Warum steckt sich der Bassist der Red Hot Chili Peppers Stifte in die Nase und was treibt Franz Beckenbauer mit den Orangen an der Wand? Sie befolgen die Anleitungen des Künstlers Erwin Wurm und werden so für einen kurzen Augenblick zum Kunstwerk. Mit seinen sogenannten >One Minute Sculptures< hat Wurm nicht nur die Vorlagen zum Video der Red Hot Chili Peppers Single >Can´t Stop< (youtube.com) oder für das Ausstellungsplakat der Fußball-Kunst-Ausstellung >Rundlederwelten< geliefert, sondern eine Art der partizipativen Kunst ins Leben gerufen, die viele Nachahmer gefunden hat. Auch in anderen Werkkomplexen erkundet der Österreicher den Grenzbereich zwischen Skulptur, Installation, Aktion und Performance. Wurm beschäftigt sich mit Lächerlichkeiten und Deformationen jedweder Art, verliert dabei jedoch nie den Humor aus den Augen. Das ihm gewidmete Buch aus der Prestel Reihe >Kunstwerkstatt< stellt vor allem seine allerneusten Arbeiten aus dem Jahre 2007 vor.
Bei den >Ärgerbeulen< und >Neidbeulen< spielt Wurm mit dem Gedanken, dass sich Zustände der inneren Erregung auch äußerlich am menschlichen Körper bemerkbar machen könnten. Seine kopflosen Männerkörper, die "die physische Realisation eines psychischen Zustandes" illustrieren sollen, sind deswegen durch dicke Ausbuchtungen am ganzen Körper verunstaltet. Ausgangspunkt für die >Ärgerbeulen< und >Neidbeulen<, war die ein Jahr zuvor entstandene, für Wurm ungewöhnlich detailliert und klassisch ausgearbeitete Skulptur eines Mannes mit einem extrem aufgeblasenem Rumpf: >Der Künstler, der die Welt verschluckte<. Die Formgenese vom dicken Kugelbauch, bis zu den sich überall am Körper ausstülpenden Beulen ist leicht nachvollziehbar, doch überrascht die fast in koons´scher Edelkitschmanier getroffene Materialwahl. Wo Erwin Wurm bis dato gar keine oder nur recht rohe Werkstoffe für seine Arbeiten verwendet hatte, ließ er sich hier zu glänzend polierter Bronze hinreißen, auf deren Oberfläche sich der Betrachter spiegelt. "Wurmtypischer" dagegen sind die >Mind-Bubbels<, die aus hüfthohen, mit überdimensionierten gelben Wollpullis, braunen Polohemden oder zartrosa Strickjacken bekleideten, rundlichen Styroporformen bestehen. Orientiert an der undefinierten Antiform der Kartoffel, sind sie nur noch bloße Körper ohne Gliedmaßen. Mit dem Werktitel >Mind-Bubbles< (>Gedankenblasen<) stellt Wurm zudem eine Verbindung zu seinen frühen Arbeiten her, war er doch bei manchen >One Minute Sculptures< davon ausgegangen, "dass man allein durch Gedankenkraft Skulpturen schaffen oder Realität verändern" könne. In diesem Sinne versteht er seine "Wolltartuffeln" als "angezogene Gedanken" oder "angezogene Vorstellungen". Auch einige Leinwände hat der Österreicher eingekleidet - sie "tragen" nun mit Bündchen, Kragen und Knöpfen versehene Wollhüllen in knalligen Farben und haben Titel wie >Mentales Gelb<, >Mentales Blau< oder >Mentales Rosa<.
Wie für die Prestel >Kunstwerkstatt< - Reihe üblich, besteht das achtzigseitige Buch zum Großteil aus sehr guten Farbabbildungen. Der vierseitige Text von Helmut Friedel, dem Direktor des Lenbachhaus München, ist zwar etwas kunsthistorisch überambitioniert und beginnt mit einer fast einseitigen Abhandlung über die Kartoffel, doch ist das Interview, das der Autor mit dem Künstler führte äußerst aufschlussreich. Die große Stärke des Buches ist es, die neusten und deswegen noch nicht so bekannten Arbeiten sowie die nur selten gezeigten Aquarelle des Künstlers zu präsentieren. Neben der normalen Ausgabe gibt es außerdem eine >Collector´s Edition< mit Signatur, Künstlerdruck und Prägestempel.
Helmut Friedel >Kunstwerkstatt - Erwin Wurm<
80 Seiten
65 Abbildungen, davon 50 in Farbe
Prestel Verlag
ISBN: 978-3-7913-3923-8
Preis: 39,95 EUR / 68,00 sFr
(Collector´s Edition: 198 EUR / 335 sFr)
Stefanie Ippendorf
Kataloge/Medien zum Thema:
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Alfred Ehrhardt Stiftung
Kommunale Galerie Berlin
Verein Berliner Künstler
Haus am Kleistpark
Max Liebermann Haus