Wie lässt sich eine Stadt ausstellen? Wie lassen sich Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft einer Stadtgeschichte vereint darstellen? Das, was auf den ersten Blick als nahezu unmöglich erscheinen mag, realisiert Ralf Beil, seit 2015 Direktor des Kunstmuseums Wolfsburg. Im Rahmen seiner eigens kuratierten Ausstellung Wolfsburg Unlimited. Eine Stadt als Weltlabor werden erstmals ausnahmslos alle Räumlichkeiten des Museums bespielt.
Wolfsburg, die „Hauptstadt von Volkswagen“, ist nicht gerade für sein ästhetisches Stadt- und Landschaftsbild bekannt. Die heutige Großstadt in Niedersachsen, welche vor 1945 „Stadt des KdF-Wagens bei Fallersleben“ hieß, galt zu Zeiten des Nationalsozialismus als KZ Arbeitsdorf des Volkswagenwerkes. Der marode anmutende Stadtkern wird noch heute größtenteils von grauen Industrie- und Gewerbebauten dominiert - offensichtlich ausreichend Gründe für Ralf Beil, die Stadt zum Thema seiner ersten großen Ausstellung zu machen.
Ralf Beil vor Heinrich Nordhoff und sein Werk, 1955, Copyright: Aktiengesellschaft 2016. Foto: Reinhold Lessmann / Heinrich Nordhoff und sein Werk, 1955, Dokumentation einer PR-Inszenierung, Copyright: Volkswagen Aktiengesellschaft 2016, Foto: Reinhold Lessmann
Eines seiner Hauptziele sieht Beil darin, die „Geschichte der Stadt von Innen nach Außen zu tragen“. Von der Vergangenheit Wolfsburgs, welche sich in einer sogenannten ´Hall of Fame` von Unterschenkeln eines Auerochsen, datiert auf 10.000 vor Christus, einem Fluchtschlitten auf Rädern aus dem Jahr 1945 den Bogen bis hin zur Gründungsgeschichte und dem Wirtschaftswunder des Weltkonzerns VW erstreckt. Gemeinsam mit nationalen und internationalen Künstlern wird die Stadt künstlerisch und experimentell reflektiert und ausgelotet. Neben Malerei von Franz Ackermann, Fotoinstallationen von Eva Leitolf und Peter Bialobrzeski oder dem Raumensemble des Schweizer Künstlers Rémy Markowitsch, um nur einige zu nennen, bildet die Installation Midwest von Julian Rosefeldt das zweifellos aufwendigste Großprojekt.
Rosefeldt verwandelt die 16 Meter hohe Ausstellungshalle des Kunstmuseums in ein Autokino und schafft nicht zuletzt aufgrund der im Kiosk - ebenfalls ein Teil der Installation - verkauften Snickers eine Verbindung zwischen Amerika und Wolfsburg. Umringt von 40 teilweise aufeinander gestapelten Schiffscontainern, neun Autos mit Wolfsburger Kennzeichnen, im Schotter herumliegenden Autoreifen und Bierflaschen findet sich der Museumsbesucher in einer dunklen, schon fast zwielichtigen Umgebung wieder, die das Museum für einen Moment vollkommen vergessen lässt. Neben der visuellen Wahrnehmung werden akustische und olfaktorische Eindrücke hervorgerufen - Lärm einer Autobahn und ein nicht eindeutig bestimmbarer Geruch perfektionieren die Gesamtinstallation. In dem veritablen Autokino wird Rosefeldts Film The Swap erstmals gezeigt - ein Film zum Thema „Unkontrollierbare und vertuschte Finanzströme“. Nein, es handelt sich hierbei nicht um eine Anspielung auf die Panama-Affäre, der Film entstand bereits vorher.
Nam June Paik, Andy Warhol Robot, 1994,300 x 287 x 76 cm, Schenkung Freundeskreis des Kunstmuseum Wolfsburg e.V.
Ralf Beil gelingt es mit seiner doch sehr umfangreichen und vielseitigen Ausstellung, der Stadt neu zu begegnen, indem er ihre Geschichte erzählt, aber auch weiterführende Perspektiven schafft. In Zukunft könnten der einstigen ´Stadt ohne Mitte` ein Herz verliehen werden. Eine Wasserstraße durch Wolfsburg, dokumentiert durch Großaufnahmen im Foyer des Museums, soll die wichtigsten Punkte der Stadt miteinander verbinden. So könnte es in wenigen Jahren möglich sein, mit dem Motorboot am Kunstmuseum Wolfsburg vorzufahren; ganz nach dem Motto: Wolfsburg Unlimited, Wolfsburg ohne Grenzen. Aber natürlich bleibt dies nur bei einer größenwahnsinnigen Idee des Kunstmuseums. Schade eigentlich.
Wolfsburg Unlimited entgrenzt` und erzählt die Geschichte Wolfsburgs neu, auch wenn nicht jede künstlerische Position sofort einen klaren und eindeutigen Bezug zu Wolfsburg herstellt; hierbei hilft der knapp 350 Seiten umfassende, gleichnamige Ausstellungskatalog.
Künstlerinnen und Künstler der Ausstellung:
Franz Ackermann, Nevin Aladag, Christian Andersson, Peter Bialobrzeski, John Bock, Janet Cardiff / George Bures Miller, Christo, Don Eddy, Douglas Gordon, Heinrich Heidersberger, Peter Keetman, Anselm Kiefer, Pia Lanzinger, Eva Leitolf, Rémy Markowitsch, Marcel Odenbach, Arnold Odermatt, Nam June Paik, Antoine Pesne, Peter Roehr, Didier Rittener, Julian Rosefeldt, Werner Schroeter, Luc Tuymans, James Welling, Charles Wilp.
Dauer der Ausstellung: 24. April bis 11. September 2016
Kunstmuseum Wolfsburg
Hollerplatz 1
38440 Wolfsburg
Weitere Informationen zur Ausstellung:
kunstmuseum-wolfsburg.de/ausstellungen/wolfsburg-unlimited-eine-stadt-als-weltlabor/
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Kataloge/Medien zum Thema:
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