Der im letzten Jahr gestartete Ausstellungszyklus zu Thematiken der Sammlung ist dieses Jahr einem Bereich gewidmet, der wie kaum ein anderer für die Generali Foundation signifikant ist: Kunst - Gesellschaft - Politik. Im Zentrum der Ausstellung, der zweiten in dieser Reihe, stehen künstlerische Herangehensweisen, die gesellschaftliche und politische Bedingungen reflektieren oder mitunter sogar Interventionen setzen. Künstler und Künstlerinnen nehmen in ihren Werken spätestens seit den 1960er Jahren verstärkt und offensiv zu sozialen Fragen der Klasse, des Geschlechts, der ethnischen Herkunft sowie der damit verbundenen gesellschaftspolitischen Parameter Stellung. Einige der vielfältigen und oft überraschenden künstlerischen Strategien, die in diesem Feld eingesetzt werden, sind Thema der Ausstellung mit Werken der Sammlung und Leihgaben.
Die Ausstellung ist durch vier bekannte künstlerische Positionen strukturiert, in deren Arbeit die Thematisierung sozialpolitischer Fragen seit den 1960/70er Jahren ein grundsätzliches Anliegen einnimmt. Die ausgewählten Werke von KünstlerInnen der jüngeren Generation können in Bezug dazu gelesen werden. Nicht einzelne Werke, sondern umfangreichere künstlerische Projekte bilden dabei den Fokus. Gleich mehreren, einander überlappenden kreisförmigen Flächen werden in der Ausstellung die differenzierten künstlerischen Praktiken und Bildpolitiken sichtbar.
Eines der vier Zentren der Ausstellung bildet das "Gallery-Goers’ Birthplace and Residence Profile" (Galeriebesucher - Geburts- und Wohnortprofil, 1969/1970-71) von Hans Haacke (1936 Köln/D - New York/USA). Dieses Werk repräsentiert den Umbruch von seinen Untersuchungen physikalischer und biologischer Systeme zu den legendären Analysen gesellschaftspolitischer und ökonomischer Systeme, die Haacke seit Ende der 1960er bis heute unternimmt. ...
Die kartografische Erfassung komplexer ökonomischer und politischer Systeme ist das Prinzip der Arbeitsweise des französischen KünstlerInnenkollektivs Bureau d’études, die in Zusammenhang mit der Anti-Globalisierungsbewegung entwickelt wurde. Im Auftrag der Generali Foundation entstand 2003 der "World Monitoring Atlas", und in der aktuellen Ausstellung ist erstmals eine Sammlung der kompletten ab 2001 entstandenen fünfzehn Kartografien zu sehen.
Als Konsequenz seiner Auseinandersetzung mit Konzeptkunst, den Beschränkungen der Kunstinstitutionen in Verbindung mit eigenen sozialpolitischen Ansprüchen an seine Kunst hat Stephen Willats (1943 London/GB) die Produktion wie die Präsentation seiner Arbeit aus dem Kunstbetrieb herausgenommen und unmittelbar in die Gesellschaft hinein verlagert. ...
Für ein Auftragswerk mit dem ein Firmengebäude der Generali Versicherung in Berlin mit Kunst ausgestattet werden sollte, lud Maria Eichhorn (1962 Bamberg - Berlin/D) Mitte der 1990er Jahre die Belegschaft , ebenfalls unterstützt durch einen Fragebogen, zu einer Auseinandersetzung mit dem Themenkomplex "Arbeit / Freizeit" ein. Darauf basierend entstand eine Ausstellung, zu welcher die Mitarbeiter Gegenstände vorschlugen oder direkt als Leihgabe oder Geschenk beisteuerten. ...
