichts getan und was war das dann?
Sie können sich auch aus der Ferne an der Kommentarwand beteiligen und uns schreiben.(Presse / GAK Bremen)
FRANCIS ALŸS (B)
JOHN BALDESSARI (USA)
ALICE CREISCHER/ANDREAS SIEKMANN (D)
JOSEF DABERNIG (A)
MATTHIAS KLOS (D/A)
AERNOUT MIK (NL)
JEAN-LUC MOULÈNE (F)
ADRIAN PACI (AL/I)
DANICA PHELPS (USA)
REINIGUNGSGESELLSCHAFT (D)
CORINNA SCHNITT (D)
MARKUS SEIDL/ELISABETH SCHIMANA (A)
ANTJE SCHIFFERS (D)
ANNETTE WEISSER/INGO VETTER (D)
Abbildung: Corinna Schnitt, Zwischen vier und sechs, 1997/98, 16 mm auf DVD, 6:04 min, Farbe, Ton
Es gibt eine Begleitprogramm.
Öffnungszeiten: Di-So 11-18 Uhr, donnerstags bis 21 Uhr
GAK Gesellschaft für Aktuelle Kunst Bremen e.V.
Teerhof 21, D-28199 Bremen
Tel: +49 421 500 897
gak-bremen.de
ch
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