Aus kunstwissenschaftlicher Perspektive betrachtet, hat sich die Einbeziehung von Tieren in die Performancekunst seit den 1960er Jahren grundlegend gewandelt – von einer symbolischen und metaphorischen Verwendung hin zu komplexeren Beziehungen, die Fragen nach Agency, Ökologie und posthumanistischen Konzepten aufwerfen.
Joseph Beuys: Der Schamane und das Tier als Symbol
Joseph Beuys' Arbeit mit Tieren ist eng mit seiner persönlichen Mythologie und seinem schamanistischen Selbstverständnis verbunden. In seiner ikonischen Performance "I Like America and America Likes Me" (1974) verbrachte Beuys drei Tage mit einem Kojoten in einer New Yorker Galerie. Das Tier fungierte hier als spiritueller Vermittler und Symbol für das präkolumbianische Amerika, während Beuys selbst die Rolle des Heilers und Vermittlers einnahm. Der Künstler inszenierte sich als eine Art moderner Schamane, der durch seine Interaktion mit dem Tier eine spirituelle Verbindung zwischen Kulturen herstellen wollte.
Seine berühmte Installation "Honigpumpe am Arbeitsplatz" mit lebenden Bienen erweiterte diesen konzeptuellen Rahmen, indem er das soziale Gefüge des Bienenstocks als Metapher für seine Idee der "sozialen Plastik" nutzte. Beuys' Tierperformances waren stark symbolisch aufgeladen und dienten als Projektionsfläche für seine gesellschaftlichen und spirituellen Theorien.
Pierre Huyghe: Ökosysteme und geteilte Agency
Pierre Huyghes Umgang mit Tieren markiert einen deutlichen Wandel. In Installationen wie "Untilled" (2011-12) auf der dOCUMENTA (13) oder "After ALife Ahead" (2017) schafft Huyghe komplexe Ökosysteme, in denen Tiere nicht mehr bloße Symbole sind, sondern aktive Teilnehmer mit eigener Agency. In "Untilled" lebte ein Windhund mit bemaltem Bein frei auf dem Ausstellungsgelände, während in anderen Werken Bienen, Krebse oder Fische ihre eigenen unvorhersehbaren Beiträge leisten.
Huyghe inszeniert sich selbst kaum als heroische Künstlerfigur, sondern tritt zurück, um die Eigendynamik seiner lebenden Systeme zu ermöglichen. Seine Arbeit reflektiert posthumanistische Theorien, indem sie die Grenzen zwischen menschlicher und nicht-menschlicher Kreativität verwischt und Tiere als Co-Autoren des Kunstwerks positioniert.
Anne Imhof: Das Tier als ästhetisches Element in der neuen Performativität
Anne Imhofs Umgang mit Tieren, besonders in ihrem preisgekrönten "Faust"-Pavillon auf der Venedig-Biennale 2017, zeigt einen weiteren Wandel. Die Dobermänner in ihrer Performance sind weder spirituelle Symbole wie bei Beuys noch ökologische Akteure wie bei Huyghe, sondern ästhetische Elemente in einer hochgradig choreografierten Gesamtkomposition.
Imhof inszeniert sich selbst als kühle Regisseurin eines dystopischen Gesamtkunstwerks, in dem die Tiere Teil einer visuellen Sprache sind, die mit Macht, Kontrolle und gesellschaftlichen Hierarchien spielt. Die Tiere werden zu performativen Objekten, die gemeinsam mit den menschlichen Performern eine spezifische Atmosphäre erzeugen.
Fazit: Vom Symbol zur Agency
Die Entwicklung von Beuys über Huyghe zu Imhof zeigt einen Wandel im Verständnis der Rolle von Tieren in der Performancekunst: vom metaphorisch-symbolischen Tier bei Beuys, das der charismatischen Selbstinszenierung des Künstlers dient, über das Tier als eigenständigen Akteur bei Huyghe, der die Grenzen der künstlerischen Kontrolle bewusst aufgibt, bis hin zum Tier als ästhetisches Element in Imhofs durchkomponierter Gesamtchoreografie.
Diese Entwicklung spiegelt breitere theoretische Verschiebungen wider – von anthropozentrischen Ansätzen hin zu ökologischen und posthumanistischen Perspektiven, die unsere Beziehung zur nicht-menschlichen Welt fundamental neu denken.
ct
Kataloge/Medien zum Thema:
Joseph Beuys
neue Gesellschaft für bildende Kunst (nGbK)
Rumänisches Kulturinstitut Berlin
Freundeskreis Willy-Brandt-Haus e.V.
Kommunale Galerie Berlin
Haus am Lützowplatz