Eine aktuell besonders intensiv debattierte Thematik wird im Projekt "Distributive Justice" (Verteilungsgerechtigkeit), distributive-justice.com, von Andreja Kuluncic (1968 Subotica/YU — Zagreb/CRO) behandelt, welches ebenfalls multidisziplinär entwickelt wurde. Erstmals 2001 für die Documenta 11 realisiert, wird die Internetplattform den lokalen Spezifika des jeweiligen Ausstellungskontextes entsprechend immer wieder weiterentwickelt und aktualisiert. ...
Ausstellungsplakat
Die bekannte Foto-Textinstallation "The Bowery in two inadequate descriptive systems" (Die Bowery in zwei unzulänglichen Be- schreibungssystemen, 1974-75) von Martha Rosler (Brooklyn, New York/USA) aus der Sammlung Generali Foundation ist eines der Schlüsselwerke zur grundlegenden Frage, ob die Realität sozialer Missstände in einem künstlerischen Werk mittels Dokumentarfotografie oder Text dargestellt werden kann. Einem Brecht’schen Lehrstück gleich, in unterhaltsamer, aber dennoch tief gehender Weise, öffnet uns Rosler in ihren Performances, Videos oder den Postkartenromanen die Augen für soziale Ungerechtigkeit, ...
Den Anspruch einer relativ leicht zugänglichen, aber nicht minder präzisen Form der Erörterung von sozialpolitischen und ökonomischen Themen in einem künstlerischen Werk setzen auch Alice Creischer / Andreas Siekmann (1960 Geroldstein, 1961 Hamm — Berlin/D) um. In "Occupying Space / Wasting Time" (2005), einem Ausstellungsführer in Verbindung mit einer räumlichen Intervention, die als Auftragswerk für die Ausstellung der Sammlung der Generali Foundation am Haus der Kunst in München entstanden ist, gehen sie Gedanken von Zeit, Arbeit und Verwertung im historischen Kontext einiger der damals ausgestellten Werke nach.
Nach ihren frühen Malereien und den ausschließlich auf Text basierenden, streng konzeptuellen Werken der 1960er Jahre adressiert Adrian Piper (1948 New York - Cape Cod/USA) seit den 1970er Jahren in ihren Arbeiten Rassismus und Xenophobie. In Foto- und Videoarbeiten und oft großräumigen Installationen, wie in ihrer Multi-Media-Installation "Black Box/White Box" (1992) , stellt sie eine direkte und unmittelbare Beziehung zwischen BetrachterInnen und Kunstwerk her, die durch bestimmte Text- und Bildstrategien erreicht wird. Piper setzt Worte wie zum Beispiel „hier“, „jetzt“, „Du/Sie“ ein, oder Darstellungen von Menschen, die den Betrachter- Innen direkt in die Augen sehen, und verwendet dafür den Begriff der „indexikalischen Gegenwart“.
Ähnlich konsequent widmen Klub Zwei (Simone Bader, 1964 Stuttgart/D und Jo Schmeiser, 1967 Graz — Wien/A) ihre künstlerische Arbeit den Themen Antisemitismus, Rassismus und Sexismus. In ihrer Projektreihe "Arbeit an der Öffentlichkeit" entwickelten sie eine Struktur der Zusammenarbeit, die von den beteiligten Migrantinnengruppen mitbestimmt wird. ... (Presse / Generali Foundation)
Künstlerliste: Bureau d’études, Alice Creischer / Andreas Siekmann, Maria Eichhorn, Hans Haacke, Klub Zwei / SFC - Schwarze Frauen Community, Andreja Kuluncic, Adrian Piper, Martha Rosler, Stephen Willats.
Kuratorin: Sabine Breitwieser
Kuratorische Assistentin, Ausstellungsproduktion: Sonja Feßel
Abbildung: Martha Rosler, Election (Lynndie), 2004 aus der Serie Bringing the War Home, new series, 2004 Courtesy Martha Rosler
Öffnungszeiten: Di bis So, feiertags 11 bis 18, Do bis 20 Uhr
Generali Foundation | Wiedner Hauptstraße 15 | 1040 Wien | Tel.: + 43 1 504 98 80
http://foundation.generali.at
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