There are so many varieties of Germanic culture here in Bregenz that are not mixable, and I see that as a kind of geyser, like anything that builds up enough pressure, you have to lance it or pop it, that’s a geyser, that’s a pimple, a pimple popper. You know, that’s what it is. That’s what philosophy is. Philosophy is a popped pimple. All of these simultaneous cultures are teutonic (of a sort) and if you read tectonic as teutonic plates, one can understand the allusion to the geyser.
Lawrence Weiner, Bregenz, September 2016
Eine Linie zieht eine elegante schwarze Bahn über ein weißes Feld. Sie formt eine weich geschwungene Kurve. Zuvor verzweigt sie sich, die Striche bleiben wie lose Enden. Die Linien sind wie eine Strudelbewegung, eine rasche Geste, eine souveräne Unterstreichung, flankiert von zwei Pfeilen, die in den markanten Farben Gelb und Rot aufwärtstreibende Kräfte darstellen. Schwarz konturiert und optisch robuster, stoßen sie auf die gezogene Spur, auf deren begrenzendes Territorium und in den leeren Raum. Sie bezeichnen ein Kraftfeld und enden dennoch im Nirgendwo. Es geht um Andeutung und Unterlassung, um Reihung, irritierende Begegnung, optische Nähte und die Fluchtbewegung von Wörtern und Zeichen.
Über den Pfeilen ist der Ausstellungstitel zu lesen, WHEREWITHAL in weißen, schwarz konturierten Großbuchstaben. In blauer Farbe steht eine deutsche Übersetzung des englischen Begriffs: WAS ES BRAUCHT.
Es geht um das Nötigste, das letzte Auskommen. Ein Werk über die Sprache und nach Weiners Auskunft ein Gedankenbild über den Zustand von Gesellschaft, der Menschen und der Welt heute. Kunst muss Fragen stellen, so Lawrence Weiner bei seinem ersten Besuch im Kunsthaus Bregenz. Wenn sie sich mit Antworten begnügte, geriete sie in die Fallen von Gefälligkeit und einfacher Bebilderung. Es gehe vielmehr darum, Werte zu hinterfragen durch Überblendungen, durch überraschende Wort-Sinn-Beziehungen, visuelle Knappheit und pointierte Zeichen.
1942 in New York geboren, zählt Lawrence Weiner zu den bekanntesten Künstlern weltweit und den Begründern der amerikanischen Conceptual Art. Diese in den 1960er Jahren entstandene Kunstrichtung dachte grundlegend über die Voraussetzungen eines Kunstwerks nach. Sie erörterte die Voraussetzungen für die Möglichkeit von Malerei und Fotografie, für die Beständigkeit der Gattungen, nicht zuletzt die Grenzen der Kunst. Ist es notwendig, dass ein Kunstwerk realisiert wird? Genügt nicht die Idee des Werks, um bestehen zu können? Ist für die Idee eines Werks ein besonderer Autor Voraussetzung?
Gewinnt das Werk nicht erst in der Wahrnehmung seine unverwechselbare Einmaligkeit? Um diese Vorstellung von Kunst als Denkleistung zu verwirklichen, arbeitet Weiner seit seinen Anfängen mit einem bis dahin fremden künstlerischen Material: der Sprache. Weiner betrachtet Sprache als Tatsache, als Faktum. Sie hat dasselbe Gewicht wie ein Stein, der von einem Bildhauer bearbeitet wird. An der Wand wird sie zu einer physisch erlebbaren, nahezu greifbaren Existenz.
»Zuerst war das Wort, und mit dem Wort verstand man, dass es etwas vor dem Wort gab.« (»First there was the word, and with the word one realized that there was something before the word.« Lawrence Weiner, 1996) Erst der Hinweis auf einen Stein macht deutlich, dass die Sprachformen »stone« und »Stein« denselben Gegenstand ansprechen. Der gemeinsame Nenner des Dinglichen ermöglicht die Übersetzung. Darum verwendet Weiner stets zwei Sprachen, Englisch und die jeweilige Landessprache. Durch ihre zweifache Benennung erhalten die Dinge optische »Würde« (»dignity«) und eine Wechselwirkung in Verständnis und Raum.
Der durchgängige Einsatz von Großbuchstaben ist ein weiteres Merkmal für seinen verfremdenden Umgang mit Sprache. Schriftsetzungen in den Farben Rot, Blau und Orange unterstreichen sie als Erkennungs- und Mitteilungszeichen. Hinzu kommt die Gegenwart des Gebäudes. Weiners Texte an den Wänden des Kunsthaus Bregenz werden Kommentare zu Architektur, Raum und sinnlichem
Erleben. Doch seine Werke sind nur vermeintlich ortsbezogen. Sie beziehen sich auf sich selbst, betreiben elliptische Sinnwanderungen und spielen klug auf Gesellschaft, Politik und die Stellung der Kunst an.
Für das Kunsthaus Bregenz ist Lawrence Weiner nicht nur wegen seines künstlerischen Rangs bedeutend, sondern vor allem aufgrund seines Raumdenkens. Vorbild für die Anordnung seiner Schriftwerke in den vier Geschossen sei ein Geysir, so Weiner. Geysire sind Ventile für Überdruck. Aus kleinen Öffnungen sprudelt, was unterirdisch kocht. Weiner benutzt das Bild, um die Funktion der Kunst deutlich werden zu lassen. Kunst ist der spontane Ausweg aus vermeintlich ausweglosen tektonischen Krusten. Sie findet den Ausgang aus blockierten Reibeflächen. Das sei »idealistisch«, räumt er ein, aber dies sei ja eine Aufgabe der Kunst.
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