Während die KI unter Zuhilfenahme des Zufalls, unter der Prämisse, Fehler auszuschalten und im Ganzen schärfer zu werden, zu Hunderten von hochwertigen Ergebnissen kommt, muss sich der Mensch mit der Konstruktion von Wahrheit auf einer Zeitleiste behaupten. So auch die documenta Leitung.
Die Findungskommission hat in dieser Hinsicht gute Arbeit geleistet und mit der Einladung des Kollektivs ruangrupa den Horizont der Globalisierung erweitert.
Deren Themen sind: Kollektives Arbeiten, die Kunst der Kooperation, Kritik am Markt und am Künstler*innenbegriff, Postkoloniale Praxis, Nachhaltigkeit, Partizipation der Besuchenden, Neue Sicht- und Arbeitsweisen.
Selbst definiert ruangrupa die eigenen Ziele in Texten mit folgenden Verben und Adjektiven:
künstlerisch, arbeiten, teilen, treffen, sehen, kollektiv, entwickeln, aufbauen, träumen, kämpfen.
In der Gesamtheit an Texten zur Kunst aus unserer Datenbank sind folgende Verben maßgeblich:
zeigt, sehen, lebt, stellt, arbeitet, entwickelt, finden, bilden, beschäftigt.
In beiden Ansätzen finden sich die Verben arbeiten und entwickeln.
Das Kollektiv ruangrupa hat hauptsächlich Kollektive eingeladen, die wiederum einzelne Künstler*innen einluden. Zu den bekannteren auf einer frühen Liste zählen: Jimmie Durham, Dan Perjovschi, Erick Beltrán, Richard Bell, Marwa Arsanios, Nguyen Trinh Thi, Jumana Emil Abboud. Zu diesem frühen Zeitpunkt war nicht bekannt, dass Hito Steyerl auch an der documenta 15 teilnehmen würde.
Mit Hilfe einer Künstler*innendatenbank sind wir in der Lage, jeder Veranstaltung im Kunstkontext einen Konzentrationswert zuzuordnen. Der Konzentrationswert beschreibt den Bekanntheitsgrad von Künstler*innen aufgrund ihrer Präsenz in der Öffentlichkeit.
Der Konzentrationswert der documenta lag bisher durchschnittlich bei 8,45. Einzig die documenta 11, 2002 von Okwui Enwezor kuratiert, hatte einen Konzentrationswert von 11,5. Bei der documenta fifteen kann davon ausgegangen werden, dass der KWert deutlich unter 2 liegt.
Was bedeutet das?
Ähnliche Konzentrationswerte kennen wir aus Untersuchungen zu Kunstvereinen. Zwei Kunstvereine sind uns in diesem Zusammenhang aufgefallen: der Kunstverein Freiburg, der umfangreiche Gruppenausstellungen mit jungen Künstler*innen organisierte und die Berliner nGbK, auf deren thematischen Ausstellungen seltener bekannte Namen auftauchen.
Da diese Kunstmarkt unabhängige Praxis nun auf der documenta Einzug hält, wird sie für das Kunstsystem relevanter und kann einige Teilnehmer (auch in den Medien) irritieren.
In die Diskussion geraten ist der Vorwurf des Antisemitismus. In Deutschland leben wir in einem Land, in dem einige Dinge nicht gesagt bzw. dargestellt werden dürfen. Einige Künstler*innen dürfen zwar den Hitlergruß zeigen, aber es sind Ausnahmen.
Dieser Umstand ist ein Armutszeugnis für die Gesellschaft, dem diese verstärkt mit Bildungsoffensiven entgegentreten muss.
Auf der documenta fifteen ist durch die Präsentation des Banners des indonesischen Künstlerkollektivs Taring Padi ein Schaden entstanden. Darüber wurde diskutiert. In der Diskussion setzten sich keine falschen Positionen ins Werk und es gab die Erklärung, niemanden diskriminieren zu wollen.
Doch aktuell scheint eine produktive Auseinandersetzung, ein konstruktiver Dialog über Antisemitismus im Kunstkontext nicht möglich.
Diskutiert wird in Texten zur Kunst häufig über:
Form, Inklusion, Publikum, Kunsthochschulen, Rechtfertigungszwang, Bildungspolitik, Kosten, Zukunftsvisionen, Geschlechterverhältnis, Jurymitglieder, etc. .
Wird Religion im westlichen Diskurs zum Thema, dann wie folgt: Instrumentalisierung von Religion bzw. Konstruktion von Identitäten, bzw. Bezugssysteme wie Familie, Religion oder Arbeit seien keine verlässlichen Konstanten mehr.
Und auch hier zeigt die documenta die globalen Unterschiede:
So waren wir überrascht, Werke von haitianischen Künstler*innen direkt vor Ort erwerben zu können. So überrascht, dass wir erst eine Nacht darüber geschlafen haben und dann erneut nach Bettenhausen fuhren, um ein Werk von Herold Pierre Louis (Atis Rezistans Kollektiv) zu kaufen. Sein Stil ist u. a. von der Voodoo-Religion beeinflusst.
Die documenta gilt allgemein als Weltkunstausstellung. Allerdings wurde und wird sie dem Begriff nicht gerecht, kann sie gar nicht gerecht werden. Das Ziel der documenta fifteen ist es, Sichtbarkeit zu erzeugen, nicht nur Sichtweisen aufzuzeigen. Sichtbarkeit des globalen Südens, wo sich Kultur und Geschichte nicht im Sinne einer europäisch verstandenen Moderne entwickelte.
Wenn es uns ernst mit der Globalisierung ist, müssen wir andere Kulturen mitdenken. Es wird eine Erweiterung sein.
ct
Kataloge/Medien zum Thema:
documenta
Alfred Ehrhardt Stiftung
Haus am Lützowplatz
Kunstbrücke am Wildenbruch
Freundeskreis Willy-Brandt-Haus e.V.
Galerie Parterre